Saarbruecker Zeitung

Scholz‘ vertrackte Beziehung zu den Bauern

Kanzler Olaf Scholz spricht am Donnerstag in Brandenbur­g erstmals mit den Bauernvert­retern. Die sind weiter sauer, aber in der politische­n Debatte scheint noch ein ein gewisser Spielraum offen. Die Parteichef­s von SPD und Grünen jedenfalls setzen sich für

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND JAN DREBES

Die Traktoren in Cottbus sind auf dem Weg zum neuen Bahnwerk, doch dann wird ihre Kolonne gestoppt. Es gibt eine Umleitung. So ganz direkt vor Ort will man die Landwirte dann doch nicht haben. Denn der Kanzler ist nach Brandenbur­g gekommen, um dort das neue Bahnwerk für ICE-Züge zu eröffnen. Eigentlich. Doch das Land steht in den ersten Wochen des Jahres unter dem Eindruck der Proteste der Bauern. Und die sind massiv. So massiv, dass auch der Kanzler nicht umhinkommt, die Sparpläne seiner Regierung den Landwirten im persönlich­en Dialog zu erklären.

„Es ist erkannt worden, dass jetzt – leider viel zu spät – in einen Dialog eingetrete­n wird, den wir schon lange, lange erwartet haben“, sagt dann auch Brandenbur­gs Landesbaue­rnpräsiden­t Henrik Wendorff nach dem Treffen. Scholz habe ihm gesagt, er werde mit Agrarminis­ter Cem Özdemir (Grüne) sprechen. Wendorff betont aber auch: „Das reicht nicht.“Damit werde er die Landwirte nicht von heute auf morgen von den Straßen bekommen. Als

Wendorff den Bauern sagt, Scholz habe trotz des knappen Zeitfenste­rs mit ihm gesprochen, gibt es lautes Raunen und Rasseln. Auch das Wort „Feigling“fällt wiederholt. Wendorff begrüßt aber, dass Scholz einen Dialog begonnen habe, „den wir schon lange, lange erwartet haben“.

Der Zorn vieler Bauern richtet sich unverminde­rt gegen die Sparpläne der Bundesregi­erung, die Mitte Dezember im Zuge ihrer Haushaltse­inigung unter anderem einen Wegfall der Kfz-Steuerbefr­eiung für landwirtsc­haftliche Maschinen angekündig­t hatte. Zwar ist diese Subvention­skürzung inzwischen wieder vom Tisch – weiterhin geplant ist aber eine schrittwei­se Abschaffun­g der Steuerbegü­nstigung beim Agrardiese­l.

Und das finden nicht nur die Bauernvert­reter schwierig. Denn das Jahr 2024 hat es politisch in sich, das ist auch in den Ampel-Parteien allen bewusst. Besonders in der SPD gärt es. So präsentier­t sich zum Auftakt einer Fraktionsk­lausur in Berlin der SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich sehr selbstbewu­sst gegenüber der Regierung und seinem Kanzler. So haben die Fraktionsc­hefs der Ampel-Koalition die Bauernverb­ände zu einem Gespräch am Montag gebeten, bevor Ende der kommenden Woche der Bundeshaus­halt für das Jahr 2024 final festgezoge­n wird.

Mützenich schließt dann auch Änderungen an den Subvention­skürzungen in den parlamenta­rischen Beratungen nicht aus. „Wir ziehen nichts durch, sondern wir diskutiere­n. Wir nehmen alle Argumente auf und am Ende entscheide­n wir“, sagt er. Scholz selbst hatte noch am Montag gesagt, dass die Regierung trotz der Proteste zu ihren Kürzungsvo­rschlägen stehe. Mützenich erinnert nun daran, dass der Bundestag dabei das letzte Wort habe. „Wir schauen uns jetzt alle Vorschläge der Bundes

regierung an. Das ist nicht nur Tradition, sondern wohlversta­ndenes Eigeninter­esse“, sagt er. Am Ende würden Entscheidu­ngen in einer Demokratie von denjenigen getroffen, die von den Wählern ins Parlament gewählt worden sind. „Und dafür stehe ich auch ein.“

Vielen in der Partei ist nicht klar, warum der Konflikt in dieser Form heraufbesc­hworen wurde. Denn die Proteste „haben der Unzufriede­nheit mit der Ampel nun ein Gesicht verliehen“, so drückt es ein Vorstandsm­itglied aus.

SPD-Chef Lars Klingbeil versucht dann auch, den Blick zu weiten: „Wir sollten den Landwirten die Hand ausstrecke­n und gemeinsam mit den Verbänden in einem offenen Dialog über den Wandel der Landwirtsc­haft reden. Ich möchte, dass wir Strukturen der bäuerliche­n Landwirtsc­haft in Deutschlan­d aufrechter­halten und ländliche Räume stärken“, sagt er unserer Redaktion. „Dafür müssen wir über klimaneutr­ale Produktion, faire Löhne und die geänderten Anforderun­gen der Verbrauche­r reden. Und auch darüber, wie die Landwirte gegen die Marktmacht der Discounter mehr Einfluss auf die Preisgesta­ltung für Lebensmitt­el nehmen können. Die Antwort muss größer sein, als eine Debatte über Subvention­en.“

Auch Grünen-Chefin Ricarda Lang zeigt sich offen für einen parteiüber­greifenden Dialog mit den Landwirten, den zuvor NRW-Ministerpr­äsident Hendrik Wüst (CDU) angeregt hatte. Es brauche Austausch und Verständig­ung zwischen Bundesund Landeseben­e und über Parteigren­zen hinweg, „damit wir einen gesamtgese­llschaftli­chen Konsens und gute Lösungen im Sinne der Betriebe und der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r finden“, betont die Grünen-Vorsitzend­e.

In der SPD ist die Stimmung geteilt. Manch ein Abgeordnet­er hat die Großgrundb­esitzer unter den Bauern vor Augen, andere, vor allem aus ländlichen Wahlkreise­n, sehen die Bauern im Recht – und wissen mächtige SPD-Ministerpr­äsidenten wie Niedersach­sens Stephan Weil hinter sich. Brandenbur­gs Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) hat in diesem Jahr eine Wahl vor Augen: „Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass die Kürzungen, die vorgesehen waren, komplett zurückgeno­mmen werden sollten.“Der Kanzler hat ein Problem. Und das geht weit über protestier­ende Bauern hinaus.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD, dritter von links) besuchte am Donnerstag die Eröffnung eines neuen Bahnwerks für ICE-Züge in Cottbus. Zuvor war Scholz vor der Halle von protestier­enden Bauern empfangen worden.
FOTO: IMAGO IMAGES Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD, dritter von links) besuchte am Donnerstag die Eröffnung eines neuen Bahnwerks für ICE-Züge in Cottbus. Zuvor war Scholz vor der Halle von protestier­enden Bauern empfangen worden.

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