Saarbruecker Zeitung

Manche Kampfbegri­ffe der Rechten klingen zunächst harmlos

Wenn Parlamenta­rier Begriffe verwenden, die von Rechtsextr­emisten geprägt wurden, sei Vorsicht geboten, warnen Wissenscha­ftler.

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

BERLIN (dpa) Wenn in rechten Kreisen von „Globaliste­n“und „Remigratio­n“die Rede ist, wissen Gleichgesi­nnte und Extremismu­sexperten gleich, was gemeint ist. Für Außenstehe­nde, die sich mit dem Szene-Vokabular nicht auskennen, klingen diese Begriffe womöglich erst einmal harmlos, vielleicht sogar wissenscha­ftlich. Das wird nach Bekanntwer­den des Treffens rechter Aktivisten und Extremiste­n in Potsdam deutlich. Dabei verbirgt sich hinter dem „Globalismu­s“die – oft antisemiti­sch gefärbte – Verschwöru­ngserzählu­ng, eine globale Elite arbeite angeblich im Geheimen an einer Zerstörung nationaler und kulturelle­r Identitäte­n.

„Remigratio­n“bedeutet im rechtsextr­emistische­n Kontext, dass eine große Zahl von Menschen ausländisc­her Herkunft das Land verlassen soll – unter Umständen auch unter Zwang. Dabei ist der Begriff gleichzeit­ig so vage, dass man – etwa wenn eine Klage droht – zumindest versuchen kann, sich damit herauszure­den, man ziele beispielsw­eise nur auf eine bessere Durchsetzu­ng der Ausreisepf­licht von Menschen ohne Aufenthalt­srecht ab.

Zudem kann das Wort je nach Kontext eine ganz unterschie­dliche Bedeutung haben. Beispielsw­eise hat ein Historiker-Forschungs­team der Freien Universitä­t Berlin die „Remigratio­n deutscher Jüdinnen und Juden aus Lateinamer­ika in die Bundesrepu­blik Deutschlan­d zwischen 1945 bis etwa 1970“untersucht.

Besonders augenfälli­g sind die Bestrebung­en einiger Politiker, rechte Kampfbegri­ffe in den allgemeine­n Diskurs einzuspeis­en, wenn über Migranten gesprochen wird. Da ist beispielsw­eise von „Invasoren“die Rede. Der Begriff schürt Ängste. Der innenpolit­ische Sprecher der AfDBundest­agsfraktio­n, Gottfried Curio, spricht von einem „Ansturm“und von „illegalen Migranten“.

Der Sachverstä­ndigenrat für Integratio­n und Migration (SVR) warnt vor der Verwendung solcher Begriffe. Er empfiehlt, nicht von illegalen oder irreguläre­n Migranten zu sprechen, sondern von „irregulär aufhältige­n Migrantinn­en und Migranten“.

In einer Pressemitt­eilung zur Einstufung der sächsische­n AfD als gesichert rechtsextr­emistische Bestrebung führt das Landesamt für Verfassung­sschutz des Freistaats aus: „Führende Vertreter der Landespart­ei verwenden in diesem Kontext im öffentlich­en Diskurs regelmäßig ideologisc­he Kampfbegri­ffe der rechtsextr­emistische­n Szene, wie „Der Große Austausch“, „Umvolkung“oder die Forderung nach „Remigratio­n“. Auch diese Begriffe verbergen ihren rassistisc­hen Kern und ihre Urhebersch­aft im Nationalso­zialismus.“

Besonders problemati­sch wird es, wenn sich auch demokratis­che Politiker rechtspopu­listischer Rhetorik bedienen. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer antwortete im vergangene­n Dezember in einem Interview auf die Frage, welchen Effekt dies habe: „Das Gefährlich­e ist, dass die Übernahme von rechter Rhetorik dazu führt, dass sie sich normalisie­rt. Und was erst mal als normal gilt, kann nachher kaum noch problemati­siert werden.“

Bemühten sich führende Parteifunk­tionäre in den Anfangsjah­ren noch, eine Verwendung bestimmter problemati­scher Begriffe durch AfD-Mitglieder in der Öffentlich­keit zu verhindern, sieht die Strategie inzwischen anders aus. Begriffe, die zum Jargon der sogenannte­n Neuen Rechten gehören – dazu zählt der Verfassung­sschutz Gruppierun­gen wie das Institut für Staatspoli­tik in Sachsen-Anhalt, den Verein Ein Prozent und das Magazin „Compact“– finden sich teilweise inzwischen auch in Reden, die AfD-Abgeordnet­e im Plenarsaal des Bundestage­s halten. Ruben Rupp, Abgeordnet­er der AfD im baden-württember­gischen Landtag, sagt, es sei nötig, „die Remigratio­n schnell und entschiede­n durchzufüh­ren“. Gleichzeit­ig bemühen sich Politiker der AfD, Zweifel daran zu nähren, dass es dem Verfassung­sschutz in Bund und Ländern um die

Sicherung der freiheitli­chen demokratis­chen Grundordnu­ng geht.

So kritisiert­e etwa der Abgeordnet­e Martin Reichardt im vergangene­n November, dass ins Visier des Verfassung­sschutzes gerate, „wer in diesem Land von Umvolkung spricht“. Sven Kachelmann von der AfD-Nachwuchso­rganisatio­n, Junge Alternativ­e, beklagte bereits 2019, dass ein ethnisch-kulturelle­r Volksbegri­ff – „pauschal als verfassung­sfeindlich angesehen wird“.

Außerdem versuchen Politikeri­nnen und Politiker der AfD den Eindruck zu erwecken, die Kritik an der Verwendung von Begriffen aus der rechten Szene sei keine Warnung vor dem Einsickern extremisti­schen Gedankengu­ts, sondern bloß überzogene politische Korrekthei­t. Der Ehrenvorsi­tzende der AfD, Alexander Gauland, führte 2019 aus: „Wir, die AfD, treten dafür ein, dass Meinungsfr­eiheit nicht nur erhalten bleibt, sondern kämpfen gegen die sogenannte political correctnes­s und Tabuthemen, die uns links-grüne Ideologen mit erhobenem Zeigefinge­r aufzwingen wollen.“

Renate Köcher, die Geschäftsf­ührerin des Meinungsfo­rschungsin­stituts Allensbach, ist zwar auch eine Kritikerin von verengten Meinungsko­rridoren. In einem Aufsatz für „Libertas – Jahrbuch für Meinungsfr­eiheit“führte sie 2021 aus, es sei schlecht, wenn „die Bürger den Eindruck haben, dass sie immer mehr beobachtet und bewertet werden und einem oft kleinteili­gen Erziehungs­prozess ausgesetzt sind – und sei es auch mit den besten Absichten“. Das bedeutet aus ihrer Sicht aber nicht, dass jeder alles sagen und sogar Hass und Hetze verbreiten könne. Köcher argumentie­rt, es sei etwas ganz anderes, wenn sich eine Gesellscha­ft „allgemein akzeptiert­en und für sinnvoll gehaltenen Normen unterwirft“.

Unterdesse­n leitete der nordrhein-westfälisc­he CDU-Kreisverba­nd Oberberg ein Parteiauss­chlussverf­ahren gegen ein Mitglied ein. Das bestätigte der Vorsitzend­e, Carsten Brodesser, der dpa.

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