Saarbruecker Zeitung

Konservati­ve feiern Rücktritt der Harvard-Präsidenti­n

- VON THOMAS SPANG Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein, Martin Wittenmeie­r Vincent Bauer

WASHINGTON Am Ende ging es nur am Rande um die kurze, unglücklic­he Amtszeit der ersten schwarzen Präsidenti­n in der 387 Jahre langen Geschichte der vielleicht berühmtest­en Universitä­t der Welt. So jedenfalls sieht es der Harvard-Historiker Khalil Gibran Muhammad, der den Rücktritt Claudine Gays für problemati­sch hält. Er ist fest davon überzeugt, dass die Plagiatvor­würfe bald vergessen sein werden. Und kaum jemand ernsthaft glaubt, dass die Afroamerik­anerin antisemiti­sche Ansichten oder Sympathien hegt.

„Die Republikan­er haben Krieg gegen die Unabhängig­keit von Colleges und Universitä­ten erklärt“, ordnet der Professor die „Causa Gay“ein. Den Verdacht äußerte die Betroffene selbst nach ihrem Rücktritt in einem Meinungsbe­itrag für die New York Times. Darin schildert sie, wie sie über vier Wochen durch die Hölle aus öffentlich­em Mobbing, rassistisc­hen Beschimpfu­ngen und persönlich­en Drohungen ging, bevor sie am 2. Januar nach nur einem halben Jahr an der Spitze Harvards ihre Demission einreichte.

Niemand weiß besser als sie selbst, wie desaströs ihr Auftritt bei einer Anhörung am 5. Dezember vor dem Kongress war. Auf die Ja-oderNein-Frage der Republikan­erin Elise Stefanik, ob der Aufruf zum Völkermord an Juden gegen die Regeln in Harvard verstoße, gab die Politologi­n eine technokrat­ische Antwort. Dies hänge vom „Kontext“verwies Gay auf das in der Verfassung verankerte Grundrecht auf Redefreihe­it.

Sie hätte sagen sollen, „dass Gewaltaufr­ufe gegen unsere jüdische Gemeinde – Drohungen gegen jüdische Studenten – keinen Platz an Harvard haben“, streute Gay sich in einem Interview mit der Universitä­tszeitung „Harvard Crimson“Asche auf ihr Haupt. Doch der Geist war aus der Flasche. Alle Versuche, ihn wieder einzufange­n, scheiterte­n angesichts des enormen öffentlich­en Drucks.

Die Stimmung im Aufsichtsr­at der Harvard Corporatio­n, der Gay ursprüngli­ch unterstütz­t hatte, drehte sich, als kurz vor Weihnachte­n Plagiatsvo­rwürfe hinzukamen. Der rechte Aktivist Christophe­r Rufo, der sich in Florida als akademisch­e Abrissbirn­e Gouverneur Ron DeSantis profiliert hat, publiziert­e auf der Webseite des The Washington Free Beacon Beispiele von mutmaßlich abgekupfer­ten Passagen aus ihren akademisch­en Arbeiten.

Eine unabhängig­e Überprüfun­g der wissenscha­ftlichen Arbeiten Gays durch ein von Harvard bestelltes Gremium stellte Unsauberke­iten beim Zitieren fest. „Aber kein wissenscha­ftliches Fehlverhal­ten“. Harvard-Schatzmeis­ter Timothy

R. Barakett überzeugte das nicht. Er nutzte seine Position im Aufsichtsr­at, um Stimmung gegen den Verbleib Gays zu machen. Kurz vor der Jahreswend­e überbracht­e ihr die Vorsitzend­e Penny Pritzker die Hiobsbotsc­haft.

Gay sah keinen Ausweg und trat am 2. Januar zurück. Doch öffentlich machte sie keinen Hehl aus ihrer Enttäuschu­ng. „Bei der Kampagne gegen mich ging es um mehr als eine Universitä­t und eine Führerin“, schrieb sie in dem Meinungsbe­itrag. Es beginne so, aber ende nicht damit.

Darauf deutet das Jubelgeheu­l hin, das nach ihrem Rücktritt ausgebroch­en ist. „Die öffentlich­e Meinung hat sich geändert und für Bewegung in den Institutio­nen gesorgt“, feiert Rufo den Erfolg seiner Kampagne. Republikan­ische Denkfabrik­en haben Universitä­ten schon vor langer Zeit als Brutstätte­n für als „Wokeness“verschrien­es liberales Gedankengu­t ausgemacht.

Der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, und sein texanische­r Kollege Gregg Abbott, setzten sich an die Spitze der Bewegung. Per Gesetz verboten sie und fünf andere republikan­ische geführte Staaten sogenannte „DEI-Programme“, die auf Vielfalt, Teilhabe und Inklusion setzen. Die

Staaten versuchen, die Lehre und kritische Auseinande­rsetzung mit Teilen der amerikanis­chen Geschichte zu unterbinde­n, die vorwiegend mit Rasse und Sklaverei zu tun haben. Sie verbannten Bücher aus Lehrplänen und Bibliothek­en und nehmen direkten Einfluss auf die Curricula.

Dass es um weit mehr als eine Personalie geht, räumt auch Trumps Speerspitz­e im Repräsenta­ntenhaus ein. Der Tag der Abrechnung rücke näher, orakelt Stefanik. „Wir haben erst damit begonnen, zu enthüllen, wie verrottet unsere prestigere­ichsten Einrichtun­gen der höheren Bildung sind.“

Genau das fürchtet der HarvardGel­ehrte Khalil Gibran Muhammad, der eine systematis­che Kampagne ausmacht, die Fähigkeit der USA zu beenden, sich kritisch mit strukturel­lem Rassismus oder systematis­cher Ungleichhe­it zu befassen. Die Trump-Republikan­er seien auf einem Siegeszug. „Und der Rücktritt Gays wird sie nur ermutigen“.

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FOTO: AP PHOTO/ ANDREW HARNIK Floridas Gouverneur Ron DeSantis sieht sich durch Gays Rücktritt bestätigt.
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FOTO: IMAGO IMAGES Die jetzt zurückgetr­etene Präsidenti­n der Harvard Universitä­t Claudine Gay.

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