Wie krank ist der Dillinger, der seine Mutter getötet haben soll?
„80 Millionen“, gefühlt 100 Mal skandiert Uwe C. diese Zahl. Obwohl niemand weiß, weshalb er diese Zahl erwähnt und was er damit sagen will. Zu sehen am Donnerstag auf einem knapp fünfeinhalb Minuten langen Video im Saarbrücker Landgericht, Saal 38.
Das Video zeigt den 37-jährigen aus Dillingen-Pachten in der Wohnung seiner Eltern. Sein Vater hat das Video aufgenommen, um zu dokumentieren, wie Uwe. C ist, wenn er nicht mehr er selbst ist, wenn ihn (s)eine psychotische Krankheit aus der Realität reißt. Er wirkt aggressiv auf dem Video, er scheint nicht kontrollierbar. Wie am Morgen des 21. Juni 2023? An diesem Tag soll Uwe C. seine Mutter getötet haben. Mit einem gezielten Stich ins Herz.
Wie die Tat ablief? Unklar. Uwe C. kann sich nicht mehr erinnern, lässt er seinen Anwalt Marius Müller vor der großen Strafkammer im Saarbrücker Landgericht erklären. Es habe nie Streit gegeben. Er habe seiner 67-jährigen Mutter sehr nahe gestanden, es tue ihm unfassbar leid, was passiert sei.
Tatort-Zeugen erklären im Prozess, dass Uwe C. nach der Tat völlig neben sich stand, gestammelt habe „ich, ich, mit dem Messer“. Zu seinem Sohn habe er gesagt: „Ich habe die Oma erstochen“, wie ein Zeuge am Fenster gehört haben will. Seinen Sohn habe er vorher auch gewürgt, sagt dieser im Zeugenstand aus, der auch sagte, dass „mein Vater und der Mann, der das getan hat, nicht dieselben Menschen sind. Das kann ich inzwischen differenzieren.“
Wer sein Vater ist, weiß Uwe C. vielleicht selbst nicht. Seit seinem zwölften Lebensjahr ist Uwe C. drogenabhängig, Gras, Amphetamine, auch mal Koks, Alkohol. Er besucht eine Grundschule, eine Förderschule, legt den Hauptschulabschluss ab, tritt keine Lehre an, arbeitet als
Hilfsarbeiter, hat drei Kinder von drei Frauen, verliert zuletzt seine Wohnung und zieht wieder bei den Eltern ein.
Seit 2022 habe er diese PsychoAussetzer. Der Vater habe mehrfach Polizei und Ambulanz rufen müssen, weil er sich nicht mehr zu helfen wusste. So kam sein Sohn zwischen September 2022 und März 2023 fünfmal ins St. Nikolaus-Hospital nach Wallerfangen, in eine Fachklinik.
Die Befunde und Therapien der Klinik sind mit eine Grundlage für das Gutachten, das Professor Dr. Wolfgang Retz, Direktor des Instituts für Gerichtliche Psychologie und Psychiatrie an der Uniklinik Homburg, am Donnerstag dem Gericht vortrug. Er hat die gesundheitlichen Probleme von Uwe C. daraufhin untersucht, wie sie seine Schuldfähigkeit beeinflussen – und ob es für Uwe C. nicht besser wäre, in der Forensik zu sitzen. Und nicht im Gefängnis.
Retz bescheinigt Uwe C. zunächst mal eine Drogensucht. Wobei er kurz vor der Tat gerade eine Phase hatte, in der er offenbar relativ wenig konsumiert habe. Zweitens habe Uwe C. seit etwa 2018 teils sehr schwere Krampfanfälle, Epilepsie. Drittens leide Uwe C. unter einer episodisch auftretenden psychotischen Krankheit. Kurze Episoden mit wahnhafter Symptomatik, mit Affektstörungen, mit psychomotorischer Erregung, er steigert sich in Dinge rein („80 Millionen“), fuchtelt, zappelt, wird laut, ohne dass man von außen darauf Einfluss hat, er hat Denkstörungen. Retz führt vieles auf.
Doch was ist die Ursache? Die Drogen? Oder eine Schizophrenie? Dazu passe nicht die Kurzweil der Episoden. Unter Behandlung seien sie schnell wieder abgeklungen. Retz geht eher von einer „drogeninduzierten Psychose“aus.
Die Behandlung bestand in einer Depotspritze, die Uwe C. seit März 2023 ein Mal im Monat bekommen habe. Laut Aussagen des Vaters, einer Freundin und des Sohnes habe diese Spritze geholfen. Uwe C. habe keine psychotischen Anfälle mehr gehabt, sei ruhiger gewesen. Bis kurz vor der Tat, da sei die Spritze überfällig gewesen. Uwe C. sollte sie erst zehn Tage später bekommen, berichtet der Vater. Am 27. Juni. Am 20. Juni schreibt der Vater dem Betreuer seines Sohnes, dass „Uwe total komisch und moralisch sei. Ich denke, das liegt an der fehlenden
Spritze.“Am 21. soll der Sohn die Mutter getötet haben.
Die Spritze wirkt gegen die psychotische Erkrankung, wie Retz im Prozess erklärt. Und: „Sie wirkt auch noch nach fünf Wochen.“Und: Die Unruhe könnte auch vom Drogenentzug kommen. Die Erkrankung sei aber im juristischen Sinne sicher als krankhafte seelische Störung einzuordnen.
Hat sie Uwe C. zum Tatzeitpunkt heimgesucht? Der Täter erinnert sich nicht, sagt er. Aber er sei davor ja unruhig gewesen, das zeige die Nachricht des Vaters, sagt Retz. Dazu kämen weitere Hinweise, dass eine „psychische Beeinträchtigung“zum Tatzeitpunkt vorgelegen habe. Die verminderte Schuldfähigkeit sei so zu begründen.
Vollständig aufgehoben sei die Steuerungsfähigkeit aber nicht. Da die psychotische Krankheit immer nur von kurzer Dauer sei, sei keine Unterbringung in der Forensik nötig. Angeklagt ist Uwe C. wegen Totschlags. Plädoyers und Urteil werden für den 18. Januar erwartet.