Viele Briten möchten die Regierung loswerden
Die Parlamentswahlen in Großbritannien sind nur noch ein Jahr entfernt und die Labour-Partei liegt in den Umfragen weiterhin weit vor der Tory-Regierung.
Die britische Politik bietet immer wieder Überraschungen. So hatte etwa 2023 wirklich niemand mit dem politischen Comeback des konservativen Ex-Premiers David Cameron gerechnet, den Rishi Sunak im November kurzerhand zu seinem konservativen Außenminister machte. Bei allen Unwägbarkeiten: Spätestens am 28. Januar 2025, wahrscheinlich aber noch in diesem Jahr, werden Briten an die Urnen gerufen.
Als Favorit gilt derzeit die oppositionelle Labour-Partei unter der Führung von Keir Starmer. Schließlich liegt diese seit Monaten rund 20 Prozentpunkte vor der konservativen Regierung – und das, obwohl die Tories 2019 durch das Versprechen von Boris Johnson, als Premierminister endlich den Brexit durchzuboxen, einen Erdrutschsieg errungen hatten. Auf den fulminanten Sieg folgte jedoch ein ebenso beispielloser Fall.
Zum Absturz der Regierungspartei trugen insbesondere die Feiern in der Downing Street während der pandemiebedingten Lockdowns bei. Das sogenannte „Partygate“sowie die der Skandal und die Missbrauchsvorwürfe gegen den ehemaligen Abgeordneten Chris Pincher haben der Partei nachhaltig geschadet, sagt Tim Bale, Politikwissenschaftler an der Queen Mary University of London.
Rishi Sunak wollte als Nach-Nachfolger Johnsons das Ruder herumreißen, gelungen ist ihm dies jedoch nicht, wie Sophie Stowers von der Denkfabrik „UK in a Changing Europe“bestätigt: „Wir wissen aus Umfragen, dass Eigenschaften wie Ehrlichkeit und Integrität für die Wähler wichtiger geworden sind.“Starmer habe in dieser Hinsicht gegenüber Sunak jedoch die Nase vorn. „Selbst wenn Wechselwähler nicht sicher sind, was die Labour-Partei politisch zu bieten hat, könnten sie sich davon beeinflussen lassen, dass sie dem Oppositions-Chef etwas mehr vertrauen.“
Weiteren Schaden fügte sich die Tory-Partei jüngst mit den internen Streitigkeiten zum Umgang mit illegaler Migration zu. Es gibt eine Reihe von Abgeordneten, die Menschen, die in kleinen Booten nach Großbritannien kamen, nach Ruanda schicken wollen, obwohl der britische Oberste Gerichtshof geurteilt hatte, dass das ostafrikanische Land nicht sicher ist. Für eine andere Gruppe überschreiten diese Pläne wegen der Verletzung internationalen Rechts jedoch eine rote Linie, so Bale. Für Sunak gleiche die Suche nach einer Lösung damit einer „Quadratur des Kreises“.
Die Wirtschaft stagniert, das staatliche Gesundheitssystem NHS steckt in der Krise und Sunak ist sehr unbeliebt, zählt Bale die Herausforderungen für die Tory-Regierung auf. Vor diesem Hintergrund müsse Starmer nicht viel tun, um die Menschen davon zu überzeugen, es nun mit seiner Partei zu versuchen. „Die Priorität von Labour besteht darin, die Wähler auf die bestehenden Probleme aufmerksam zu machen.“Stowers weist jedoch auf eine Gefahr für die derzeitige Oppositionspartei hin: Viele Briten, die 2019 die Konservativen gewählt hätten, wüssten bisher nicht, für wen sie sich stattdessen entscheiden sollen.
Da Labour derzeit in den Umfragen noch weit vorn liegt, hoffe die Partei laut Stowers auf eine frühe Wahl im Mai dieses Jahres und damit noch vor der Sommerpause. Die Expertin hält eine Wahl im Oktober jedoch für wahrscheinlicher, weil die Sunak auf eine Verbesserung der Wirtschaft setze. Im Sinne der Bürger ist ein später Urnengang jedoch nicht. „Wenn man den Umfragen glauben darf, wollen die meisten Wähler diese Regierung einfach nur noch loswerden – je schneller, desto besser“, sagt der Politologe. Für Briten würde eine frühere Wahl Sinn ergeben, so Stowers: Die Regierung sei nun eine „lahme Ente“, weil sie nicht mehr genug Zeit habe, um neue Gesetze durchzubringen. Damit stehe Briten in den nächsten Monaten wohl vor allem ein langer Wahlkampf bevor.