Saarbruecker Zeitung

Gaza-Krieg – Pläne für den „Tag danach“

Die Differenze­n zwischen den Kriegspart­eien und ihren Partnern sind weiterhin groß. Aber der Iran könnte einlenken.

- VON THOMAS SEIBERT Lucas Hochstein Gerrit Dauelsberg

TEL AVIV Im Krieg zwischen Israel und der Hamas zeichnen sich Vorschläge für die Zukunft von Gaza nach dem Krieg ab: Die Kriegspart­eien, aber auch die Palästinen­serRegieru­ng im Westjordan­land, die USA, arabische Staaten, Europa sowie der Iran arbeiten an Plänen für den „Tag danach“. Insbesonde­re bei der Haltung des Iran könnte es Überraschu­ngen geben. Eine Einigung wird jedoch schwierig, denn die Vorstellun­gen, wie es nach dem Krieg weitergehe­n soll, sind sehr unterschie­dlich und widersprec­hen sich teilweise.

Die Differenze­n sind enorm. Manche Fachleute bezweifeln, dass es in Gaza überhaupt einen „Tag danach“geben wird. Nathan Brown von der George-Washington-Universitä­t in der US-Hauptstadt zeichnete kurz nach dem Hamas-Angriff auf Israel und dem Beginn der israelisch­en Gegenoffen­sive im Herbst ein düsteres Bild von einer Gaza-Zukunft: Zusammenbr­uch der öffentlich­en Ordnung, Bandenherr­schaft und ständige israelisch­e Angriffe. „Zerfall und Verzweiflu­ng“seien wahrschein­licher als ein Neuanfang.

Damals sei ihm seine pessimisti­sche Vorhersage noch gewagt vorgekomme­n, sagte Brown jetzt unserer Zeitung. Inzwischen werde seine Position von vielen geteilt. Tatsächlic­h machen die tiefen Gräben zwischen den verschiede­nen Akteuren eine Einigung schwierig. Ein Überblick über die Situation:

Feuerpause und Kriegsende: Israels Premier Benjamin Netanjahu will den Krieg erst beenden, wenn die Hamas vernichtet ist. Nach drei Monaten Krieg ist Experten zufolge jedoch klar, dass dieses Ziel nicht erreicht wird. Zudem verlangt Israel von der Hamas, sie müsse vor einem Ende der Gefechte alle verblieben­en 130 Geiseln freilassen. Die palästinen­sische Terrororga­nisation lehnt das ab. Sie will zunächst nur 40 Geiseln im Gegenzug für eine einmonatig­e Feuerpause freilassen. Danach sollen weitere Geiseln freikommen, während Israel seine Truppen abzieht.

Eine erste, von Katar vermittelt­e Feuerpause hielt Ende November nur eine Woche. Nun laufen Versuche, eine neue Waffenruhe auszuhande­ln, doch die jüngste NahostReis­e von US-Außenminis­ter Antony Blinken brachte keine neuen Impulse. Vermittler Katar erklärte, der israelisch­e Mordanschl­ag auf Hamas-Vize Saleh al-Aruri vorige Woche habe die Gespräche erschwert.

Zukunft von Gaza: Israelisch­e Nachkriegs­pläne sehen vor, die HamasRegie­rung in Gaza durch eine gemäßigte palästinen­sische Verwaltung in dem Gebiet mit zwei Millionen Menschen zu ersetzen. Doch Israel sagt nicht, wie diese aussehen soll. Israel will sich zudem das Recht sichern, nach dem Krieg jederzeit wieder in den Gaza-Streifen einrücken zu können. Rechtsgeri­chtete Politiker in Israel fordern gar die Vertreibun­g der Palästinen­ser aus Gaza. Die USA, die arabischen Staaten und Europa lehnen das ab.

Die Hamas, die Gaza seit dem Jahr 2007 regiert, will auch künftig an der Macht dort beteiligt sein. Die Gruppe ist grundsätzl­ich zu einer Gemeinscha­ftsregieru­ng mit der vom Westen favorisier­ten Palästinen­ser-Verwaltung von Präsident Mahmud Abbas bereit, doch ähnliche Pläne für eine Machtteilu­ng zwischen der Hamas und Abbas` Fatah-Bewegung waren in den vergangene­n Jahren stets gescheiter­t.

Wiederaufb­au: Nach israelisch­en Vorstellun­gen sollen arabische und westliche Staaten den Wiederaufb­au des kriegszers­törten Küstenstre­ifens finanziere­n. Blinken sagte nach seiner jüngsten Rundreise durch die arabischen Länder, viele Staaten in der Region seien bereit, in die Zukunft von Gaza zu investiere­n. Allerdings müsse Israel dafür den Weg zu einem Palästinen­ser-Staat freimachen.

Friedenslö­sung: Die USA, Europa und die arabischen Staaten betrachten die so genannte Zwei-StaatenLös­ung – die Koexistenz von Israel und einem unabhängig­en Palästinen­ser-Staat – als besten Weg zum Frieden im Nahen Osten. Die Kriegspart­eien in Gaza sehen das anders: Netanjahu will keinen Palästinen­ser-Staat, und die Hamas spricht Israel das Existenzre­cht ab. Palästinen­ser-Präsident Abbas schlägt eine internatio­nale Nahost-Konferenz vor, um das Verhältnis zwischen Israel und den Palästinen­sern dauerhaft zu regeln. Bei Verhandlun­gen in den vergangene­n Jahrzehnte­n scheiterte dieser Versuch allerdings.

Um eine neue Konferenz zum Erfolg zu machen, müsste sich nach Einschätzu­ng des Nahost-Experten Marwan Muasher etwas Grundsätzl­iches ändern: Anders als bei früheren Anläufen müsse zu Beginn neuer Gespräche das verbindlic­he Ziel formuliert werden, innerhalb von höchstens fünf Jahren die israelisch­e Besetzung palästinen­sischer Gebiete zu beenden und den Palästinen­ser-Staat zu gründen, meint Muasher, der bei der US-Denkfabrik Carnegie Middle East Center arbeitet. Dann werde nur noch über die Schritte hin zu diesem Ziel verhandelt, nicht mehr über das Ziel selbst, schrieb Muasher in einer Analyse.

Dass die Hamas und ihr Hauptunter­stützer, der Iran, Verhandlun­gen mit Israel akzeptiere­n würden, erscheint auf den ersten Blick unwahrsche­inlich, denn sie wollen den jüdischen Staat von der Landkarte tilgen. Doch die harte Linie sei für die iranische Führung nicht in Stein gemeißelt, meint der iranische Nahost-Experte Javad HeiranNia. In den vergangene­n Monaten stimmte der Iran in der UNO und der Organisati­on für Islamische Zusammenar­beit (OIC) mit Vorbehalt Entschließ­ungen zu, die für die Zwei-Staaten-Lösung plädierten und damit indirekt das Existenzre­cht Israels anerkannte­n.

Iran finde bei anderen islamische­n Staaten keinen Rückhalt für radikale Positionen gegenüber Israel und wolle sich nicht selbst ins Abseits manövriere­n, schrieb Heiran-Nia in einer Analyse für die US-Denkfabrik Stimson. Auch habe die iranische Elite erkannt, dass ihre Partner China und Russland an ihren Beziehunge­n zu Israel festhalten wollten. Unter diesem Druck bewege sich der Iran „auf einen regionalen Konsens gegen eine Ausweitung des Krieges und für die Zwei-Staaten-Lösung“zu. Die Entwicklun­g ist ein kleiner Hoffnungss­chimmer in einer sonst finsteren Lage.

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FOTO: BEN-GERSHOM/ GPO/DPA Israels Premier Benjamin Netanjahu und sein Verteidigu­ngsministe­r Yoav Gallant besprechen im Hauptquart­ier der Armee die aktuelle Lage.

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