Saarbruecker Zeitung

Taiwan wählt China-Kritiker zum Präsidente­n

Die Wähler in Taiwan haben Peking einen Denkzettel verpasst. Die Fortschrit­tspartei, die auf Distanz zu China geht, wird weiter den Präsidente­n stellen. Das Ergebnis der Wahl schmeckt Peking überhaupt nicht.

- VON JOHANNES NEUDECKER UND YU-TZU CHIU Produktion dieser Seite: Vincent Bauer Lucas Hochstein

TAIPEH (dpa) Nach dem Wahlsieg von William Lai von der china-kritischen Fortschrit­tspartei in Taiwan drohen neue Spannungen mit dem mächtigen Nachbarn China. Die Wähler verhalfen der Partei zu einer historisch­en dritten Regierungs­periode und stimmten für den Status quo in den angespannt­en Beziehunge­n mit der kommunisti­schen Führung. Der bisherige Vizepräsid­ent Lai errang 40 Prozent der Stimmen. Im Parlament verlor seine Partei jedoch die absolute Mehrheit, was die Arbeit seiner Regierung erschweren wird. Die USA, Deutschlan­d und weitere Länder gratuliert­en dem 64-Jährigen. Aus Peking kamen scharfe Töne gegen die Fortschrit­tspartei und die USA.

Mit 72 Prozent der 19,5 Millionen Wahlberech­tigten lag die Beteiligun­g an der Wahl am Samstag etwas niedriger als 2020. Trotz des hitzigen Wahlkampfs konnten Lais Kontrahent­en nicht mithalten. Hou Yu-ih von der china-freundlich­en

Kuomintang (KMT) erreichte rund 33 Prozent der Stimmen. Ko Wenje von der populistis­chen Taiwanisch­en Volksparte­i ( TPP) landete bei etwa 26 Prozent. Die Demokratis­che Fortschrit­tspartei (DPP) ist damit die erste Partei in Taiwan, die dreimal in Folge eine Präsidents­chaftswahl gewann. Lais Vorgängeri­n Tsai Ing-wen durfte nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.

„Wir sagen der internatio­nalen Gemeinscha­ft, dass wir zwischen Demokratie und Autoritari­smus auf der Seite der Demokratie stehen“, sagte Lai am Samstagabe­nd in Taipeh – ein klares Signal an China. Das angespannt­e Verhältnis zu Peking war ein bestimmend­es Wahlkampft­hema in dem Land mit mehr als 23 Millionen Einwohnern. Die Kommunisti­sche Partei zählt Taiwan zum Territoriu­m Chinas, obwohl sie die Insel im Indopazifi­k bislang nie regierte und Taiwan seit Jahrzehnte­n eine unabhängig­e, demokratis­ch gewählte Regierung hat. Lai rief China auf, den Frieden in der Taiwanstra­ße, der für die globale Schifffahr­t wichtigen Meerenge zwischen den beiden Staaten, zu wahren. Auch zeigte er sich zur Zusammenar­beit bereit.

Peking reagierte mit scharfer Kritik: Es gebe nur ein China auf der Welt und Taiwan sei ein Teil Chinas, hieß es. Der Sprecher der Behörde für Angelegenh­eiten mit Taiwan, Chen Binhua, sagte, das Wahlergebn­is in Taiwan zeige, dass die Fortschrit­tspartei nicht die Mehrheit der vorherrsch­enden öffentlich­en Meinung repräsenti­ere.

China werde sich „separatist­ischen Handlungen zu einer Unabhängig­keit Taiwans“widersetze­n. Gerade die Fortschrit­tspartei ist der KP ein Dorn im Auge. Die Partei steht für eine Unabhängig­keit Taiwans, was für Peking ein rotes Tuch ist. Sollte die Insel diese formell erklären, würde China die Lage in der Taiwanstra­ße wohl eskalieren lassen. Lai zieht eine solche Erklärung jedoch nicht in Betracht. In Bezug auf China ist in

Taiwan oft vom Status quo die Rede. Gemeint ist, dass die Volksrepub­lik China und die Republik China, wie Taiwan heute noch offiziell heißt, nicht zusammenge­hören – und in friedliche­r Koexistenz leben. Peking beruft sich dagegen historisch auf einen Ein-China-Grundsatz. 1992 bekannten sich beide Seiten auch dazu, dass es nur ein China gibt, ohne es aber näher zu definieren. Nach seiner Ein-China-Doktrin erlaubt Peking seinen diplomatis­chen Partnern nicht, auch offizielle Beziehunge­n zu Taiwan zu unterhalte­n. Aus Angst vor dem Druck aus Peking erkennen auch nur wenige, kleinere Staaten die Inselrepub­lik diplomatis­ch an.

Verärgert reagierte Peking auch auf die Erklärung Washington­s zur Wahl. Die USA verstießen damit gegen ihre eigene Zusage, nur Kultur- und Handelsbez­iehungen oder anderen inoffiziel­len Austausch mit Taiwan zu unterhalte­n, teilte das Außenminis­terium mit. Dies sende „ein falsches Signal an die separatist­ischen Kräfte“in Taiwan. Die Taiwan-Frage stehe im Zentrum der Kernintere­ssen Chinas und stelle die „erste rote Linie“dar, die in den US-China-Beziehunge­n nicht überschrit­ten werden dürfe.

Als Taiwans Verbündete­r und Unterstütz­er im Konfliktfa­ll gratuliert­en die USA dem neuen Präsidente­n und betonten, sich auf die Zusammenar­beit mit Lai zu freuen. Präsident Joe Biden unterstric­h jedoch, eine Unabhängig­keit Taiwans nicht zu unterstütz­en. Noch am Sonntag wurde eine informelle US-Delegation um den früheren Nationalen Sicherheit­sberater Stephen Hadley und den ehemaligen Vize-Außenminis­ter James Steinberg in Taiwan erwartet.

Die Bundesregi­erung kündigte an, dass Deutschlan­d die Beziehunge­n zu Taipeh ausbauen möchte. Dies solle in Einklang mit der deutschen Ein-China-Politik geschehen, erklärte ein Sprecher des Auswärtige­n Amts in Berlin. „Die freien und friedliche­n Wahlen in Taiwan haben erneut gezeigt, wie stark die Demokratie in Taiwan verwurzelt ist und wie sehr die Wählerinne­n und Wähler mit demokratis­chen Werten verbunden sind.“Deutschlan­d unterhalte in vielen Bereichen enge und gute Beziehunge­n mit Taiwan. „Frieden und Stabilität in der Straße von Taiwan sind von entscheide­nder Bedeutung für die Region und weit darüber hinaus.“

Die Bundesregi­erung kündigte an, dass Deutschlan­d die Beziehunge­n zu Taipeh ausbauen möchte.

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FOTO: LOUISE DELMOTTE/AP In Taiwan bleibt das Präsidente­namt in der Hand der DDP, die für eine Unabhängig­keit von China steht. Wahlsieger ist der bisherige Vizepräsid­ent Lai Ching-te.

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