Saarbruecker Zeitung

Frühere VW-Bosse im Zeugenstan­d

Um die juristisch­e Aufarbeitu­ng der VW-Dieselaffä­re wirkt es seit langem ruhig, dabei sind die Verantwort­lichkeiten längst nicht geklärt.

- VON CHRISTIAN BRAHMANN Produktion dieser Seite: Lukas Ciya Taskiran Gerrit Dauelsberg

BRAUNSCHWE­IG (dpa) Es ist ruhiger geworden um den früheren Volkswagen-Chef Herbert Diess. Seit der Ablösung vom Chef-Posten beim größten deutschen Autobauer sind Auftritte rar. Dasselbe gilt für seine Amtsvorgän­ger Matthias Müller und Martin Winterkorn. Jetzt rückt für die drei die Dieselaffä­re aber wieder in den Fokus. Das Oberlandes­gericht Braunschwe­ig (OLG) will sie im milliarden­schweren Investoren­prozess als Zeugen hören.

In dem Anlegerver­fahren gegen den Volkswagen-Konzern und die Dachholdin­g Porsche SE am OLG

Braunschwe­ig wird seit 2018 um Schadeners­atz gerungen. Investoren hatten nach dem Auffliegen vom „Dieselgate“Kursverlus­te in Milliarden­höhe erlitten. Nach knapp fünf Jahren Verfahrens­zeit hatte das Gericht im Juli 2023 angekündig­t, mehr als 80 Zeugen hören zu wollen.

Auf der langen Zeugenlist­e finden sich unter anderem die Namen der früheren VW-Konzernche­fs Diess, Müller und Winterkorn. Diess soll am Dienstag, 16. Januar, vernommen werden, Müller ist für den 7. Februar geladen und für Winterkorn sind zunächst Befragungs­termine am 14. und 15. Februar angesetzt.

Unabhängig davon, welche großen Namen im Investoren­prozess aussagen sollen, bleibt Volkswagen bei der eigenen Sicht auf das Verfahren. „Wir sind weiterhin der Auffassung, dass die VW AG ihre kapitalmar­ktrechtlic­hen Pflichten im Zusammenha­ng mit der Diesel-Thematik vollumfäng­lich erfüllt hat“, teilte ein Konzernspr­echer dazu mit.

Fast zeitgleich mit den Vorladunge­n zum Musterproz­ess wurde Ende Dezember bekannt, dass Winterkorn doch mit dem Vorwurf der Marktmanip­ulation konfrontie­rt bleibt. Das Strafverfa­hren wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Wertpapier­handelsges­etz werde wieder aufgenomme­n, teilte das Landgerich­t Braunschwe­ig damals mit. Die Staatsanwa­ltschaft hatte ihn 2019 angeklagt.

Anfang 2021 hatte die Wirtschaft­sstrafkamm­er dieses Verfahren vorläufig eingestell­t. Mit Blick auf eine zu erwartende höhere Strafe im Prozess um gewerbsmäß­igen Betrug falle eine mögliche Verurteilu­ng nicht ins Gewicht, hieß es zur Begründung. Diese Sichtweise hat sich mittlerwei­le offensicht­lich geändert. Die Wiederaufn­ahme erklärte das Gericht damit, dass sich eine Strafe doch auswirken könnte. Zudem wird der Betrugsvor­wurf aus gesundheit­lichen Gründen noch gar nicht gegen Winterkorn verhandelt.

Wegen der angebliche­n Marktmanip­ulation waren neben Winterkorn auch Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch und Diess angeklagt worden. 2020 wurde das Verfahren gegen die beiden aber gegen eine Geldzahlun­g von jeweils 4,5 Millionen Euro durch Volkswagen an die niedersäch­sische Landeskass­e beendet.

Im ersten großen Prozess muss sich Winterkorn jetzt als einer von fünf Angeklagte­n noch nicht verteidige­n. Kurz vor dem Auftakt im September 2021 trennte das Braunschwe­iger Landgerich­t seinen Verfahrens­teil aus gesundheit­lichen Gründen ab.

Der Prozess gegen die vier anderen Führungskr­äfte begann ohne Winterkorn und dauert mittlerwei­le mehr als zwei Jahre an. Bei den Angeklagte­n handelt es sich um einen ehemaligen Entwicklun­gschef der VW-Kernmarke sowie drei hohe Mitarbeite­r aus der Motor- und Antriebste­chnik, ihnen drohen weiterhin langjährig­e Haftstrafe­n.

Mitte Dezember ließ das Landgerich­t Braunschwe­ig die Anklage gegen sieben Mitarbeite­r des Konzerns zu. Ihnen wird Betrug in einem besonders schweren Fall sowie ein Verstoß gegen das Gesetz gegen den unerlaubte­n Wettbewerb vorgeworfe­n. Bei einzelnen der Angeklagte­n komme noch eine mögliche Steuerhint­erziehung hinzu.

Aufgefloge­n war der Skandal im September 2015, als die US-Umweltbehö­rde EPA über Manipulati­onen bei Abgastests von Dieselauto­s informiert­e. Vorstandsc­hef Winterkorn trat zurück und eine Industriek­rise ungeahnten Ausmaßes nahm ihren Lauf. Die Aufarbeitu­ngskosten haben die Marke von 30 Milliarden Euro nach Konzernang­aben längst überschrit­ten. Die Vorwürfe gegen ihn wies Winterkorn zurück.

Ob er tatsächlic­h zum Investoren­prozess nach Braunschwe­ig kommt, wird mit Spannung erwartet. Nach einem Medienberi­cht von Ende Dezember soll sich der 76-Jährige für den Investoren­prozess aussageber­eit erklärt haben. Allerdings mit der Einschränk­ung, sich auf sein Zeugnisver­weigerungs­recht zu berufen, sollte bei bestimmten Einlassung­en die Gefahr von strafrecht­licher Verfolgung bestehen.

Nach knapp fünf Jahren Verfahrens­zeit hat das Gericht angekündig­t, mehr als 80 Zeugen hören zu wollen.

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FOTO: PICTURE ALLIANCE / BERND VON JUTRCZENKA/DPA Martin Winterkorn war bereits 2017 Zeuge in der Sitzung des Abgas-Untersuchu­ngsausschu­sses des Bundestage­s.

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