Wie der deutsche Bauernprotest auf Brüssel wirkt
Bauernprotest ist keine deutsche Erfindung. Auch in Frankreich sind die Landwirte vor einigen Wochen auf die Straßen gefahren, und in den Niederlanden hat ihre Empörung sogar zur Bildung einer Bauern-Bürger-Bewegung als Partei geführt, die in einzelnen Regionen die Konkurrenz regelrecht verdrängte. Was auf dem Agrarsektor passiert, ist also nicht allein auf die AmpelKoalition in Deutschland zurückzuführen. Wenn die Bauern um ihre Einkommen bangen, richtet sich der Blick sehr schnell auf Brüssel. Denn die EU steckt jeden dritten Euro aus dem Gemeinschaftshaushalt in die
Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Für die aktuelle Siebenjahresfinanzperiode sind es insgesamt 387 Milliarden. Wie es damit weitergehen soll, will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit den Bauernvertretern in einem „strukturierten Dialog“klären.
Sie reagierte sowohl bei der Klausur der CSU-Landesgruppe in Seeon als auch beim Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer in Stade direkt auf die Bauernproteste. „Ich kann die Anliegen der Landwirte sehr gut verstehen“, unterstrich sie bei beiden Gelegenheiten. Sie forderten zu Recht Anerkennung dafür, dass sie für die Lebensmittelsicherheit sorgten und dafür auch ein angemessenes Einkommen erwirtschaften sollten. Deshalb beginne die EU jetzt einen Dialog mit den Landwirten und der gesamten Zulieferkette, um „gemeinsam Lösungen für die Szenarien der Zukunft zu finden“. Konkreter wurde von der Leyen in Stade, wo sie auf den großen Veränderungsdruck für die Landwirte verwies und die Stichworte Klimaschutz und Digitalisierung nannte.
Es gehe um die großen Fragen, wie den Landwirten auch in Zukunft ein gutes Auskommen für ihre wertvolle Arbeit gesichert, mit der Branche die Umweltbilanz verbessert und in der Landwirtschaft von Technologiesprüngen profitiert werden könne. „Zum Beispiel Satellitentechnik, autonom arbeitende Fahrzeuge, Drohnen-Technik für die Bodenanalyse“, fügte die Kommissionspräsidentin hinzu. Nicht zuletzt gehe es um die Frage, wie Produkte aus Europa global wettbewerbsfähig blieben.
Norbert Lins, der Vorsitzende des Agrarausschusses im Europaparlament, sieht den angekündigten „strukturierten Dialog“als „Chance, Maßnahmen zur Stärkung der EU-Landwirtschaft im Vorfeld der Europawahl und der Neuzusammenstellung der EU-Kommission zu finden“. Wichtig sei dabei, alle relevanten Interessengruppen einzubeziehen, sagte der CDUPolitiker unserer Redaktion. Die
Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft, die Weichenstellung für den ländlichen Raum und die Ernährungssicherheit müssten ganz eindeutig angegangen werden. „Es müssen hier in Brüssel, aber auch insbesondere bei der Ampelregierung in Deutschland die Lehren aus den vergangenen Wochen und Monaten gezogen werden“, mahnte Lins an. „Politik funktioniert nur mit der Landwirtschaft, nicht gegen sie“, unterstrich der Ausschussvorsitzende.
Dagegen hat Grünen-Agrarexperte Martin Häusling starke Bedenken bezüglich der möglichen Ergebnisse dieses Dialoges, zu dem es bisher keine Einladung gebe. „Ich halte das für eine Verzögerungstaktik, die dazu dienen soll, bis zur Europawahl nichts mehr anzufassen.“Die seit Jahren von der EU verfolgte „Von der Gabel auf den Teller“Strategie sei in ihren wesentlichen Bestandteilen gescheitert. Die Pestizidverordnung sei komplett vom Tisch, die Naturwiederherstellung derart verwässert worden, dass sie keinen Effekt mehr haben werde, und die wichtigsten Strukturprobleme der GAP würden auch nicht angegangen. Dabei sei doch jedem klar, dass die landwirtschaftlichen Beihilfen weg von der Orientierung an der Fläche hin zu den Beiträgen zu Umwelt und Klimaschutz bewegt werden müssten.