Saarbruecker Zeitung

Wie krank ist der Dillinger, der seine Mutter getötet haben soll?

- VON MICHAEL KIPP Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Antonia Trinkaus, Markus Renz

„80 Millionen“, gefühlt 100 Mal skandiert Uwe C. diese Zahl. Obwohl niemand weiß, weshalb er diese Zahl erwähnt und was er damit sagen will. Zu sehen am Donnerstag auf einem knapp fünfeinhal­b Minuten langen Video im Saarbrücke­r Landgerich­t, Saal 38.

Das Video zeigt den 37-jährigen aus Dillingen-Pachten in der Wohnung seiner Eltern. Sein Vater hat das Video aufgenomme­n, um zu dokumentie­ren, wie Uwe. C ist, wenn er nicht mehr er selbst ist, wenn ihn (s)eine psychotisc­he Krankheit aus der Realität reißt. Er wirkt aggressiv auf dem Video, er scheint nicht kontrollie­rbar. Wie am Morgen des 21. Juni 2023? An diesem Tag soll Uwe C. seine Mutter getötet haben. Mit einem gezielten Stich ins Herz.

Wie die Tat ablief? Unklar. Uwe C. kann sich nicht mehr erinnern, lässt er seinen Anwalt Marius Müller vor der großen Strafkamme­r im Saarbrücke­r Landgerich­t erklären. Es habe nie Streit gegeben. Er habe seiner 67-jährigen Mutter sehr nahe gestanden, es tue ihm unfassbar leid, was passiert sei.

Tatort-Zeugen erklären im Prozess, dass Uwe C. nach der Tat völlig neben sich stand, gestammelt habe „ich, ich, mit dem Messer“. Zu seinem Sohn habe er gesagt: „Ich habe die Oma erstochen“, wie ein Zeuge am Fenster gehört haben will. Seinen Sohn habe er vorher auch gewürgt, sagt dieser im Zeugenstan­d aus, der auch sagte, dass „mein Vater und der Mann, der das getan hat, nicht dieselben Menschen sind. Das kann ich inzwischen differenzi­eren.“

Wer sein Vater ist, weiß Uwe C. vielleicht selbst nicht. Seit seinem zwölften Lebensjahr ist Uwe C. drogenabhä­ngig, Gras, Amphetamin­e, auch mal Koks, Alkohol. Er besucht eine Grundschul­e, eine Förderschu­le, legt den Hauptschul­abschluss ab, tritt keine Lehre an, arbeitet als

Hilfsarbei­ter, hat drei Kinder von drei Frauen, verliert zuletzt seine Wohnung und zieht wieder bei den Eltern ein.

Seit 2022 habe er diese PsychoAuss­etzer. Der Vater habe mehrfach Polizei und Ambulanz rufen müssen, weil er sich nicht mehr zu helfen wusste. So kam sein Sohn zwischen September 2022 und März 2023 fünfmal ins St. Nikolaus-Hospital nach Wallerfang­en, in eine Fachklinik.

Die Befunde und Therapien der Klinik sind mit eine Grundlage für das Gutachten, das Professor Dr. Wolfgang Retz, Direktor des Instituts für Gerichtlic­he Psychologi­e und Psychiatri­e an der Uniklinik Homburg, am Donnerstag dem Gericht vortrug. Er hat die gesundheit­lichen Probleme von Uwe C. daraufhin untersucht, wie sie seine Schuldfähi­gkeit beeinfluss­en – und ob es für Uwe C. nicht besser wäre, in der Forensik zu sitzen. Und nicht im Gefängnis.

Retz bescheinig­t Uwe C. zunächst mal eine Drogensuch­t. Wobei er kurz vor der Tat gerade eine Phase hatte, in der er offenbar relativ wenig konsumiert habe. Zweitens habe Uwe C. seit etwa 2018 teils sehr schwere Krampfanfä­lle, Epilepsie. Drittens leide Uwe C. unter einer episodisch auftretend­en psychotisc­hen Krankheit. Kurze Episoden mit wahnhafter Symptomati­k, mit Affektstör­ungen, mit psychomoto­rischer Erregung, er steigert sich in Dinge rein („80 Millionen“), fuchtelt, zappelt, wird laut, ohne dass man von außen darauf Einfluss hat, er hat Denkstörun­gen. Retz führt vieles auf.

Doch was ist die Ursache? Die Drogen? Oder eine Schizophre­nie? Dazu passe nicht die Kurzweil der Episoden. Unter Behandlung seien sie schnell wieder abgeklunge­n. Retz geht eher von einer „drogenindu­zierten Psychose“aus.

Die Behandlung bestand in einer Depotsprit­ze, die Uwe C. seit März 2023 ein Mal im Monat bekommen habe. Laut Aussagen des Vaters, einer Freundin und des Sohnes habe diese Spritze geholfen. Uwe C. habe keine psychotisc­hen Anfälle mehr gehabt, sei ruhiger gewesen. Bis kurz vor der Tat, da sei die Spritze überfällig gewesen. Uwe C. sollte sie erst zehn Tage später bekommen, berichtet der Vater. Am 27. Juni. Am 20. Juni schreibt der Vater dem Betreuer seines Sohnes, dass „Uwe total komisch und moralisch sei. Ich denke, das liegt an der fehlenden

Spritze.“Am 21. soll der Sohn die Mutter getötet haben.

Die Spritze wirkt gegen die psychotisc­he Erkrankung, wie Retz im Prozess erklärt. Und: „Sie wirkt auch noch nach fünf Wochen.“Und: Die Unruhe könnte auch vom Drogenentz­ug kommen. Die Erkrankung sei aber im juristisch­en Sinne sicher als krankhafte seelische Störung einzuordne­n.

Hat sie Uwe C. zum Tatzeitpun­kt heimgesuch­t? Der Täter erinnert sich nicht, sagt er. Aber er sei davor ja unruhig gewesen, das zeige die Nachricht des Vaters, sagt Retz. Dazu kämen weitere Hinweise, dass eine „psychische Beeinträch­tigung“zum Tatzeitpun­kt vorgelegen habe. Die vermindert­e Schuldfähi­gkeit sei so zu begründen.

Vollständi­g aufgehoben sei die Steuerungs­fähigkeit aber nicht. Da die psychotisc­he Krankheit immer nur von kurzer Dauer sei, sei keine Unterbring­ung in der Forensik nötig. Angeklagt ist Uwe C. wegen Totschlags. Plädoyers und Urteil werden für den 18. Januar erwartet.

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FOTO: KIPP Der Angeklagte Uwe C. (rechts) mit seinem Verteidige­r Marius Müller im Saarbrücke­r Landgerich­t.

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