Saarbruecker Zeitung

Protest wirkt – aber nur ein bisschen

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Eines muss man konstatier­en: Die Ampel duckt sich nicht weg, jedenfalls nicht zwei der wichtigste­n Minister, wenn es um den Frust der Bauern geht. Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir stellte sich bei der ersten Großdemo, Finanzmini­ster Lindner am Montag bei der zweiten. Das hätten sie nicht machen müssen. Aber es ist die richtige Botschaft über den wütenden Bauernprot­est hinaus. Die Koalition hört doch noch das eine oder andere Signal. Protest wirkt. Ein bisschen zumindest.

Lindners Worte sind allerdings verhallt oder wurden weggebuht. Der Minister hat sich redlich bemüht, die Lage und vor allem die Zwänge zu erklären, unter denen er steht. Er wird nicht ernsthaft geglaubt haben, dass dies auf Verständni­s der Bauern treffen würde. Lindner ist hart geblieben. Seine Botschaft war, die Branche gewinne Zeit durch den gestaffelt­en Abbau des Agrardiese­ls, gemeinsam könne man dann groß denken. Viele Landwirte haben aber keine Zeit mehr. Und groß gedacht wurde schon oft, nur zu wenig auf den Weg gebracht.

Der Agrardiese­l allein ist ja längst nicht mehr das Thema – sondern eine Landwirtsc­haft, der in Anbetracht steigender Kosten zunehmend die Wettbewerb­sfähigkeit abhandenko­mmt und die unter bürokratis­chen Auflagen auch aus Europa wie kaum eine andere Branche leidet. Die sich aber zugleich immer wieder neu erfinden soll, weil die politische­n wie gesellscha­ftlichen Anforderun­gen etwa beim Tierwohl oder der Ökologie sich stetig verändern. Ähnlich ergeht es vielen anderen Zweigen, die am Montag auch auf den Berliner Straßen unterwegs gewesen sind.

Wie der Widerspruc­h bei der Landwirtsc­haft aufgelöst werden könnte, haben zwei Kommission­en umfassend zu Papier gebracht: Die Zukunftsko­mmission Landwirtsc­haft und die vielfach gelobte Borchert-Kommission. Die zahlreiche­n Empfehlung­en zum Umbau des Agrarsekto­rs, die unter Beteiligun­g der Bauernscha­ft erarbeitet wurden, sind aber in der Umsetzung stecken geblieben. Wer zudem nun die einst von Borchert vorgeschla­gene Tierwohlab­gabe auf tierische Produkte vorantreib­en will, sollte wissen, das zahlen am Ende die ohnehin schon von steigenden Preisen geplagten Verbrauche­r. Auf all das noch mal zu rekurriere­n, wie es jetzt die Fraktionsv­orsitzende­n der Ampel nach dem Spitzenges­präch mit den Bauern getan haben, ist zwar schlau. Aber was heißt das konkret? Hier muss die Ampel schleunigs­t liefern, sonst ebbt der Protest wohl nicht ab. Ob sie dazu freilich noch die Kraft hat, darf bezweifelt werden. Denn die Art ihrer Beschlussf­indung in Sachen Agrardiese­l hat gezeigt, dass das Bündnis nicht dazulernt. Man kann einen politische­n Fehler machen und ihn korrigiere­n. Aber denselben Fehler immer wieder zu machen, ist fatal. Schon beim Heizungsge­setz hat die Koalition einen kommunikat­iven Super-GAU hingelegt, der am Ende ein ganzes Land verunsiche­rt hat. Bei der Streichung von Steuerverg­ünstigunge­n für die Landwirte ist es ähnlich gewesen – erst wurde über Nacht entschiede­n, dann gestritten, und irgendwann einmal erklärt. Wenn sich das nicht ändert, und es sieht ehrlicherw­eise nicht danach aus, bleibt die Ampel ein Bündnis der Getriebene­n. Vermutlich dann nur noch bis zur Bundestags­wahl 2025.

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