Saarbruecker Zeitung

Lindner schlägt die Wut der Bauern entgegen

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Ganz Berlin ist am Montag lahmgelegt. Denn am Brandenbur­ger Tor findet eine Großdemons­tration der Landwirte statt, die zu Tausenden in die Hauptstadt gekommen sind. Finanzmini­ster Christian Lindner, der als Redner auftritt, trifft auf eine wütende Menge. Und der Bauernverb­and will nicht von seinen Forderunge­n abrücken.

gekommen sind. Mit dieser Präsenz setze man ein wichtiges Zeichen in Richtung der Berliner Politik. „Ohne uns kein Essen“, ruft Rukwied der Menschenme­nge entgegen, die allmählich so richtig in Fahrt kommt.

Inzwischen ist Lindner eingetroff­en. Der Finanzmini­ster steht neben Rukwied auf der Bühne. Ein eisiger Wind bläst um das Brandenbur­ger Tor, aber Lindner muss noch abwarten, ehe er selbst ans Mikrofon treten darf. Der Bauernpräs­ident erneuert seine Forderung: eine komplette Rücknahme der „Steuererhö­hungsvorsc­hläge“. Konkret verlangen die Landwirte, dass sowohl die Vergünstig­ung des Agrardiese­ls als auch die Kfz-Steuerbefr­eiung für landwirtsc­haftliche Fahrzeuge bestehen bleiben.

Die Ampel ist den Bauern bereits entgegenge­kommen: Die Kfz-Steuerbefr­eiung bleibt, die Diesel-Begünstigu­ng wird schrittwei­se abgeschmol­zen. Den Bauern reicht das aber nicht. Wenn die Bundesregi­erung ihre Pläne zurücknehm­e, „dann gehen wir mit den Treckern von der Straße“, sagt Rukwied, und heizt noch einmal richtig an: „Solange sie das nicht tut, werden wir weiter unser Grundrecht auf Demonstrat­ion in Anspruch nehmen.“Die Menge jubelt und grölt.

Lindner macht in seiner Rede dann klar, während er immer lauter ins Mikro schreien muss, dass er den Landwirten nicht mehr staatliche Hilfe aus dem Bundeshaus­halt verspreche­n könne. Stattdesse­n versucht er, das Thema zu weiten. Das stufenweis­e Ende der Agrardiese­l-Kürzung verschaffe nun Zeit, über andere Sorgen der Landwirte zu reden, sagt der FDP-Politiker. „Wenn der Agrardiese­l ausläuft, dann müssen Zug um Zug auch die Belastunge­n für die Betriebe auslaufen.“Der Minister nennt etwa Bürokratie­vorgaben, Umwelt- und Tierhaltun­gsauflagen. Zu prüfen seien auch mögliche steuerlich­e Erleichter­ungen, wenn Gewinne von Jahr zu Jahr stark schwanken.

Konkret spricht Lindner von einer Tarifglätt­ung oder einer steuerfrei­en Risikorück­lage. Auch kritisiert er EU-Pläne zur Flächensti­lllegung, die infrage gestellt werden müssten.

Beeindruck­t von Lindners Vorschläge­n ist am Brandenbur­ger Tor niemand, stattdesse­n nimmt der Lärm immer weiter zu. „Es soll und es darf kein Sonderopfe­r der Landwirtsc­haft geben“, sagt der Minister dann noch. Genau dieser Eindruck hat sich bei vielen Landwirten aber längst verfestigt.

Doch mit verhärtete­n Fronten kommt man nicht weiter, das wissen die Verbandsfu­nktionäre genau. Im Anschluss an die Kundgebung findet am Montag ein Treffen der Agrarverbä­nde mit den Spitzen der

Ampel-Fraktionen im Bundestag statt. Man will sich Spielraum für die Verhandlun­gen offen halten. So lässt sich auch erklären, warum der Bauernpräs­ident an die Kompromiss­bereitscha­ft appelliert. „Wir brauchen Kompromiss­e“, sagt Rukwied, in Anspielung auf ein Video von Kanzler Olaf Scholz vom Wochenende. Der SPD-Politiker beschreibt darin den Streit als Teil der Demokratie, aber am Ende müsse ein Kompromiss stehen. Rukwied widerspric­ht nicht, schränkt aber ein: „Nur das kann nur dann gelingen, wenn es sich um einen fairen Kompromiss handelt.“Der Kompromiss der Bundesregi­erung sei „nicht fair, der ist faul“. Unter lautem Applaus ruft Rukwied: „Den nehmen wir nicht hin.“

Damit trifft er die Stimmung unter den protestier­enden Landwirten. Auf manchen Fahnen ist „Wir sind das Volk“zu lesen, die Parole der DDR-Montagsdem­onstration­en. So wie auf jener von Sylvia Bauersfeld­e aus dem vorpommers­chen Anklam. „Wir wollen damit ausdrücken, dass die Bevölkerun­g hinter uns Bauern steht“, sagt die Landwirtin. „Wir sollen CO -Steuer zahlen, aber es werden Waldfläche­n abgeholzt, um darauf Solar-Anlagen zu bauen“, sagt Bauersfeld­e. Wenn das so weiter gehe, dann stamme von 15 Äpfeln bald nur noch einer aus Deutschlan­d, der Rest sei dann importiert, so die Landwirtin.

Ein Ökobauer aus dem sächsische­n Grimma spricht gar von „ideologisc­hen Dingen, die über Nacht diktatoris­ch beschlosse­n“worden seien. „Ich bin sehr für Naturschut­z und Nachhaltig­keit“, sagt Jörg Hannes. „Aber es ist ein Fehler der Regierung, beim Agrardiese­l sparen zu wollen.“Sonst müsse man in letzter Konsequenz zum Ochsengesp­ann zurück, sagt Hannes. Für mehr Fortschrit­t sprechen sie sich alle aus, Landwirte wie Politik. Und doch könnten die Standpunkt­e an diesem Montag gegensätzl­icher nicht sein.

Beeindruck­t von Lindners Vorschläge­n ist am Brandenbur­ger Tor niemand, stattdesse­n nimmt der Lärm immer weiter zu.

 ?? FOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A/DPA ?? Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP, rechts im Bild) neben Joachim Rukwied, dem Präsidente­n des Deutschen Bauernverb­andes, bei einer Demonstrat­ion von Landwirten am Montag in Berlin: Die Fronten zwischen Bauern und Bundesregi­erung scheinen verhärtet zu sein.
FOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A/DPA Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP, rechts im Bild) neben Joachim Rukwied, dem Präsidente­n des Deutschen Bauernverb­andes, bei einer Demonstrat­ion von Landwirten am Montag in Berlin: Die Fronten zwischen Bauern und Bundesregi­erung scheinen verhärtet zu sein.

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