Amtsgericht zieht die Personal-Notbremse
Die Strafrichter am Amtsgericht Saarbrücken können ihre Arbeit nicht richtig machen, weil Personal für die Verwaltung fehlt. Richter wollen nun wochenlang deutlich weniger neue Verhandlungen ansetzen, um Rückstände aufzuholen.
Michael Rehberger ist Stammgast im Amtsgericht Saarbrücken. Als Strafverteidiger kennt er die Mitarbeiter und die Zustände dort bestens. Was er seit einiger Zeit in der Strafabteilung des Gerichts (13 Richterstellen) erlebt, findet er „verheerend“. Der SZ sagte er: „Ich habe in den letzten Monaten viele Dinge erleben müssen, die wirklich schlimm sind. Die Geschäftsstellen sind fast nie besetzt. Oft ist kein Mitarbeiter da.“Die Folge: „Die Akten stapeln sich meterhoch, und die Fächer für die Richter sind leer. Verfügungen der Richter – wie die Einleitung der Strafvollstreckung – bleiben monatelang liegen. Mehrere Richter haben mir persönlich diese Missstände gezeigt.“Die Konsequenzen seien fast jeden Tag zu spüren, sagt Rehberger. „Termine, die abgestimmt sind, müssen ausfallen, da keine Schöffen geladen sind oder auch keine Zeugen geladen wurden. In anderen Verfahren können keine Zwangsmittel gegen ausgebliebene Zeugen oder Angeklagte erfolgen, da die Zustellung der Ladung nicht nachweisbar ist.
Termine fallen aus und müssen dann neu terminiert werden. Akten
sind nicht mehr auffindbar. Verfügungen werden nicht ausgeführt.“Es sei schon vorgekommen, dass ein Mandant zum Strafantritt geladen wurde, obwohl er Berufung eingelegt habe – weil die Berufung nicht zugeordnet worden sei.
Rehbergers Berichte decken sich mit Schilderungen von Richtern des Amtsgerichts und anderer Anwälte. Auch die Deutsche Justiz-Gewerkschaft, die das Verwaltungspersonal in den Gerichten vertritt, bestätigt „schwierige Zustände“am Amtsgericht Saarbrücken.
Unstrittig ist: Die Zahl der unerledigten Fälle am Amtsgericht Saarbrücken ist 2023 gestiegen. Zu Beginn des Jahres waren nach Angaben von Richter Michael Wernet, Pressesprecher des Gerichts, 1387 Strafverfahren anhängig, zum Jahresende waren
es nach 4172 Neueingängen und 3412 Verfahrensabschlüssen dann spürbar mehr: 2147.
Rehberger berichtet, nun werde es ab Mitte Januar eine vierwöchige „Terminierungspause“geben, in denen Richter möglichst wenige Verhandlungen ansetzen, um Rückstände aufzuarbeiten. „Alle Richter
des Amtsgerichts haben mich darüber informiert.“Mitarbeiter, die ansonsten im Gerichtssaal das Protokoll führen, sollen dann in den Geschäftsstellen aushelfen.
Eine Terminierungspause? Gerichtssprecher Wernet erklärt: „Vor dem Hintergrund erheblicher krankheitsbedingter Ausfälle“sei aus dem Kreis der Geschäftsstellen der Vorschlag gekommen, „für die Dauer eines Monats nur nicht aufschiebbare Termine anzusetzen“. Einer der Strafrichter habe diesen Vorschlag „den Richterinnen und Richtern der Strafabteilung per E-Mail zur Kenntnis gebracht“. Wernet: „Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Terminierung von Hauptverhandlungen der richterlichen Unabhängigkeit unterfällt. Eine generelle ‚Verhandlungspause` findet im neuen Jahr nicht statt. Die Richterinnen und Richter können Verfahren jederzeit terminieren.“
Richter Wernet weist darauf hin, dass den Personalengpässen umgehend begegnet worden sei: Zum 1. Dezember habe das Saarländische Oberlandesgericht (OLG) sieben übernommene Anwärterinnen und Anwärter nach ihrer Prüfung dem Amtsgericht Saarbrücken zugewiesen. Bereits ab August 2023 habe das OLG dem Amtsgericht Saarbrücken für den Bereich der Strafabteilung zusätzlich einen in Strafsachen erfahrenen Beamten zugewiesen, der außerplanmäßig zur Verfügung stand.
„Aktuell konnten aus einem vorhandenen Bewerberkreis zudem sechs Tarifbeschäftigte befristet eingestellt werden, die vornehmlich zur Unterstützung in Strafsachen beim Amtsgericht Saarbrücken eingesetzt werden“, sagte Wernet. Zugleich habe das Amtsgericht Saarbrücken eine weitere Stellenausschreibung für Tarifbeschäftigte veranlasst, um auf unvorhersehbare Belastungsspitzen auch im neuen Jahr reagieren zu können. Der Landesvorsitzende der Justiz-Gewerkschaft, Dirk Biegel, erkennt die Bemühungen an: „Es wird gemacht, was geht.“So schnell sei aber kein neues Personal zu bekommen, und die Bewerberzahlen seien rückläufig.
Strafverteidiger Michael Rehberger befürchtet, dass der Staat ein ganz grundsätzliches Problem bekommt, wenn Personal in der Justiz fehlt: „Der Respekt gegenüber der Polizei geht verloren und auch vor der Strafjustiz insgesamt. Wenn Straftaten nicht Reaktionen hervorrufen, dann ist dies eine Einladung Straftaten zu begehen. Hier muss sich schnell und gravierend etwas ändern.“
„Der Respekt gegenüber der Polizei geht verloren und auch vor der Strafjustiz insgesamt. (...) Hier muss sich schnell und gravierend etwas ändern.“Michael Rehberger Saarbrücker Strafverteidiger