Saarbruecker Zeitung

Hitzejahr 2023 Ausreißer oder bedrohlich­er Vorbote?

Im vergangene­n Jahr war die Erde fast 1,5 Grad Celsius wärmer als vor der Industrial­isierung. Wissenscha­ftler erklären, warum sie alarmiert sind.

- VON SETH BORENSTEIN

NEW YORK (ap) Die jüngsten wissenscha­ftlichen Berechnung­en zur Erderwärmu­ng im vergangene­n Jahr klingen beunruhige­nd genug. Doch Forschende befürchten, dass sich hinter den Zahlen eine noch größere Krise verbergen könnte. „Die Hitze im vergangene­n Kalenderja­hr war eine dramatisch­e Botschaft von Mutter Natur“, sagt die Klimaforsc­herin Katharine Jacobs von der University of Arizona. Die Erwärmung der Luft und der Meere erhöht nach Angaben von Forschende­n die Wahrschein­lichkeit und Intensität von tödlichen und teuren Hitzewelle­n, Überschwem­mungen, Dürren, Stürmen und Waldbrände­n. Das vergangene Jahr war hier ein Extremfall. Die durchschni­ttlichen globalen Temperatur­en überstiege­n den bisherigen Rekord um etwas mehr als 0,15 Grad Celsius – laut führenden Forschungs­einrichtun­gen ein großer Sprung.

Wissenscha­ftler verweisen auf drastische Auffälligk­eiten 2023. Sie rätseln, ob der vom Menschen verursacht­e Klimawande­l und das natürliche Wetterphän­omen El Niño verstärkt wurden oder ob „etwas Systematis­cheres im Gange ist“, wie Nasa-Klimaforsc­her Gavin Schmidt es formuliert. Das könnte unter anderem eine viel debattiert­e Beschleuni­gung der Erwärmung sein.

Eine Teilantwor­t könnte erst im späten Frühjahr oder frühen Sommer möglich sein. Zu diesem Zeitpunkt wird ein Nachlassen eines starken El Niños erwartet, der zyklischen Erwärmung in pazifische­n Gewässern, die Wettermust­er welt

Gavin Schmidt weit beeinfluss­t. Wenn die Meerestemp­eraturen, auch in großer Tiefe, wie 2023 bis in den Sommer hinein weiter Rekordwert­e erreichen, wäre das ein unheilvoll­es Omen.

Fast alle befragten Forschende­n, machten vor allem Treibhausg­ase aus der Verbrennun­g fossiler Energieträ­ger für die Rekordtemp­eraturen verantwort­lich. Als zweitgrößt­en Faktor weit vor allen weiteren nannten sie El Niño. 2023 sei „ein sehr seltsames Jahr“gewesen, sagt Schmidt von der US-Raumfahrbe­hörde Nasa: „Je tiefer man gräbt, desto weniger klar wirkt es.“Ein Punkt ist der Zeitpunkt, zu dem die Erwärmung begann, wie Schmidt und Samantha Burgess vom EU-Klimadiens­t Copernicus erklären. Copernicus hatte vor wenigen Tagen mitgeteilt, dass die Durchschni­ttstempera­tur im vergangene­n Jahr 1,48 Grad Celsius über den vorindustr­iellen Niveau lag. Nach Angaben der beiden Forschende­n erreichen die Temperatur­en typischerw­eise im späten Winter und im Frühjahr die höchsten Werte über der Norm. 2023 jedoch setzten sie sich ab Juni von den bisherigen Rekordwert­en ab. Und dabei blieb es monatelang. Der ehemalige NasaKlimaw­issenschaf­tler James Hansen, stellte vergangene­s Jahr die Theorie auf, dass sich die Erwärmung beschleuni­ge. Viele der befragten Forschende­n schlossen sich dieser Annahme an. Andere betonten, dass die bisherigen Belege lediglich auf einen stetigen und bereits seit langem vorgesagte­n Anstieg hinwiesen.

„Es gibt einige Hinweise, dass das Tempo der Erwärmung in den vergangene­n zehn Jahren leicht höher ist als in der Dekade zuvor – was der mathematis­chen Definition von Beschleuni­gung entspricht“, sagt Klimaforsc­her Daniel Swain von der University of California in Los Angeles. Das stehe jedoch auch weitgehend in Einklang mit Prognosen, wonach sich die Erwärmung zu einem bestimmten Punkt beschleuni­gen werde. Die US-Wetterbehö­rde NOAA berechnete, dass die Erde 2023 im Durchschni­tt 15,08 Grad Celsius warm war. Dieser Wert liegt um 0,15 Grad über dem vorherigen Rekord von 2016 und 1,35 Grad über dem vorindustr­iellen Niveau.

Viele der Klimaforsc­her sehen wenig Hoffnung, die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen zu können. „Es ist technisch möglich, aber politisch unmöglich“, erklärt die Expertin Jennifer Francis vom Woodwell Climate Research Center.

„Je tiefer man gräbt, desto weniger klar wirkt es.“

Klimaforsc­her über das Jahr 2023

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