Ein Kollektiv, das keine Grenzen kennt
Im Trainingslager der SV Elversberg zeigt sich, wie gut Sportvorstand Book und Trainer Steffen das Team zusammengestellt haben.
MIJAS Man hat manchmal das Gefühl, eine 25-köpfige Familie wäre eine Woche nach Spanien in Urlaub gefahren. Dass die SV Elversberg eine Fußball-Mannschaft aus der 2. Bundesliga ist, erkennt man gelegentlich nur am einheitlichen Auftreten in T-Shirts oder Trainingsanzügen. Es gibt zwar GrüppchenBildung, doch die Grüppchen sehen jeden Tag anders aus – je nach dem, was wer gerade in der Freizeit unternehmen möchte.
„Für mich ist es total spannend zu sehen, wie lange die Jungs nach dem Essen noch zusammensitzen und sich unterhalten und gemeinsam Zeit verbringen. Das gibt es so nicht sehr oft in unserem Geschäft“, sagt Horst Steffen, der früher als Spieler und danach als Trainer schon in zig Trainingslagern war. Dieser besondere Geist im Kollektiv der SVE ist in den vergangenen fünf Jahren gewachsen und wahrscheinlich ein Hauptgrund für den Weg von der Regionalliga Südwest bis auf den aktuell neunten Platz der 2. Liga.
Was wären die einzelnen Bauteile wie Spieler, Trainer oder sportliche Leitung ohne dieses Kollektiv? „Ich könnte mir vorstellen, dass ich immer noch beim FC Gundelfingen in der Bayernliga spielen würde und vielleicht Schullehrer wäre“, sagt Linksaußen Manuel Feil, der gar kein Fußball-Profi werden wollte. Bei einem Testspiel mit dem FC Gundelfingen 2015 wurde ein Scout des 1. FC Nürnberg auf den heute 29-Jährigen aufmerksam. Feil riskierte den Wechsel zum FCN II in die Regionalliga, wo ihn der damalige SVE-Scout Ole Book entdeckte. Mittlerweile ist Feil 17-facher Zweitliga-Spieler. „Ich bin sicher, dass es für mich nur diesen einen Weg mit dieser Mannschaft in die 2. Liga hat geben können“, sagt Feil.
Paul Stock spielte bis zum vergangenen Sommer beim TSV Steinbach in der Regionalliga, davor in der Oberliga und Verbandsliga. „Ich war in nur einer Woche in diese Mannschaft integriert, und es fühlte sich so an, als wäre ich schon immer da gewesen“, erzählt Stock. In seinen unterklassigen Stationen dauerte es immer eine Zeit, bis er Stammspieler wurde. In der 2. Liga schaffte er es sofort. „Du spielst ja manchmal auch nicht, weil du neu bist oder weil der Trainer einen ganz anderen Plan im Kopf hat. In Elversberg spielen die, die im Training und in
„Was wir hier haben, ist schon sehr außergewöhnlich. Da überlegst du dir zweimal, ob du so ein Kollektiv wieder verlässt.“Semih Sahin Mittelfeldspieler der SV Elversberg
den Spielen am meisten investieren. Das sagen zwar die meisten Trainer im Vorfeld, aber am Ende ist es ganz anders. In Elversberg ist es genau so“, sagt der 27-Jährige, der zu den laufstärksten Spielern der Liga zählt.
Das Gleiche gilt für Semih Sahin, dessen Leistung in Elversberg förmlich explodierte. Vor eineinhalb Jahren war er Ersatzspieler in der Regionalliga, jetzt ist er aus der Zweitliga-Mannschaft der SVE gar nicht mehr wegzudenken. „Es gibt den ein oder anderen Spieler in unserem Kader, der könnte sich auch in anderen Vereinen durchsetzen. Was wir hier haben, ist aber schon sehr außergewöhnlich. Da überlegst du dir zweimal, ob du so ein Kollektiv wieder verlässt“, sagt Sahin. Er kam im Sommer 2021 von der U23 der TSG Hoffenheim nach Elversberg. „In den U-Mannschaften der Bundesligisten hast du kaum Zeit, dich zu entwickeln. Entweder du schaffst es, oder du musst gehen. In Elversberg bekam ich Zeit und Vertrauen, mich zu entwickeln. Das war der Schlüssel“, sagt der Deutsch-Türke.
Nicht viel anders war die Situation bei Trainer Horst Steffen vor seinem Wechsel im Jahr 2018 nach Elversberg. Sowohl bei den Stuttgarter Kickers als auch beim Chemnitzer FC und bei Preußen Münster (alle 3. Fußball-Liga) bekam der heute 54-Jährige nie die Zeit, seine Philosophie vom Fußballspiel weiterzugeben. Der empathische Krefelder legt größten Wert auf Menschlichkeit, Ehrlichkeit und einen fairen Umgang. Elversbergs Aufsichtsratschef Frank Holzer und sein Sohn, Präsident Dominik Holzer, haben beide Profifußball gespielt und sind bekannt dafür, lange an ihren Trainern festzuhalten. Es war die Zeit, die Steffen brauchte und in der er mit Sportvorstand Ole Book diese Mannschaft formte. „Ich wusste vor dem Wechsel, dass ein Scheitern zur Folge haben könnte, dass ich für immer Regionalliga-Trainer bleiben würde“, sagt Steffen, „ich war aber von Anfang an mit mir im Reinen, und mein Leben wäre heute auch in der Regionalliga noch das Gleiche.“
Einer der Kandidaten mit dem meisten Potenzial im Elversberger Kader ist Rechtsverteidiger, Innenverteidiger oder Mittelfeldspieler Robin Fellhauer. Der 25-Jährige ist einer von denen, die wohl auch ohne SVE in der 2. Liga spielen könnten. Aber auch er saß nach seinem Wechsel vom SC Freiburg II im Sommer 2019 ein Jahr lang mehr oder weniger nur auf der Bank, bis er im September 2020 als rechter Verteidiger den Turbo zündete. „Fast alle von uns verbindet die gleiche Geschichte, und wir haben uns zusammen in die 2. Bundesliga gearbeitet. Diese Konstellation ist einzigartig. Ob du so etwas wieder verlässt, überlegst du dir zweimal“, sagt Fellhauer, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft.
Auch Sportvorstand Ole Book bekam 2018 von Frank und Dominik Holzer die Chance und wurde vom Scout zum Sportdirektor. Er spricht ebenfalls von einer außergewöhnlichen Mannschaft. „Wir wissen schon, wen wir verpflichten und welche Entwicklungspotenziale es gibt“, sagt Book, „wir wussten auch um das Potenzial von Horst Steffen. Dass letztlich alles so funktioniert hat und wir jetzt in der 2. Liga spielen, ist überragend, aber es ist kein Zufall. Wir alle profitieren wechselseitig von unserem Kollektiv. Gleichzeitig haben die Spieler auch das Talent und den Fleiß gezeigt, um völlig zu Recht Zweitligaspieler zu sein.“
Book und Steffen haben in der vergangenen Saison die Verträge bis jeweils 2026 verlängert. Ziel ist es, die Mannschaft weiterzuentwickeln, aber den Mannschaftsgeist immer beizubehalten. Wohin dieser außergewöhnliche Zusammenhalt führen kann, ist völlig offen. Erste Wunschstation des Kollektivs: der Klassenverbleib in der 2. Liga.