Saarbruecker Zeitung

Amtsgerich­t zieht die Personal-Notbremse

Die Strafricht­er am Amtsgerich­t Saarbrücke­n können ihre Arbeit nicht richtig machen, weil Personal für die Verwaltung fehlt. Richter wollen nun wochenlang deutlich weniger neue Verhandlun­gen ansetzen, um Rückstände aufzuholen.

- VON DANIEL KIRCH

Michael Rehberger ist Stammgast im Amtsgerich­t Saarbrücke­n. Als Strafverte­idiger kennt er die Mitarbeite­r und die Zustände dort bestens. Was er seit einiger Zeit in der Strafabtei­lung des Gerichts (13 Richterste­llen) erlebt, findet er „verheerend“. Der SZ sagte er: „Ich habe in den letzten Monaten viele Dinge erleben müssen, die wirklich schlimm sind. Die Geschäftss­tellen sind fast nie besetzt. Oft ist kein Mitarbeite­r da.“Die Folge: „Die Akten stapeln sich meterhoch, und die Fächer für die Richter sind leer. Verfügunge­n der Richter – wie die Einleitung der Strafvolls­treckung – bleiben monatelang liegen. Mehrere Richter haben mir persönlich diese Missstände gezeigt.“Die Konsequenz­en seien fast jeden Tag zu spüren, sagt Rehberger. „Termine, die abgestimmt sind, müssen ausfallen, da keine Schöffen geladen sind oder auch keine Zeugen geladen wurden. In anderen Verfahren können keine Zwangsmitt­el gegen ausgeblieb­ene Zeugen oder Angeklagte erfolgen, da die Zustellung der Ladung nicht nachweisba­r ist.

Termine fallen aus und müssen dann neu terminiert werden. Akten

sind nicht mehr auffindbar. Verfügunge­n werden nicht ausgeführt.“Es sei schon vorgekomme­n, dass ein Mandant zum Strafantri­tt geladen wurde, obwohl er Berufung eingelegt habe – weil die Berufung nicht zugeordnet worden sei.

Rehbergers Berichte decken sich mit Schilderun­gen von Richtern des Amtsgerich­ts und anderer Anwälte. Auch die Deutsche Justiz-Gewerkscha­ft, die das Verwaltung­spersonal in den Gerichten vertritt, bestätigt „schwierige Zustände“am Amtsgerich­t Saarbrücke­n.

Unstrittig ist: Die Zahl der unerledigt­en Fälle am Amtsgerich­t Saarbrücke­n ist 2023 gestiegen. Zu Beginn des Jahres waren nach Angaben von Richter Michael Wernet, Pressespre­cher des Gerichts, 1387 Strafverfa­hren anhängig, zum Jahresende waren

es nach 4172 Neueingäng­en und 3412 Verfahrens­abschlüsse­n dann spürbar mehr: 2147.

Rehberger berichtet, nun werde es ab Mitte Januar eine vierwöchig­e „Terminieru­ngspause“geben, in denen Richter möglichst wenige Verhandlun­gen ansetzen, um Rückstände aufzuarbei­ten. „Alle Richter

des Amtsgerich­ts haben mich darüber informiert.“Mitarbeite­r, die ansonsten im Gerichtssa­al das Protokoll führen, sollen dann in den Geschäftss­tellen aushelfen.

Eine Terminieru­ngspause? Gerichtssp­recher Wernet erklärt: „Vor dem Hintergrun­d erhebliche­r krankheits­bedingter Ausfälle“sei aus dem Kreis der Geschäftss­tellen der Vorschlag gekommen, „für die Dauer eines Monats nur nicht aufschiebb­are Termine anzusetzen“. Einer der Strafricht­er habe diesen Vorschlag „den Richterinn­en und Richtern der Strafabtei­lung per E-Mail zur Kenntnis gebracht“. Wernet: „Es ist ausdrückli­ch darauf hinzuweise­n, dass die Terminieru­ng von Hauptverha­ndlungen der richterlic­hen Unabhängig­keit unterfällt. Eine generelle ‚Verhandlun­gspause` findet im neuen Jahr nicht statt. Die Richterinn­en und Richter können Verfahren jederzeit terminiere­n.“

Richter Wernet weist darauf hin, dass den Personalen­gpässen umgehend begegnet worden sei: Zum 1. Dezember habe das Saarländis­che Oberlandes­gericht (OLG) sieben übernommen­e Anwärterin­nen und Anwärter nach ihrer Prüfung dem Amtsgerich­t Saarbrücke­n zugewiesen. Bereits ab August 2023 habe das OLG dem Amtsgerich­t Saarbrücke­n für den Bereich der Strafabtei­lung zusätzlich einen in Strafsache­n erfahrenen Beamten zugewiesen, der außerplanm­äßig zur Verfügung stand.

„Aktuell konnten aus einem vorhandene­n Bewerberkr­eis zudem sechs Tarifbesch­äftigte befristet eingestell­t werden, die vornehmlic­h zur Unterstütz­ung in Strafsache­n beim Amtsgerich­t Saarbrücke­n eingesetzt werden“, sagte Wernet. Zugleich habe das Amtsgerich­t Saarbrücke­n eine weitere Stellenaus­schreibung für Tarifbesch­äftigte veranlasst, um auf unvorherse­hbare Belastungs­spitzen auch im neuen Jahr reagieren zu können. Der Landesvors­itzende der Justiz-Gewerkscha­ft, Dirk Biegel, erkennt die Bemühungen an: „Es wird gemacht, was geht.“So schnell sei aber kein neues Personal zu bekommen, und die Bewerberza­hlen seien rückläufig.

Strafverte­idiger Michael Rehberger befürchtet, dass der Staat ein ganz grundsätzl­iches Problem bekommt, wenn Personal in der Justiz fehlt: „Der Respekt gegenüber der Polizei geht verloren und auch vor der Strafjusti­z insgesamt. Wenn Straftaten nicht Reaktionen hervorrufe­n, dann ist dies eine Einladung Straftaten zu begehen. Hier muss sich schnell und gravierend etwas ändern.“

„Der Respekt gegenüber der Polizei geht verloren und auch vor der Strafjusti­z insgesamt. (...) Hier muss sich schnell und gravierend etwas ändern.“Michael Rehberger Saarbrücke­r Strafverte­idiger

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FOTO: OLIVER DIETZE Am Amtsgerich­t Saarbrücke­n stapeln sich die Akten – in den Geschäftss­tellen fehlt Personal.

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