Ein Flächenbrand in Nahost ist wahrscheinlicher denn je
Der Krieg im Gaza-Streifen geht an diesem Montag in seinen 101. Tag und ein Ende des Grauens ist nicht in Sicht. Zehntausende Menschen starben bereits. Von den ursprünglich 250 nach Gaza verschleppten Geiseln sind noch immer
136 Menschen in der Gewalt der Hamas-Terroristen oder bereits tot. Rund 1,4 Millionen Menschen sollen innerhalb Gazas auf der Flucht sein und in überfüllten Notunterkünften ausharren. Es sind Zahlen zu einem Krieg, dessen grausame Realität sich aus der Ferne kaum nachempfinden lässt. Jeden Tag sterben weitere Unschuldige. Jeden Tag werden die Zerstörung, das Leid, der Hunger und die Gefahr von Krankheiten größer. Eine ganze Generation wird traumatisiert.
Einen Tag nach Ausbruch des Krieges mahnte Kanzler Olaf Scholz (SPD) an, dass aus dem Angriff der Hamas kein „Flächenbrand“in der Region werden dürfe. Seither fanden diverse Solidaritätsbesuche der Bundesregierung in Israel statt, vergangene Woche waren Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck (beide Grüne) zeitgleich im Nahen Osten unterwegs. Nicht nur vonseiten Deutschlands, auch von internationalen Partnern werden alle diplomatischen Hebel in Gang gesetzt. Doch mehr als drei Monate nach der ersten Mahnung des Kanzlers scheint ein Flächenbrand in Nahost wahrscheinlicher denn je. Anstatt dass der Konflikt eingedämmt wird, entstehen neue Brandherde – allen Anstrengungen des Westens zum Trotz.
Da ist die Konfrontation mit der Hisbollah in Norden Israels an der Grenze zum Libanon. Immer wieder kommt es zum Schusswechsel zwischen der libanesischen Miliz und der israelischen Armee – und zu Toten. Da ist der Konflikt mit Huthi-Rebellen im Jemen. Die vom Iran unterstützten Huthi hatten im Roten Meer internationale Schiffe attackiert, woraufhin die USA und Großbritannien zum Militärschlag gegen die Rebellen ausholten. Da ist aber auch die Kriegsstrategie der israelischen Regierung, die die Bombardements auf Gaza fortführt und unverändert an ihren Maximalzielen festhält. Auch wenn massive Proteste im eigenen Land den Druck auf Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erhöhen, will dieser den Krieg „bis zum vollständigen Sieg“fortführen. Diese Entwicklungen lassen nichts Gutes erahnen. Ein Frieden im Nahen Osten liegt in weiter Ferne.
All das stellt auch die Versuche des Westens in Frage, auf eine Deeskalation hinzuwirken. Bisher haben sie nicht gefruchtet. Im Gegenteil, die unverbrüchliche Solidarität der Bundesregierung mit Israel wird in Teilen der arabischen Welt und muslimischen Ländern als Hohn empfunden. Deutschland vernachlässige das Leid der Palästinenser und deren Recht auf einen eigenen Staat, lautet ein Vorwurf. Die Wut zeigt sich auch bei pro-palästinensischen Protesten auf deutschen Straßen. Außenministerin Baerbock mahnt zurecht, dass das Leid der Palästinenser nur beendet werden könne, wenn das Leid der Israelis beendet werde. Doch dieser Aufruf gilt für beide Seiten gleichermaßen. Es mag schwer zu akzeptieren sein, doch eine einseitige Parteinahme heizt die Wut im Nahost-Konflikt nur weiter an.