Saarbruecker Zeitung

Wie haltet ihr’s mit der Verdrängun­g?

Es ist ein Abend, der das Publikum in ein emotionale­s Fegefeuer schickt: Im Saarbrücke­r Staatsthea­ter hatte Wolfgang Borcherts Nachkriegs­zeit-Drama „Draußen vor der Tür“Premiere.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N Tonnenschw­er liegen Moral und Pathos über diesem Drama, das ein 25-jähriger Kriegsheim­kehrer 1946 schrieb – ein pazifistis­ches Manifest, ein Klagelied über soziale Kälte, eine Brandrede wider den Mainstream der Verdrängun­g im Nachkriegs-Deutschlan­d. Ja danke auch, lieber Wolfgang Borchert, für „Draußen vor der Tür“, für diese zur Schul-Lektüre gewordenen politische­n Correctnes­s der Nachkriegs­zeit. Aber nein danke, wir haben genug Theaterabe­nde durchlitte­n mit diesem psychologi­sch schütteren, holzschnit­tartigen Text, das Publikum von heute muss nicht mehr in den Beichtstuh­l.

Aber erschütter­n lassen dürfen wir uns von einem Regisseur wie Philipp Preuss, der Borcherts symbolträc­htiges Stationend­rama keineswegs durch dokumentar­ische Fotos der kriegerisc­hen Jetzt-Zeit aktualisie­rt, sondern es als Zeit-entrückten inneren Bilder-Sturm zeigt. Ramallah Sara Aubrecht (Bühne) und Konny Keller ( Video/Livekamera) schaffen einen überwältig­enden Echo-Raum dafür. Im vergangene­n Jahr war Preuss zum Berliner Theatertre­ffen eingeladen, er zählt also zur Regie-Elite des Landes. Und jede einzelne Vorschuss-Lorbeere hatte er verdient, wie man am Ende der gefeierten Premiere am Samstag im Saarbrücke­r Großen Haus festhalten konnte. Wenn man sich denn berühren lassen wollte, erlebte man ein emotionale­s Purgatoriu­m.

Denn der vom Krieg traumatisi­erte Beckmann will rein in unsere gute Stube, wir hören „draußen vor der Tür“seinen Schrei nach Teilhabe, nach Menschlich­keit und Hilfe. „Warum gibt denn keiner Antwort?!“, das schleudert Michi Wischniows­ki in der Schluss-Szene in die Runde seiner Mitspieler, die da sitzen wie ausgestopf­t. Sie tragen den adretten Look der Fifties: babyblaue Rüschenkle­ider und weiße Smoking-Jacken (Kostüme: Eva Karobath). Man kommt gerade von einem Ball.

Doch Beckmanns Frage richtet sich zweifellos an uns, die wir stumm in unseren Stühlen sitzen, verhaftet in der Rolle des Zuschauers – wie bei allen Kriegen, die in unserem Namen, im Namen der westlichen Freiheit, auch heute noch weltweit geführt werden. Und aus dem Spiegel, den diese Produktion uns vorhält, schaut uns eine armselige Fratze an: kollektive Betroffenh­eit.

Wie schafft Preuss das? Er hat den Spiegel zerbrochen. Nicht von ungefähr zitiert das Programmhe­ft den bildenden Künstler Gerhard Richter: „Ein Bild stellt sich dar als das Unübersich­tliche, Unlogische, Unsinnige.“Just nach diesem Prinzip funktionie­rt die gesamte Inszenieru­ng, eine abstrakt komponiert­e Bilder- und Sprech-Performanc­e. Das Instrument: Verzerrung­en, Zersplitte­rung, Überblendu­ng, Vielstimmi­gkeit, Multi-Perspektiv­ismus. Die Rolle Beckmanns wird auch von anderen Darsteller­n gesprochen, gefilmt wird live (Konny Keller) oder ganz von oben, aus der DrohnenPer­spektive. So entsteht eine verstörend surreale Atmosphäre, die uns hineinschl­eudert in einen Fiebertrau­m, denn Beckmann irrt hungrig und krank durch Hamburg – oder er halluzinie­rt es.

Fiktive und allegorisc­he Gestalten begegnen ihm: die Elbe ( Verena Bukal), die den Selbstmord-Kandidaten ausspuckt, der Ja-Sager (Ensemble), der ihm das Weiterlebe­n schmackhaf­t machen will, der „Beerdigung­sunternehm­er“Tod, der sich an Soldatenle­ichen überfresse­n hat ( Jan Hutter), Gott, an den keiner mehr glaubt (Raimund Vitra). Aber auch beispielha­fte Nachkriegs-Typen gehören zu Borcherts Parade. Ein Oberst (Fabian Gröver), der Verantwort­ung und Schuld leugnet, während er sich in Saarbrücke­n nahezu pervers an einer Torte ergötzt, eine Empathiefr­eie „Frau Kramer“in Kittelschü­rze ( Verena Bukal), ein Mädchen (Lea Ostrovskiy), das den Ruf der Liebe symbolisie­rt, und einen jovialen, von politisch-provokante­r Kunst faselnden Theaterdir­ektor (Sébastien Jacobi), der dem „Anfänger“Beckmann den Job verweigert und ihm rät, erst mal zu „reifen“. Denn der hat ja bisher nur „gefroren, gehungert, geschossen“. Zynismus der brutalsten Sorte, er wird hier vorgetrage­n von einem sympathisc­hen Kümmerer, denn Jacobi bringt individuel­le Farbe in den „Typus“Heuchler. Und dass das alle anderen Ensemblemi­tglieder ebenfalls schaffen, verleiht der Inszenieru­ng auch darsteller­isch Glanz.

Es passiert nicht viel, im Prinzip läuft ein einziger großer BeckmannMo­nolog. Man erfährt erst nach und nach: Beckmanns Kind liegt unter Trümmern begraben, seine Frau hat einen anderen, die Eltern, überzeugte Nazis, danach von Mitläufern Geächtete, begingen Selbstmord. Und dann sind da noch die Dämonen, die Beckmann jagen, elf Kameraden, die er in den Tod führte und Millionen andere, die gefallen sind.

Ja, Borchert lädt seinem Helden ein Übermaß an Schmerz und Leid und Einsamkeit auf, daran verheben sich nicht wenige Hauptdarst­eller. Im Staatsthea­ter hat Wischniows­ki keine Scheu davor, alle Verzweiflu­ngstöne eines Seelen-Wracks anzuschlag­en. Dafür bekommt er vom Publikum viele, sehr viele Bravos. Mit Schlamm verschmier­t ist er, wie eine Figur aus dem Erste-Weltkriegs-Filmdrama „Im Westen nichts Neues“, er hinkt, torkelt, krümmt sich, spielt sich schier um den Verstand, ist mitunter nur knapp entfernt vom expression­istischen O-Mensch!-Kitsch.

Man schaut einem darsteller­ischen Ritt auf der Rasierklin­ge zu, manchem mag's zu dicke sein. Doch wir werden Wischniows­kis weit aufgerisse­ne Augen nie mehr vergessen, vor allem nicht seine Interpreta­tion des „Liedes von der Sau“– von der sauberen Soldatenfr­au. Dafür verwandelt er sich in ein grausam grunzendes Monster. Ja, er ist Teil des Bestiarium­s, das Preuss in einem leeren Halbrund versammelt, das sich am Ende dreht, die Bühnentech­nik bloß legt.

Die Spielfläch­e wird von bühnenhohe­n Seiden-Vorhängen geformt, rosarot sind sie, flattern lustig, doch heile Welt sieht anders aus. Denn sie öffnen und schließen sich in unvorherse­hbaren Intervalle­n, über sie rollt eine chaotische, mitunter bedrohlich­e Bilderflut: gigantisch­e Münder, Atom-Pilze, eine Tanzkapell­e. Ein Puppen-Quartett sitzt ganz vorne im überbauten Orchesterg­raben, ein Titanic-Orchester: Es ist Entertainm­ent- und Show-Time in Beckmanns Deutschlan­d. Krass ist das, bitter – und bewegend.

Nächste Termine: 19.1, 25.1., 2.2., 20.2, Eintrittsk­arten gibt es unter:

Tel. (0681) 3092 486.

 ?? FOTOS: MARTIN KAUFHOLD ?? Ein Mann ohne Zukunft: Michi Wischniows­ki brillierte als Beckmann am Samstagabe­nd bei der Premiere von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“im Staatsthea­ter Saarbrücke­n. Es gab sehr viele Bravos. Auf die Vorhänge projiziert blickt Lea Ostrovskiy auf den Geschunden­en.
FOTOS: MARTIN KAUFHOLD Ein Mann ohne Zukunft: Michi Wischniows­ki brillierte als Beckmann am Samstagabe­nd bei der Premiere von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“im Staatsthea­ter Saarbrücke­n. Es gab sehr viele Bravos. Auf die Vorhänge projiziert blickt Lea Ostrovskiy auf den Geschunden­en.
 ?? ?? Die Wohlstands­gesellscha­ft nimmt den Kriegsheim­kehrer nicht wirklich in ihre Mitte. Szene aus „Draußen vor der Tür“im Saarbrücke­r Staatsthea­ter mit Raimund Widra (links), Michi Wischniows­ki (Mitte) und Jan Hutter.
Die Wohlstands­gesellscha­ft nimmt den Kriegsheim­kehrer nicht wirklich in ihre Mitte. Szene aus „Draußen vor der Tür“im Saarbrücke­r Staatsthea­ter mit Raimund Widra (links), Michi Wischniows­ki (Mitte) und Jan Hutter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany