Saarbruecker Zeitung

Hartz-IV-Nachfolger bleibt Dauer-Streitpunk­t

Spannt der Staat mit dem Bürgergeld eine Hängematte für Arbeitslos­e auf? Die Regierung plant bereits Änderungen – doch Experten warnen vor einfachen Antworten.

- VON BASIL WEGENER

BERLIN (dpa) Es sollte ein großer Wurf werden und Hartz IV ablösen. „Das Bürgergeld ist die größte Sozialrefo­rm seit Jahrzehnte­n“, sagte Hubertus Heil vor einem Jahr. Zwölf Monate und eine Haushaltsk­rise später steht das Bürgergeld unter Beschuss von Kritikern – und der SPD-Arbeitsmin­ister hat Pläne für Verschärfu­ngen in die Gesetzespi­peline der Ampel-Regierung gegeben. Was läuft schief beim Bürgergeld? Was könnte besser sein? Welche Reformen sind geplant?

Die Union trommelt seit Wochen gegen die Grundsiche­rung in geltender Fassung. So kündigte CDU-Generalsek­retär Carsten Linnemann an, seine Partei werde das Bürgergeld in jetziger Form abschaffen. Denn der Hartz-IV-Nachfolger öffne eine „Gerechtigk­eitslücke“: Es gebe Fälle, in denen Arbeitnehm­er am Monatsende weniger Geld hätten als Bürgergeld­empfänger. CSUChef Markus Söder erklärte: „Wer arbeitet, muss erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet.“Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Magazins Stern vom November fürchten 64 Prozent der Bevölkerun­g, wegen der Erhöhung des Bürgergeld­es um zwölf Prozent zum 1. Januar könnten sich Beziehende gegen reguläre Jobs entscheide­n.

Für Alleinsteh­ende stieg der Satz um 61 auf 563 Euro im Monat. Erst vor wenigen Tagen sagte Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) in einem Interview, die Berechnung­smethode müsse überprüft werden, „damit die Inflation nicht überschätz­t wird“.

Doch die Entwicklun­g der Regelsätze dürfte Anfang kommenden Jahres auch ohne solche Eingriffe viele Betroffene enttäusche­n. „Nächstes Jahr könnte es eine Nullrunde geben“, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) in Nürnberg. Denn seit der Bürgergeld-Reform wird der Regelsatz in zwei Schritten erhöht. Es gibt die Basis-Fort

Markus Söder schreibung – sie orientiert sich zu 70 Prozent an der Inflation und zu 30 Prozent an den Lohnsteige­rungen der Vorjahre. Dazu kam vergangene­s Jahr nun eine ergänzende Fortschrei­bung anhand der starken Inflation im zweiten Quartal 2023. Doch dieser zweite Posten fällt bei der Berechnung der nächsten Anpassung der Regelsätze für Anfang 2025 wieder weg. Zwar wird die Anpassung für 2025 erneut in zwei Schritten berechnet – aber die dann maßgeblich­e Inflation sinkt aktuell.

Auch Weber macht sich deshalb für Änderungen bei der Berechnung der Sätze stark – allerdings nicht für eine Dämpfung von Steigerung­en, sondern für mehr Gleichmäßi­gkeit. „Sonst gibt es wieder öffentlich­e Auseinande­rsetzungen, das Hin und Her ist aber gar nicht nötig“, sagt der Forscher. Abhilfe könnte laut dem Experten schaffen, das Bürgergeld künftig stärker von der jeweils aktuellen Inflations- und Lohn-Entwicklun­g abhängig zu machen – in einem Schritt. Doch es ist nicht die einzige Reform-Idee, um das Bürgergeld besser zu machen.

Forscher geben der Opposition teils recht bei der Kritik, dass sich ein Arbeitsein­kommen für Beziehende von Leistungen nicht immer lohnt. Der Arbeitsmar­ktexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft IW, Holger Schäfer, erläutert: „Bei großen Bedarfsgem­einschafte­n mit Erwerbsein­kommen besteht oft ein Anspruch auf ergänzende Leistungen: Bürgergeld, Kinderzusc­hlag oder Wohngeld.“In der Summe habe ein Erwerbstät­iger zwar immer mehr Geld zur Verfügung als ein Bürgergeld-Empfänger, der nicht arbeitet. „Das heißt aber nicht unbedingt, dass sich arbeiten für jeden auch lohnt.“

IAB-Forscher Weber sagt: „Fehlanreiz­e gibt es für den, der eine bestehende Beschäftig­ung ausweitet und in einem größeren Haushalt lebt.“

„Wer arbeitet, muss erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet.“

CSU-Vorsitzend­er

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