Sorge vor Eskalation nach US-Attacken im Jemen
Die USA und Großbritannien haben aus der Luft militärische Ziele im Jemen angegriffen. Es ist eine Reaktion auf die Raketenangriffe der Huthi-Rebellen im Roten Meer. Ziel ist die für den Welthandel wichtige Route sicherer zu machen – ob das gelingt, ist fraglich.
WASHINGTON Die USA riskieren mit ihren Luftschlägen gegen die HuthiRebellen im Jemen eine Ausweitung des Gaza-Krieges auf die Arabische Halbinsel. Als Reaktion auf die Huthi-Angriffe auf Schiffe im Roten Meer nahmen amerikanische Kampfflugzeuge und Schiffsraketen in der Nacht zum Freitag mehr als ein Dutzend Stützpunkte der iranisch unterstützten Huthis im Jemen unter Beschuss. Auch britische Kampfjets waren beteiligt. Die Huthis erklärten, fünf Menschen seien getötet worden, und kündigten Vergeltung an. Als nächste Eskalationsstufe sind nach Einschätzung von Experten auch Angriffe der Huthis auf US-Militärstützpunkte in der Golfregion möglich.
Die Huthis, die große Teile des Jemen beherrschen, haben seit November mehr als zwei Dutzend Schiffe im Roten Meer mit Raketen und Drohnen beschossen, um die Terrororganisation Hamas in ihrem Krieg gegen Israel in Gaza zu unterstützen. Die Angriffe schaden dem Welthandel, weil viele Reedereien das Rote Meer und damit den SuezKanal meiden und stattdessen für Fahrten zwischen Asien und Europa die viel längere Route um Afrika herum wählen. Die USA stellten im Dezember eine internationale Kriegsflotte auf, um die Huthi-Angriffe abzuwehren; seitdem starben bei Seegefechten mindestens zehn Huthi-Kämpfer.
Nun griffen die USA und Großbritannien von Flugzeugen, Kriegsschiffen und U-Booten aus mehr als ein Dutzend Raketen- und Marinestützpunkte der Huthis im Jemen und Ziele in der Hauptstadt Sanaa an. Laut den Huthis schlugen insgesamt 73 Geschosse ein. Offen blieb am Freitag, ob die Angriffe weitergehen sollen. US-Präsident Joe Biden erklärte, er werde nicht zögern, weitere „Maßnahmen“anzuordnen. Dagegen hieß es im britischen Verteidigungsministerium, zusätzliche Angriffe seien nicht vorgesehen. Zuletzt hatten die USA im März 2016 eine Militäreinrichtung der Huthis im Jemen beschossen.
Huthi-Sprecher drohten den USA mit „Strafe und Vergeltung“. Die Rebellen wollen auch weiter Schiffe im Roten Meer angreifen. Mohammed al-Buchaiti, ein Mitglied der HuthiFührung, sagte nach einer Meldung der iranischen Nachrichtenagentur Irna, die USA und Großbritannien würden bald erkennen, „dass ihre direkte Invasion des Jemen ihr größter Fehler der Geschichte“war. Der Iran, der die Huthis mit Waffen ausstattet, kritisierte die westlichen Angriffe als Bruch des Völkerrechts. Ähnlich äußerte sich Russland, das eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates verlangte.
Militärisch dürften die Huthis durch die Luftangriffe nicht stark zurückgeworfen worden sein. Die schiitischen Rebellen widerstanden in dem von Saudi-Arabien begonnenen Jemen-Krieg seit 2015 fast ein Jahrzehnt lang den Luftangriffen einer westlich ausgerüsteten Armee. Raketen und Drohnen der Huthis können Ziele in Israel und den GolfStaaten erreichen.
Zudem haben die Huthis im langen Krieg gegen die Saudis gelernt, ihre Waffen auf viele Stützpunkte zu verteilen und gut zu tarnen. Er glaube nicht, dass Raketen- und Drohnenarsenale durch die Angriffe von USA und Großbritannien vernichtet worden seien, schrieb Ibrahim Jalal, Jemen-Experte des Nahost-Instituts in Washington, auf Twitter. Jalal hält Huthi-Angriffe auf US-Stützpunkte ebenso für möglich wie koordinierte Angriffe der Huthis und anderer proiranischer Gruppen im Nahen Osten: US-Truppen am Golf, in Syrien und im Irak könnten gleichzeitig unter Beschuss geraten.
Die Amerikaner und ihre Verbündeten steckten in einem Dilemma, sagt Magdalena Kirchner, Jemen-Expertin bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie wollten den Jemen-Krieg nicht neu anfachen, müssten aber auch erkennen, dass bisherige Versuche, die Huthis von Angriffen auf die Schifffahrt abzubringen, gescheitert seien.
Politisch dürften die Luftangriffe dem Westen nichts bringen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese militärischen Schläge einen Politikwechsel auf Seiten der Rebellen oder ihrer Verbündeten in Teheran erwirken können“, sagte Kirchner unserer Zeitung. „Zumal sie innenpolitisch Wasser auf die Mühlen der Huthis sind, die ideologisch die Auseinandersetzung mit dem Westen suchen und diese nun für die eigene Propaganda ausschlachten können.“
Kirchner verwies zudem darauf, dass die Angriffe im Jemen die westlichen Verbündeten in der arabischen Welt nervös machen. Saudi-Arabien verhandelt derzeit mit den Huthis über ein Ende des Jemen-Krieges. Nun aber müssten die Nachbarn des Jemen „Angst um laufende Friedens- oder zumindest Normalisierungsbemühungen mit den Huthis haben“, sagte Kirchner. Die saudische Regierung erklärte am Freitag, sie verfolge die Entwicklung im Jemen mit „großer Sorge“.