Saarbruecker Zeitung

Wie der deutsche Bauernprot­est auf Brüssel wirkt

- VON GREGOR MAYNTZ

Bauernprot­est ist keine deutsche Erfindung. Auch in Frankreich sind die Landwirte vor einigen Wochen auf die Straßen gefahren, und in den Niederland­en hat ihre Empörung sogar zur Bildung einer Bauern-Bürger-Bewegung als Partei geführt, die in einzelnen Regionen die Konkurrenz regelrecht verdrängte. Was auf dem Agrarsekto­r passiert, ist also nicht allein auf die AmpelKoali­tion in Deutschlan­d zurückzufü­hren. Wenn die Bauern um ihre Einkommen bangen, richtet sich der Blick sehr schnell auf Brüssel. Denn die EU steckt jeden dritten Euro aus dem Gemeinscha­ftshaushal­t in die

Gemeinsame Agrarpolit­ik (GAP). Für die aktuelle Siebenjahr­esfinanzpe­riode sind es insgesamt 387 Milliarden. Wie es damit weitergehe­n soll, will Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen mit den Bauernvert­retern in einem „strukturie­rten Dialog“klären.

Sie reagierte sowohl bei der Klausur der CSU-Landesgrup­pe in Seeon als auch beim Neujahrsem­pfang der Industrie- und Handelskam­mer in Stade direkt auf die Bauernprot­este. „Ich kann die Anliegen der Landwirte sehr gut verstehen“, unterstric­h sie bei beiden Gelegenhei­ten. Sie forderten zu Recht Anerkennun­g dafür, dass sie für die Lebensmitt­elsicherhe­it sorgten und dafür auch ein angemessen­es Einkommen erwirtscha­ften sollten. Deshalb beginne die EU jetzt einen Dialog mit den Landwirten und der gesamten Zulieferke­tte, um „gemeinsam Lösungen für die Szenarien der Zukunft zu finden“. Konkreter wurde von der Leyen in Stade, wo sie auf den großen Veränderun­gsdruck für die Landwirte verwies und die Stichworte Klimaschut­z und Digitalisi­erung nannte.

Es gehe um die großen Fragen, wie den Landwirten auch in Zukunft ein gutes Auskommen für ihre wertvolle Arbeit gesichert, mit der Branche die Umweltbila­nz verbessert und in der Landwirtsc­haft von Technologi­esprüngen profitiert werden könne. „Zum Beispiel Satelliten­technik, autonom arbeitende Fahrzeuge, Drohnen-Technik für die Bodenanaly­se“, fügte die Kommission­spräsident­in hinzu. Nicht zuletzt gehe es um die Frage, wie Produkte aus Europa global wettbewerb­sfähig blieben.

Norbert Lins, der Vorsitzend­e des Agraraussc­husses im Europaparl­ament, sieht den angekündig­ten „strukturie­rten Dialog“als „Chance, Maßnahmen zur Stärkung der EU-Landwirtsc­haft im Vorfeld der Europawahl und der Neuzusamme­nstellung der EU-Kommission zu finden“. Wichtig sei dabei, alle relevanten Interessen­gruppen einzubezie­hen, sagte der CDUPolitik­er unserer Redaktion. Die

Zukunftsfä­higkeit der Landwirtsc­haft, die Weichenste­llung für den ländlichen Raum und die Ernährungs­sicherheit müssten ganz eindeutig angegangen werden. „Es müssen hier in Brüssel, aber auch insbesonde­re bei der Ampelregie­rung in Deutschlan­d die Lehren aus den vergangene­n Wochen und Monaten gezogen werden“, mahnte Lins an. „Politik funktionie­rt nur mit der Landwirtsc­haft, nicht gegen sie“, unterstric­h der Ausschussv­orsitzende.

Dagegen hat Grünen-Agrarexper­te Martin Häusling starke Bedenken bezüglich der möglichen Ergebnisse dieses Dialoges, zu dem es bisher keine Einladung gebe. „Ich halte das für eine Verzögerun­gstaktik, die dazu dienen soll, bis zur Europawahl nichts mehr anzufassen.“Die seit Jahren von der EU verfolgte „Von der Gabel auf den Teller“Strategie sei in ihren wesentlich­en Bestandtei­len gescheiter­t. Die Pestizidve­rordnung sei komplett vom Tisch, die Naturwiede­rherstellu­ng derart verwässert worden, dass sie keinen Effekt mehr haben werde, und die wichtigste­n Strukturpr­obleme der GAP würden auch nicht angegangen. Dabei sei doch jedem klar, dass die landwirtsc­haftlichen Beihilfen weg von der Orientieru­ng an der Fläche hin zu den Beiträgen zu Umwelt und Klimaschut­z bewegt werden müssten.

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