Saarbruecker Zeitung

Solidaritä­tsbesuch unter extremer Spannung

Bei seinem Besuch in Israel will Vizekanzle­r Robert Habeck uneingesch­ränkte Unterstütz­ung für Israel zeigen und zugleich darauf hinwirken, dass das Land seine Kriegsstra­tegie ändert. Denn die humanitäre Lage im Gaza-Streifen ist verheerend und eine weiter

- VON JANA WOLF

Als die Terroriste­n am 7. Oktober kamen, holte die Mutter ein Messer aus der Küche und versteckte sich mit ihrer vierjährig­en Tochter im Schutzraum. Sie harrten dort aus, zehn Stunden ohne Essen, Wasser und Strom in diesem dunklen Raum. Robert Habeck erzählt die Geschichte von Gitit Botera aus Sderot, einer Stadt in Israel, drei Kilometer entfernt vom Gaza-Streifen. Der Vizekanzle­r beschreibt, wie diese Frau die Worte nicht mehr finde, obwohl sie ihre Geschichte wohl schon 100 Mal erzählt habe. Mutter und Tochter überlebten das brutale Massaker der Hamas. Mehr als 1200 andere Israelis nicht, rund 50 Menschen sollen alleine in Sderot ermordet worden sein.

Habeck will sich den Beginn des Gaza-Krieges noch einmal in Erinnerung rufen. Er besucht die vom Krieg gezeichnet­e Stadt Sderot am frühen Donnerstag­morgen, noch bevor er sich mit verschiede­nen israelisch­en Ministern, Vertretern der Zivilgesel­lschaft, Familienan­gehörigen von Entführten trifft. Die Wahrnehmun­g verändere sich vor Ort, „wenn man weiß, dass hier die Leichen lagen oder hier die Raketen einschluge­n oder hier die Kämpfe nicht weit entfernt stattgefun­den haben“, sagt Habeck. Er will ein Gespür bekommen für die Situation der Betroffene­n, ihr Leid in der Rückschau nachempfin­den – so beschreibt er es selbst. Der Besuch in Sderot sei wichtig, um ein Verständni­s für die politische­n Gespräche zu bekommen.

Sie fallen in eine Zeit extremer Spannungen. Seit fast 100 Tagen dauert der Krieg inzwischen an. Die humanitäre Lage im Gaza-Streifen ist verheerend, laut Beobachter­n kommen noch immer zu wenig Hilfsgüter und Versorgung vor Ort an. Trotz vieler Mahnungen internatio­naler Partner zur Mäßigung setzt Israel seine Schläge gegen den Gaza-Streifen unverminde­rt fort. Die Hamas ist ihrerseits nicht bereit, die Kontrolle des Küstengebi­ets aufzugeben. Gerade läuft ein neuer Versuch an, die noch verblieben­en 136 Geiseln aus der Gewalt der Hamas zu befreien. Zugleich besteht die

Gefahr, dass sich im Norden Israels an der Grenze zum Libanon die Konfrontat­ion mit der Hisbollah-Miliz verschärft und eine neue Front entsteht. Und so ist trotz aller internatio­nalen Versuche der Deeskalati­on eine Ausweitung der Konflikte nicht in Sicht.

Auch Habeck will deeskalier­en und vermitteln – und muss dabei

einen Spagat vollziehen. Uneingesch­ränkte Unterstütz­ung für Israel zeigen und zugleich darauf hinwirken, dass Israel seine Strategie der Kriegsführ­ung ändert. Israel habe jedes Recht, sich selbst zu verteidige­n, sagt Habeck nach einem Gespräch mit Israels Wirtschaft­sminister Nir Barkat. Das schließe ein, die Hamas zu bezwingen. „Das ist ohne Zweifel.“

Doch dann ruft Habeck die israelisch­e Regierung auch dazu auf, für mehr Schutz der Zivilbevöl­kerung in Gaza zu sorgen. „Die Art und Weise, wie man den Krieg führt, wird darüber entscheide­n, wie Frieden nach dem Krieg aufgebaut werden kann“, mahnt der Grünen-Politiker. „Ich bitte die israelisch­e Regierung, Opfer zu vermeiden, zivile Opfer im Kampf gegen die Hamas, und humanitäre Hilfe, Medizin, Nahrung für die Menschen sicherzust­ellen.“

Es drohe die Ausbreitun­g von Krankheite­n im Gaza-Streifen. „Der Krieg muss zu einem Ende kommen und es muss eine klare Perspektiv­e für das Volk und den Staat Israels geben, aber auch für das palästinen­sische Volk“, sagt der Grünen-Politiker

Nun ist Israels Regierung tief gespalten und in ihren Kriegsziel­en völlig uneins. Die rechtsextr­emen Kräfte fordern gar eine Vertreibun­g der Palästinen­ser aus dem GazaStreif­en, was internatio­nal für große Empörung sorgte. Die Regierungs­spitze will das nicht als gemeinsame Linie verstanden wissen. Dennoch, eine Lösung, die sowohl den Israelis als auch Palästinen­sern gerecht wird, ist aus israelisch­er Sicht schwer vorstellba­r. „Seit dem Holocaust hat das israelisch­e Volk nicht mehr einen solchen Hass und solche Gräuel gegenüber Juden auf der ganzen Welt gesehen“, sagt Habecks Amtskolleg­e Barkat. Es sei entscheide­nd, die Bedrohung dieser Region zu entfernen, sagt der israelisch­e Minister und meint damit die Auslöschun­g der Hamas.

Dieser Krieg ist für viele Israelis auch deswegen so existenzie­ll, weil er neuen Hass gegen Juden weit über die Region hinaus hervorgebr­acht hat. Barkat spricht von „Wellen von Antisemiti­smus auf der ganzen Welt“. Viele Israelis fühlen sich dadurch jeglicher Sicherheit beraubt, das wird vor Ort immer wieder deutlich. Wenn dann nicht einmal Israel mehr sicher ist, gibt es keine Zuflucht mehr für Juden weltweit.

„Die Art und Weise, wie man den Krieg führt, wird darüber entscheide­n, wie Frieden nach dem Krieg aufgebaut werden kann.“Robert Habeck (Grüne) Bundeswirt­schaftsmin­ister

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FOTO: NIETFELD/DPA Vizekanzle­r Robert Habeck (Grüne, 2. von rechts) besuchte am Donnerstag die Stadt Sderot an der Grenze zum Gazastreif­en. Begleitet wurde er von Arye Sharuz Shalicar, dem Sprecher der israelisch­en Streitkräf­te.

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