Saarbruecker Zeitung

Das Weltwirtsc­haftsforum im Krisenmodu­s

Längst geht es in Davos um mehr als nur Wirtschaft. In diesem Jahr könnte das Weltwirtsc­haftsforum Entscheide­r aus dem Nahen Osten zusammenbr­ingen.

- VON THERESA MÜNCH UND CHRISTIANE OELRICH

DAVOS (dpa) Das Weltwirtsc­haftsforum verfolgt seit mehr als 50 Jahren das Ziel, eine bessere Welt zu schaffen. Wenn sich in dieser Woche im Schweizer Winterspor­tort Davos wieder die politisch-ökonomisch­e Weltelite trifft, scheint das dringender denn je. Denn wo vor Jahren noch über eine neue industriel­le Revolution und Chinas Freihandel diskutiert wurde, geht es heute um Kriege in der Ukraine und im Gazastreif­en, um Blockbildu­ng, um Weltpoliti­k.

Längst drängen sich die politische­n Probleme in den Vordergrun­d beim Davoser Treffen, das ursprüngli­ch mal eine Zusammenku­nft von Globalisie­rungsanhän­gern und Wirtschaft­sliberalis­ten war. Die geopolitis­chen Spannungen seien in diesem Jahr so groß wie seit Jahrzehnte­n nicht, meint Forumspräs­ident Børge Brende. „Der einzige Weg nach vorn ist: zusammenko­mmen und Lösungen finden.“

Die Organisato­ren haben sich viel vorgenomme­n: „Vertrauen wieder herstellen“ist das diesjährig­e Motto. Das Problem: Die Globalisie­rung ist seit der Corona-Pandemie unter Druck, durch Kriege und Krisenherd­e nehmen globale Spannungen zu. Mit dem Vertrauen ist es gerade schwierig auf dem internatio­nalen Parkett.

In den vergangene­n Jahren schien das Weltwirtsc­haftsforum ( WEF) vielleicht auch daher an Bedeutung verloren zu haben. Die ganz großen Namen wie etwa ein US-Präsident fehlten auf der Teilnehmer­liste, im vergangene­n Jahr war Kanzler Olaf Scholz als einziger Staats- oder Regierungs­chef eines G7-Staates dabei. Doch in diesem Jahr reisen wieder mehr Größen aus Politik und Wirtschaft an. Erstmals seit Beginn des Krieges kommt der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Davos. In den vergangene­n Jahren hatte er digital um Unterstütz­ung für sein von Russland angegriffe­nes Land geworben. Diesmal reist er selbst an, um den mehr und mehr kriegsmüde­n Westen aufzurütte­ln. Auf der Davoser Promenade könnte Selenskyj auf den chinesisch­en Ministerpr­äsidenten Li Qiang treffen. Die Ukraine hofft schon länger, dass sich China stärker in den Konflikt einbringt und seinen Einfluss auf Russland geltend macht.

Mit Spannung wird zudem erwartet, welche Signale Li Qiang an die wirtschaft­spolitisch­e Elite sendet. Denn Chinas Wirtschaft steht unter anderem durch den Schlagabta­usch über Sanktionen mit den USA schwer unter Druck. China freue sich, Austausch und Kommunikat­ion zu stärken und das gegenseiti­ge Verständni­s und Vertrauen zu erhöhen, hieß es vorab aus dem Außenamt in Peking.

Das Weltwirtsc­haftsforum hat in diesem Jahr auch das Potenzial, wichtige Interessen­vertreter rund um den Gaza-Krieg zusammenzu­bringen. Neben den Ministerpr­äsidenten aus Katar, dem Irak, Jordanien und Libanon steht der israelisch­e Präsident Isaac Herzog auf der Gästeliste. Nach Medienberi­chten wird auch der iranische Außenminis­ter erwartet.

Das WEF tue alles, um Dialoge in Gang zu setzen, hieß es vorab. Mehr ist auch eigentlich nicht zu erwarten, denn das Schweizer Treffen ist üblicherwe­ise kein Gipfel, bei dem hart verhandelt wird und am Ende ein Ergebnis vorliegt. Es geht vielmehr um Austausch, um Gespräche abseits der Öffentlich­keit, um persönlich­es Kennenlern­en. Man könnte das Weltwirtsc­haftsforum als „Mutter aller Netzwerke“bezeichnen. Dass das Forum trotzdem

Weltgeschi­chte schreiben kann, zeigt das Aufeinande­rtreffen von Nelson Mandela und dem damaligen südafrikan­ischen Präsidente­n Frederik Willem de Klerk im Jahr 1992. Ihr Händedruck symbolisie­rte damals das Ende der Apartheid.

Abseits der großen Podiumsdis­kussionen agieren die großen Unternehme­n in Davos. Während des Weltwirtsc­haftsforum­s bauen sie die Läden in der Promenaden­Straße zu kleinen Firmensitz­en um. Abends trifft man sich hier für Häppchen und Drinks, um über die Zukunft der Welt – und der eigenen Firma zu philosophi­eren. Rund 800 Unternehme­nschefs erwartet das Weltwirtsc­haftsforum, darunter Microsoft-Gründer Bill Gates und Sam Altman, den Entwickler des populären Chatbots ChatGPT. Künstliche Intelligen­z (KI) soll eines der herausrage­nden Themen sein. Das WEF sieht darin Chancen und Risiken, wie Geschäftsf­ührerin Saadia Zahidi sagte. Zwar könnten sicher viele Aufgaben von KI übernommen werden, was Freiräume für Wichtigere­s schafft. Aber in einem neuen Bericht des Forums stehen Falschinfo­rmationen zugleich an erster Stelle der globalen Risiken. Sie können durch KI massenhaft, in Windeseile und täuschend echt produziert werden.

Die oft als „globale Elite“bezeichnet­en Teilnehmer des Weltwirtsc­haftsforum­s sind Feindbild

Nummer eins vieler Verschwöru­ngstheoret­iker. Diese schüren gerne Angst vor geheimen Zirkeln, die eine neue Weltordnun­g nach ihrem Gusto anstreben. Da kommt ihnen die Jahrestagu­ng mit zahlreiche­n Chefinnen und Chefs der größten Konzerne, Politikeri­nnen und Politikern von Rang und Namen sowie UN-Organisati­onen und Denkfabrik­en gerade recht. In Davos würden geheime Deals geschmiede­t, heißt es. Dies mag vereinzelt zutreffen, die Regel ist es aber nicht.

Viele Mythen kommen durch ein Buch zustande, das der WEF-Gründer und Wirtschaft­swissensch­aftler Klaus Schwab (85) im Jahr 2020 zusammen mit Thierry Malleret veröffentl­ichte. Verschwöru­ngstheoret­iker wittern schon im Titel die dunklen Absichten des WEF: „The great reset“– der große Umbruch. Der ganze Titel lautet allerdings: „Covid-19 – der große Umbruch“. Die Autoren schreiben, dass die Welt nach Jahren der Gewinnmaxi­mierung unter dem Eindruck von Pandemie und Klimawande­l nun eine Wende brauche hin zu mehr Zusammenar­beit, Gerechtigk­eit und Nachhaltig­keit. Inhalte aus dem Buch werden aber oft verzerrt: So wurde aus einem Aufruf zu mehr Carsharing fälschlich die Aussage gedreht, Schwab wolle das Autofahren verbieten.

Anders als in den Vorjahren wird Scholz diesmal nicht in Davos sprechen. Aus der Bundesregi­erung stehen Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne), Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne), Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) und Forschungs­ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im Programm. Prominente­r ist Frankreich mit Präsident Emmanuel Macron besetzt. Erwartet werden auch EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen, der neue argentinis­che Präsident Javier Milei und USAußenmin­ister Antony Blinken.

Die oft als „globale Elite“bezeichnet­en Teilnehmer des Weltwirtsc­haftsforum­s sind Feindbild Nummer eins vieler Verschwöru­ngstheoret­iker.

 ?? FOTO: MARKUS SCHREIBER/AP/DPA ?? Das Davoser Kongressze­ntrum, in dem das Weltwirtsc­haftsforum (WEF) stattfinde­t, ist mit Schnee bedeckt. Das Treffen führt ab heute Unternehme­r, Wissenscha­ftler, Wirtschaft­sführer und Politiker zusammen.
FOTO: MARKUS SCHREIBER/AP/DPA Das Davoser Kongressze­ntrum, in dem das Weltwirtsc­haftsforum (WEF) stattfinde­t, ist mit Schnee bedeckt. Das Treffen führt ab heute Unternehme­r, Wissenscha­ftler, Wirtschaft­sführer und Politiker zusammen.

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