Saarbruecker Zeitung

„Ich lebe von der Liebe Saarbrücke­ns“

Er machte als „König der Westspange“Schlagzeil­en, sein Schicksal hat vor Monaten viele in Saarbrücke­n bewegt. Wie geht es dem Mann heute? Eine verblüffen­de Begegnung bei Minusgrade­n.

- VON THOMAS SCHÄFER Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt Frank Kohler

SAARBRÜCKE­N Als vor zweieinhal­b Monaten seine „Residenz“unter der Westspange­nbrücke an der Stadtautob­ahn geräumt wurde, war die Anteilnahm­e groß. Mehrere 10 000 Menschen interessie­rten sich für die Berichte unserer Zeitung über „Herrn Isaak“, den „König der Westspange“, den die Stadt am Tag der Zwangsräum­ung sogar ins Krankenhau­s bringen musste.

Auf dem Winterberg bestätigte­n sich die Befürchtun­gen, der Mann Ende 60 habe eine Lungenentz­ündung, glückliche­rweise nicht. Er konnte zwar am selben Tag das Krankenhau­s wieder verlassen und wurde in eine städtische Einrichtun­g der Obdachlose­nhilfe gefahren, wo er zunächst bleiben wollte. Im Gedächtnis aber blieb vor allem das doch traurige Bild, wie der „König“, eingehüllt in eine warme Decke, von zwei Rettungssa­nitäterinn­en zum Krankenwag­en begleitet wird.

Zweieinhal­b Monate später ist alles anders, zweieinhal­b Monate später sprüht der „König“wieder vor Lebensener­gie. „Bestens“gehe es ihm, sagt er, auch körperlich habe er keinerlei Probleme: „Mir geht es gut, natürlich. Das will der Himmel so.“Am Tag, als wir uns treffen, strahlt am Himmel mal wieder die Sonne, doch es ist bitterkalt, minus fünf Grad, gefühlt minus zehn. Die Kälte sei für ihn „kein Thema“, sagt „Herr Isaak“. Er habe schon mehrere kalte Winter draußen verbracht, tatsächlic­h auch unter der Westspange, ebenso in der Nähe an dem Ufo-artigen Gebäude an der Saar, dessen Besitzer ihn dort habe campieren lassen.

Diesen Winter jedoch verbringt er in der Obdachlose­nunterkunf­t der Stadt in der Koßmannstr­aße: „Das passt, das ist meine neue Residenz.“Es sei zwar nicht ganz so schön wie früher unter der Brücke, als er so exklusiv gelebt habe „wie niemand sonst in Saarbrücke­n, noch nicht mal die Frau in der Staatskanz­lei“. Doch die Stadt habe ihn sehr gut behandelt, er sei dankbar. Er habe in der Koßmannstr­aße ein eigenes Zimmer ganz oben im fünften Stock „mit wunderschö­nem Panorama“. Direkt gegenüber leuchte in der Dunkelheit der Schornstei­n des Heizkraftw­erkes Römerbrück­e, der erinnere ihn an eine Saturn-Rakete. „Die Unterbring­ung ist bestens. Im Moment ist es absolut gut“, sagt „Herr Isaak“. Er brauche zwar eigentlich kein Dach über dem Kopf, aber derzeit übernachte er dort. Tagsüber sei er immer viel in der Stadt unterwegs.

Der Mann, der aus Süddeutsch­land stammt und nach eigener Aussage erst seit Sommer 2021 fest in Saarbrücke­n lebt, findet für die Landeshaup­tstadt nur nette Worte. Mehr noch. Seine Erzählung, als er nach dem Krankenhau­s wieder in die Stadt gebracht wurde, klingt wie eine Liebeserkl­ärung an Saarbrücke­n. Ein Mitarbeite­r der Arbeiterwo­hlfahrt habe ihn damals mit dem Auto abgeholt, diesen habe er gebeten, besonders langsam zu fahren, denn sie würden jetzt durch „meine Stadt“fahren: „Ich hatte zum allererste­n Mal im Leben das Gefühl, dass ich ein Zuhause habe, dass ich angekommen bin.“

Er sei „unglaublic­h bekannt“in Saarbrücke­n, meint Herr Isaak, was ihm gefalle: „Menschen glücklich machen, das war schon immer mein Ding. Ich lebe meine Träume.“Dafür brauche er kein Geld: „Ich lebe von Luft und Liebe, der Liebe dieser Stadt. Das reicht für mich vollkommen zur Glückselig­keit.“Er lebe „zum Nulltarif“, was er habe, gebe er an andere Leute weiter.

Was von seinen Aussagen wie ernst zu nehmen ist, lässt sich wie schon bei früheren Begegnunge­n schwer einschätze­n. Oft wirkt „Herr Isaak“klar, immer wieder aber schweift er schnell ab, redet von Corona, Naturgeset­zen und Drohungen gegen Politiker, macht seltsame Andeutunge­n oder trägt ein selbstgesc­hriebenes Gedicht vor, in dem dann Worte wie „Verschwöru­ngskreatur“vorkommen. Auch ob es stimmt, dass er die deutsche Staatsbürg­erschaft „demonstrat­iv abgegeben“hat, am 9. November, dem „deutschen Schicksals­tag“, bleibt unklar. Er glaube an „höhere Kräfte“, sagt „Herr Isaak“und korrigiert sich sofort: „Nein, ich weiß, dass sie da sind. Ich bin kein Gläubiger, ich bin ein Wissender!“Die Dinge liefen immer so, wie sie laufen sollen, das habe er gelernt über viele Jahrzehnte, als er „draußen auf dem internatio­nalen Parkett“zuhause war, „genau dort, wo dir der Wind eiskalt um die Ohren pfeift“.

In seinem Zimmer in der Koßmannstr­aße, das er uns später zeigen wird, ist es warm. Chaotisch sieht es dort aus, so ähnlich wie früher unter der Westspange. Manches hat er mitgenomme­n von dort, das Bild eines tanzenden Paares zum Beispiel. Er sei schon immer unterwegs gewesen in der Welt, sei früh von zu Hause ausgezogen, habe Maschinenb­au studiert und schnell gemerkt, dass nicht die Technik das Problem ist, sondern die Menschen. „Die Menschen sind blind fürs Leben! Du kannst auf jeder Schule, jeder Universitä­t alles lernen, nur leben nicht. Die meisten Menschen hat man so gefügig gemacht, dass sie angefangen haben, ihr Leben immer mehr auf den Sankt-Nimmerlein­s-Tag zu verschiebe­n. Das habe ich nie gemacht.“Der „König der Westspange“– er scheint glücklich mit seinem neuen Leben an der Ostspange.

 ?? FOTO: THOMAS SCHÄFER ?? „Herr Isaak“, der „König der Westspange“, vor wenigen Tagen in einem Café in der Koßmannstr­aße.
FOTO: THOMAS SCHÄFER „Herr Isaak“, der „König der Westspange“, vor wenigen Tagen in einem Café in der Koßmannstr­aße.
 ?? FOTO: THOMAS SCHÄFER ?? „Herr Isaak“lebte an der Stadtautob­ahn an der Westspange.
FOTO: THOMAS SCHÄFER „Herr Isaak“lebte an der Stadtautob­ahn an der Westspange.

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