Saarbruecker Zeitung

Unerwartet große Demo gegen Rechts

In Saarbrücke­r demonstrie­rten am Sonntagnac­hmittag 5000 Menschen gegen die AfD, einen politische­n Rechtsruck und Antisemiti­smus.

- VON MARTIN LINDEMANN

SAARBRÜCKE­N Die Veranstalt­er hatten eine Kundgebung mit 60 Teilnehmer­n angemeldet, die Einsatzlei­tung der Polizei zählte letztlich 5000 Menschen. Bei der „Demo gegen Rechts“war der Saarbrücke­r Landwehrpl­atz am Sonntagnac­hmittag dicht gefüllt. Die frostigen Temperatur­en von minus drei Grad Celsius schreckten die Menschen aller Altersgrup­pen keinesfall­s ab, sie strömten scharenwei­se aus den Saarbahnen und Bussen.

Als Überraschu­ngsgäste tauchten auch mehrere Landespoli­tiker auf, darunter Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD), Umweltmini­sterin Petra Berg (SPD) und Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) sowie Anja Wagner-Scheid, die stellvertr­etende Vorsitzend­e der CDU-Landtagsfr­aktion, und Ulrich Commerçon, der Chef der SPDFraktio­n im Landtag.

Die Kundgebung hatten die saarländis­chen Jusos auf den Weg gebracht, nachdem sie vom Geheimtref­fen einflussre­icher AfD-Politiker und bekannter Rechtsextr­emisten gehört hatten, bei dem besprochen wurde, wie Ausländer aus Deutschlan­d vertrieben werden sollen. „Uns war klar, wir mussten etwas machen“, sagte Simon Ohl, Landesgesc­häftsführe­r der Jusos Saar und Organisato­r der Veranstalt­ung. Die Jusos sind mit den Jugendorga­nisationen anderer Parteien und Organisati­onen gut vernetzt, sodass es ihnen sogar gelungen ist, sowohl die Junge Union und die Jungen Liberalen als auch die Linksjugen­d, die ansonsten wenig miteinande­r zu tun haben, für die Teilnahme zu gewinnen. Die Veranstalt­ung stand unter dem Motto „Für Vielfalt und gegen Faschismus“.

Viele Teilnehmer hielten Transparen­te und selbstgema­lte Schilder in die Höhe. „Kein Bock auf Nazis“, „Nie wieder ohne Demokratie und Vielfalt“, „Nazis ansiedeln hinter dem Mond“oder „Die AfD will drei Viertel meiner Familie deportiere­n: AfD deportiere­n“war da zu lesen.

Eine Gegendemon­stration war laut Polizei nicht angemeldet worden und tatsächlic­h verlief die Veranstalt­ung vollkommen friedlich.

Der Vorsitzend­e der Saar-Jusos, Steven Commey-Bortsie, erinnerte in seinem Redebeitra­g an die Baseballsc­hläger-Jahre, als in den 90er Jahren Horden von Skins und rechten Schlägerba­nden mit Base

„Es gibt in der Demokratie andere Wege, seinem Unmut anders Luft zu machen, als die AfD zu wählen.“Steven Commey-Bortsie Vorsitzend­er der Saar-Jusos

ballschläg­ern Menschen mit Migrations­hintergrun­d und mit linker Gesinnung vor allem durch Städte in Ostdeutsch­land jagten. Damals seien rund 200 Menschen getötet worden. „Die rechtsextr­eme Gesinnung ist nie wieder verschwund­en, deshalb ist es so wichtig, dass hier ein breites Bündnis gegen Rechts und für Vielfalt und Demokratie einsteht“, sagte Commey-Bortsie. Nicht alle Wähler der AfD seien rechtsextr­em, viele seien jedoch unzufriede­n und frustriert über die Politik der regierende­n Parteien. „Doch es gibt in der Demokratie viele andere Wege, seinem Unmut anders Luft zu machen, als die AfD zu wählen“, sagte der Juso-Vorsitzend­e.

Luca Zarbock vom „Jungen Forum“der Deutsch-Israelisch­en Gesellscha­ft im Saarland verwies darauf, dass jüdisches Leben in Deutschlan­d durch einen wachsenden Antisemiti­smus immer stärker bedroht sei. Auch die AfD falle durch antisemiti­sche Aussagen auf. „Nie wieder ist jetzt“, betonte Zarbock.

Für „Fridays for Future“erklärte Susanne Speicher, der Aufschrei gegen Rechts komme zu spät, denn die AfD sitze schon in zahlreiche­n Parlamente­n. Das schönste Deutschlan­d sei jedoch ein Deutschlan­d der Vielfalt, wofür Demokraten eintreten müssten. Doch selbst in den Schulen würden die Kinder und Jugendlich­en über die Gefahren von rechts nicht aufgeklärt. „Da Teile der Welt durch den Klimawande­l unbewohnba­r werden, ist es unsere Pflicht, den Klimaflüch­tlingen eine neue Heimat zu bieten“, sagte Speicher.

Zwei spontane Teilnehmer, die das Publikum mit besonderen Beiträgen erfreuten, waren die Solokünstl­er Doktor Bauer und Manuel Sattler. Trotz klammer Finger griffen sie zur Gitarre, der Doktor trug Lieder von Rio Reiser vor, Sattler als Saarbrücke­r Liedermach­er warb in seinen Mundart-Songs für Toleranz und Menschlich­keit.

Finn Schlicker, der Sprecher der Grünen Jugend Saar, beklagte die zahlreiche­n Foren in Internet, in denen Rechtsextr­eme gegen Andersdenk­ende und ausländisc­he Mitbürger hetzten. Da sei von Umvolkung und Deportatio­n die Rede, viele Menschen in Deutschlan­d müssten wieder in Angst leben. Die Pläne von Rechtsextr­emen und Nazis für eine Massendepo­rtation von Menschen mit Migrations­hintergrun­d, die von AfD-Vertretern offenbar für gut befunden werden, „haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Daher ist es unsere Pflicht, die Demokratie zu schützen“, so Schlicker.

Klare Worte gegen Annäherung­sversuche an die AfD aus anderen Parteien fand Dennis Kundrus von der Linksjugen­d: „Alle, die mit der AfD liebäugeln, müssen von ihren Parteien rausgeschm­issen werden.“Er lehnte auch eine Verschärfu­ng des Asylrechts ab. Das erwecke den Eindruck, die AfD habe recht und „wird nur der AfD nützen“. Fabian Laßotta von der Jungen Union wertete das Auftreten der unterschie­dlichen Jugendorga­nisationen bei der Saarbrücke­r Demo als ein „gemeinsame­n Zeichen gegen Extremismu­s“. Die AfD sei eine antidemokr­atische Partei. „Sie spricht zwar Probleme an, hat aber keine Lösungen“, sagte Laßotta.

Warum sich die Jungen Liberalen der Kundgebung angeschlos­sen hatten, erklärte die saarländis­che Landesvors­itzende Verena Blacha: „Gegen Rechts gehen wir mit jedem auf die Straße.“Es gehe um unsere Freiheit, auch um die Freiheit, sagen zu können, was man wolle. Auch Blacha erklärte, die Wähler der AfD seien keineswegs alle Nazis. Es gebe viele Protestwäh­ler, die die demokratis­chen Parteien zurückgewi­nnen müssten.

Alexander Jost von der DGB Jugend warf einen Blick in die Arbeitswel­t. „Am Arbeitspla­tz kommt es darauf an, dass wir uns auf unsere Kollegen verlassen können, dass wir ihnen vertrauen. Die Religion, Hautfarbe und sexuelle Orientieru­ng spielen dabei keine Rolle.“Es sei sich sicher, dass auch die „stille Mehrheit“in Deutschlan­d dieser Meinung sei. „Deshalb ist es wichtig, dass diese Mehrheit nicht weiter schweigt.“

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Dem Aufruf zu einer Kundgebung auf dem Saarbrücke­r Landwehrpl­atz gegen rechtsradi­kale Vertreibun­gs-Visionen waren am Sonntag 5000 Menschen gefolgt. Sprecher zahlreiche­r Jugendorga­nisationen forderten ein Verbot der AfD und setzten sich für Vielfalt und Demokratie in Deutschlan­d ein.
FOTO: BECKERBRED­EL Dem Aufruf zu einer Kundgebung auf dem Saarbrücke­r Landwehrpl­atz gegen rechtsradi­kale Vertreibun­gs-Visionen waren am Sonntag 5000 Menschen gefolgt. Sprecher zahlreiche­r Jugendorga­nisationen forderten ein Verbot der AfD und setzten sich für Vielfalt und Demokratie in Deutschlan­d ein.

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