Frühere VW-Bosse im Zeugenstand
Um die juristische Aufarbeitung der VW-Dieselaffäre wirkt es seit langem ruhig, dabei sind die Verantwortlichkeiten längst nicht geklärt.
BRAUNSCHWEIG (dpa) Es ist ruhiger geworden um den früheren Volkswagen-Chef Herbert Diess. Seit der Ablösung vom Chef-Posten beim größten deutschen Autobauer sind Auftritte rar. Dasselbe gilt für seine Amtsvorgänger Matthias Müller und Martin Winterkorn. Jetzt rückt für die drei die Dieselaffäre aber wieder in den Fokus. Das Oberlandesgericht Braunschweig (OLG) will sie im milliardenschweren Investorenprozess als Zeugen hören.
In dem Anlegerverfahren gegen den Volkswagen-Konzern und die Dachholding Porsche SE am OLG
Braunschweig wird seit 2018 um Schadenersatz gerungen. Investoren hatten nach dem Auffliegen vom „Dieselgate“Kursverluste in Milliardenhöhe erlitten. Nach knapp fünf Jahren Verfahrenszeit hatte das Gericht im Juli 2023 angekündigt, mehr als 80 Zeugen hören zu wollen.
Auf der langen Zeugenliste finden sich unter anderem die Namen der früheren VW-Konzernchefs Diess, Müller und Winterkorn. Diess soll am Dienstag, 16. Januar, vernommen werden, Müller ist für den 7. Februar geladen und für Winterkorn sind zunächst Befragungstermine am 14. und 15. Februar angesetzt.
Unabhängig davon, welche großen Namen im Investorenprozess aussagen sollen, bleibt Volkswagen bei der eigenen Sicht auf das Verfahren. „Wir sind weiterhin der Auffassung, dass die VW AG ihre kapitalmarktrechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik vollumfänglich erfüllt hat“, teilte ein Konzernsprecher dazu mit.
Fast zeitgleich mit den Vorladungen zum Musterprozess wurde Ende Dezember bekannt, dass Winterkorn doch mit dem Vorwurf der Marktmanipulation konfrontiert bleibt. Das Strafverfahren wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Wertpapierhandelsgesetz werde wieder aufgenommen, teilte das Landgericht Braunschweig damals mit. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn 2019 angeklagt.
Anfang 2021 hatte die Wirtschaftsstrafkammer dieses Verfahren vorläufig eingestellt. Mit Blick auf eine zu erwartende höhere Strafe im Prozess um gewerbsmäßigen Betrug falle eine mögliche Verurteilung nicht ins Gewicht, hieß es zur Begründung. Diese Sichtweise hat sich mittlerweile offensichtlich geändert. Die Wiederaufnahme erklärte das Gericht damit, dass sich eine Strafe doch auswirken könnte. Zudem wird der Betrugsvorwurf aus gesundheitlichen Gründen noch gar nicht gegen Winterkorn verhandelt.
Wegen der angeblichen Marktmanipulation waren neben Winterkorn auch Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und Diess angeklagt worden. 2020 wurde das Verfahren gegen die beiden aber gegen eine Geldzahlung von jeweils 4,5 Millionen Euro durch Volkswagen an die niedersächsische Landeskasse beendet.
Im ersten großen Prozess muss sich Winterkorn jetzt als einer von fünf Angeklagten noch nicht verteidigen. Kurz vor dem Auftakt im September 2021 trennte das Braunschweiger Landgericht seinen Verfahrensteil aus gesundheitlichen Gründen ab.
Der Prozess gegen die vier anderen Führungskräfte begann ohne Winterkorn und dauert mittlerweile mehr als zwei Jahre an. Bei den Angeklagten handelt es sich um einen ehemaligen Entwicklungschef der VW-Kernmarke sowie drei hohe Mitarbeiter aus der Motor- und Antriebstechnik, ihnen drohen weiterhin langjährige Haftstrafen.
Mitte Dezember ließ das Landgericht Braunschweig die Anklage gegen sieben Mitarbeiter des Konzerns zu. Ihnen wird Betrug in einem besonders schweren Fall sowie ein Verstoß gegen das Gesetz gegen den unerlaubten Wettbewerb vorgeworfen. Bei einzelnen der Angeklagten komme noch eine mögliche Steuerhinterziehung hinzu.
Aufgeflogen war der Skandal im September 2015, als die US-Umweltbehörde EPA über Manipulationen bei Abgastests von Dieselautos informierte. Vorstandschef Winterkorn trat zurück und eine Industriekrise ungeahnten Ausmaßes nahm ihren Lauf. Die Aufarbeitungskosten haben die Marke von 30 Milliarden Euro nach Konzernangaben längst überschritten. Die Vorwürfe gegen ihn wies Winterkorn zurück.
Ob er tatsächlich zum Investorenprozess nach Braunschweig kommt, wird mit Spannung erwartet. Nach einem Medienbericht von Ende Dezember soll sich der 76-Jährige für den Investorenprozess aussagebereit erklärt haben. Allerdings mit der Einschränkung, sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht zu berufen, sollte bei bestimmten Einlassungen die Gefahr von strafrechtlicher Verfolgung bestehen.
Nach knapp fünf Jahren Verfahrenszeit hat das Gericht angekündigt, mehr als 80 Zeugen hören zu wollen.