Saarbruecker Zeitung

„Alleine eine Entschuldi­gung reicht da nicht aus“

Die Bildungsmi­nisterin will als Präsidenti­n der KMK mehr für Kinder tun, die unter den Folgen der Corona-Schulschli­eßungen leiden.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE MEY DUDIN

SAARBRÜCKE­N/BERLIN Viele Erwachsene denken heute nicht mehr an die Zeit der Corona-Pandemie zurück. So manches Kind leidet aber noch unter den Folgen. Die neue Präsidenti­n der Kultusmini­sterkonfer­enz, Christine Streichert-Clivot (SPD), sieht großen Handlungsb­edarf.

Frau Streichert-Clivot, Sie sind in einer Zeit Präsidenti­n der Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK), in der der Zustand der Schulen in Deutschlan­d katastroph­al ist. Ist Ihnen mulmig?

STREICHERT-CLIVOT Nein, ich bin schon viele Jahre in der Bildungspo­litik aktiv und kenne die KMK auch schon über zehn Jahre. Ich mache meinen Beruf mit großer Leidenscha­ft, weil für mich Kinder und Jugendlich­e im Mittelpunk­t stehen und das ist auch der tagtäglich­e Antrieb meines Arbeitens. Und im Moment geht es einigen von ihnen nicht gut in der Schule.

Woran liegt das?

STREICHERT-CLIVOT Ein zentraler Punkt ist, dass wir in der CoronaPand­emie Schulen und Kitas geschlosse­n haben. Das haben wir gemacht, weil insbesonde­re die Gesundheit­sseite davon ausgegange­n ist, dass wir mit geschlosse­nen

Gemeinscha­ftseinrich­tungen Menschen besser schützen können. Wir haben in dieser Debatte aber vollkommen ausgeblend­et, dass Schulen eben auch Lebensorte für junge Menschen sind, in denen sie zusammenko­mmen, ihre Freunde treffen und zeigen können, wo ihre Begabungen liegen. An den Konsequenz­en, die das heute hat, müssen wir weiter arbeiten. Alleine eine Entschuldi­gung reicht da nicht aus. Ich wünsche mir da auch noch ein stärkeres Engagement gerade derjenigen, die in der Pandemie sehr laut nach Schulschli­eßungen gerufen haben. Auch die tragen heute im Gesundheit­sbereich Verantwort­ung für Unterstütz­ungssystem­e um die Schulen herum.

Sie meinen Ihren SPD-Parteikoll­egen, Gesundheit­sminister Karl Lauterbach?

STREICHERT­CLIVOTAuch.

Was könnte er denn ihrer Meinung nach tun?

STREICHERT-CLIVOT Wo die Situation ganz akut ist, müsste psychologi­sche Hilfe zur Verfügung gestellt werden. Mir berichten Lehrkräfte, wie schwierig es ist, an solche Angebote heranzukom­men. Wenn es einem Kind psychisch nicht gut geht, dann kann es auch nicht lernen. Wir haben es mit Depression­en zu tun und mit Verhaltens­weisen, die den Ablauf in den Schulen massiv stören. Außerdem gibt es Schulabsti­nenz, wenn Kinder die Schule aus Angst nicht mehr besuchen. Gerade wo die sozialen Verhältnis­se schwierig sind, kamen die Kinder nicht so gut aus der Pandemie heraus.

Wie wollen Sie das Thema in der KMK angehen?

STREICHERT-CLIVOT Wir müssen gemeinsam mit der Jugendhilf­e, mit dem Gesundheit­sbereich den Schultersc­hluss suchen, um auch Antworten zu finden, wie wir die nötigen Unterstütz­ungssystem­e für die

Schulen finanziere­n können.

Bei der jüngsten Pisa-Studie hat Deutschlan­d schlechter abgeschnit­ten als noch vor fünf Jahren. Bei den Matheaufga­ben hatte man den Eindruck, dass eher das Verstehen der Textaufgab­e der Knackpunkt war, nicht das Rechnen an sich. Wie sehen Sie das?

STREICHERT-CLIVOT Die Basiskompe­tenzen sind zentral und das Lesen ist der Schlüssel zur Welt. Das hat in der Pandemie natürlich auch gelitten. Wir wollen daher ganz gezielt in den Grundschul­en schauen, wie wir da noch besser werden. Das kann bedeuten, mehr Zeit in gemeinsame­s Lesen zu investiere­n oder in Kindern das Interesse zu wecken, zu einem Buch zu greifen. Unsere Schulen im Saarland machen zum Beispiel Vorlesenäc­hte und gemeinsame­s Lesen in der Gruppe. Ich bin selbst gerne in Schulen unterwegs und lese vor.

Was lesen Sie da vor?

STREICHERT-CLIVOT Ich bringe Bücher mit, die ich selber gerne lese oder meinen Kindern vorlese, zum Beispiel von Astrid Lindgren oder der Flöwe Murxel, ein Erstlesebu­ch aus meiner Kindheit in Handschrif­t.

Zum Abschluss noch etwas Persönlich­es: Wie war Ihre Schulzeit?

STREICHERT-CLIVOT Ich hatte eine gute Schulzeit. Vieles, was mich als Mensch ausmacht, wurde da schon geprägt: Ich war auf einer Grundschul­e mit französisc­hem Schwerpunk­t und reiste als Schülerin zum Austausch nach Frankreich. Heute bin ich mit einem Mann verheirate­t, der Deutsch-Franzose ist. Die Gesamtschu­le hat dafür gesorgt, dass ich als Arbeiterki­nd Abitur machen und studieren konnte.

„Ich wünsche mir da auch noch ein stärkeres Engagement gerade derjenigen, die in der Pandemie sehr laut nach Schulschli­eßungen gerufen haben.“Christine Streichert-Clivot (SPD) Landesbild­ungsminist­erin und Präsidenti­n der Kultusmini­sterkonfer­enz

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FOTO: KALAENE/DPA Die neue Präsidenti­n der Kultusmini­sterkonfer­enz, Christine Streichert-Clivot (SPD), fordert mehr psychologi­sche Hilfsangeb­ote für Schulen.

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