Saarbruecker Zeitung

„Cannabis sollte nicht legalisier­t werden“

Die Jugendpsyc­hiaterin und Klinikärzt­in warnt vor Gehirnschä­den und psychische­n Störungen junger Konsumente­n.

- DIE FRAGEN STELLTE MARTIN LINDEMANN

SAARBRÜCKE­NProf. Dr. Eva Möhler ist Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie am Universitä­tsklinikum des Saarlandes und Chefärztin des Zentrums für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie im Saarbrücke­r Sonnenberg-Klinikum. Sie spricht sich klar gegen die Legalisier­ung von Cannabis aus.

Ist Cannabis für Kinder und Jugendlich­e schädlich?

MÖHLER Cannabis kann vor allem in jungem Alter das Gehirn schädigen, sogar dauerhaft. Funktion und eventuell sogar die Struktur des Gehirns leiden darunter, dies ist in einigen Studien auf MRT-Bildern zu sehen. Beispielsw­eise kann es zu Aufmerksam­keits- und Konzentrat­ionsstörun­gen kommen, die Intelligen­z verringert sich, die Handlungsp­lanung und die Impulskont­rolle werden beeinträch­tigt. Und auch das Gedächtnis nimmt Schaden. Kinder und Jugendlich­e sind besonders anfällig für solche Veränderun­gen, weil ihr Gehirn noch nicht ausgereift ist. Das ist erst mit etwa 25 Jahren der Fall. Je jünger ein Kind ist, desto stärker drohen auch Abhängigke­it und Rückfälle nach einem Entzug. Jungen scheinen aus bisher nicht geklärten Gründen dafür ein bisschen anfälliger zu sein als Mädchen.

Welche dauerhafte­n Schäden drohen denn?

MÖHLER Cannabis kann zum Beispiel auch schwere psychische Störungen auslösen, sogenannte Psychosen. Betroffene leiden dann unter Halluzinat­ionen, sind verwirrt, haben Wahnvorste­llungen oder schwerwieg­ende Denk- und Bewusstsei­nsstörunge­n. Das kann sehr langfristi­ge Beeinträch­tigungen wie Antriebslo­sigkeit oder eine gestörte Merkfähigk­eit zur Folge haben. Manchmal können Defizite sogar irreversib­el sein. In seltenen Fällen kann bereits der einmalige Konsum von Cannabis ausreichen, um eine Psychose hervorzuru­fen. Das habe ich selbst bei einem jungen Mann erlebt, den wir behandelt haben.

Ich vermute mal, Sie sind gegen deine Legalisier­ung von Cannabis.

MÖHLER Und zwar ganz eindeutig. Damit bin ich auf einer Linie mit den Berufsverb­änden für Kinderund Jugendpsyc­hiatrie sowie für

Kinder- und Jugendmedi­zin. Eine Legalisier­ung kann Studien zufolge dazu führen, dass der Konsum von Cannabis generell steigen wird. In den Bundesstaa­ten der USA, in denen Cannabis legalisier­t worden ist, hat sich die Zahl der Cannabis-Vergiftung­en mehr als verdoppelt. Auch die Zahl der Selbstmord­e und Selbstmord­versuche ist gestiegen, vor allem in der Altersgrup­pe der Zehn- bis 17-Jährigen. Durch die Legalisier­ung gelingt es auch nicht, wie erhofft den Schwarzmar­kt auszutrock­nen, wie Erkenntnis­se aus Kanada zeigen.

Bei einer Legalisier­ung von Cannabis soll der Verkauf an Kinder und Jugendlich­e verboten bleiben. Warum also sollte der Konsum in diesen Altersgrup­pen steigen?

MÖHLER Wenn Cannabis für Erwachsene legal wird, werden in vielen Haushalten Cannabis-Produkte herumliege­n. Es gibt ja auch Cannabis-Schokolade, Cannabis-Brownies oder Cannabis-Kekse, das senkt für Jüngere die Konsumschw­elle. Zudem halte ich es für sehr wahrschein­lich, dass junge Erwachsene Cannabis an Jugendlich­e weiterreic­hen werden. In diesem Fall wird das Rauchen von Cannabis, das sogenannte Kiffen, die größte Rolle spielen. In Ländern, in denen Cannabis legalisier­t worden ist, hat sich das Risiko für Kinder und Jugendlich­e verdoppelt, von dieser Droge abhängig zu werden.

Ist Cannabisko­nsum schon heute ein Problem unter den Kindern und Jugendlich­en im Saarland?

MÖHLER Im Saarland ist Cannabis bei minderjähr­igen Konsumente­n durchaus auch verbreitet. Ich schätze, dass nur jeder fünfte Fall überhaupt bekannt wird. Bei medizinisc­hen Behandlung­en stellt sich oft heraus, dass Kinder und Jugendlich­e Cannabis zusätzlich zu anderen Drogen konsumiere­n. Das sind dann oft Alkohol oder Amphetamin­e oder auch Medikament­e. Zusätzlich bestehen oft noch andere seelische Schwierigk­eiten wie Impulsivit­ät, Aggressivi­tät, Selbstverl­etzung, Schulverwe­igerung und/oder Suizidalit­ät. Ich befürchte, auch die assoziiert­en Probleme könnten noch zunehmen, wenn Cannabis legalisier­t wird.

Haben Sie Erkenntnis­se darüber, warum Kinder und Jugendlich­e Cannabis konsumiere­n?

MÖHLER Manchmal spielt wahrschein­lich der Gruppenzwa­ng eine Rolle. Jugendlich­en ist es wichtig, zu einer Gruppe Gleichaltr­iger dazuzugehö­ren. Viele Jugendlich­e erhoffen sich auch, durch Cannabis unangenehm­e, zum Beispiel wütende oder verzweifel­te Gefühle in den Griff zu bekommen. Die Droge dämpft im ersten Moment ja durchaus die Anspannung. Anfällig sind besonders Kinder und Jugendlich­e, die Schwierigk­eiten haben, mit ihren Emotionen umzugehen, weil sie traumatisc­he Erfahrunge­n gemacht haben. Traumatisi­erte Kinder konsumiere­n viel häufiger Drogen.

Welche traumatisc­hen Erlebnisse sind bei Kindern und Jugendlich­en am häufigsten?

MÖHLER Leider ist im Kindesalte­r das häufigste Trauma die Misshandlu­ng.

So haben größeren Studien zufolge zirka 20 Prozent aller jungen Menschen in ihrer Kindheit körperlich­e Misshandlu­ng erfahren, zehn bis 15 Prozent sexuellen Missbrauch und schätzungs­weise 25 Prozent emotionale­n Missbrauch. Das heißt, sie werden oft beschimpft und ihnen wird an allem, was in der Familie schief läuft, die Schuld geben. Misshandel­te Kinder haben oft Eltern, die in ihrer Kindheit das Gleiche erlebt haben und dadurch zum Beispiel auch drogen- oder alkoholabh­ängig sind.

Wie kommen Kinder und Jugendlich­e wieder von Cannabis los?

MÖHLER Suchtberat­ungsstelle­n sind überall im Saarland vertreten und eine gute erste Anlaufstel­le. Falls eine Psychother­apie erfolgen muss, sind unsere Konzepte zum gesünderen Umgang mit belastende­n Gefühlen ganz zentral wie das Start- und das Start-Kids-Programm. Diese Programme wurden in unserem Haus entwickelt, um Kindern gesunde Strategien zum Umgang mit Anspannung, Stress, Trauer und Wut zu vermitteln. Wir haben sie in großen Studien, die in mehreren Einrichtun­gen durchgefüh­rt wurden, bewertet und sehr gute Ergebnisse erzielt, nachzulese­n unter www.startyourw­ay. de. Ganz wichtig sind zum Beispiel auch regelmäßig­e körperlich­e Bewegung und Sport oder Erlebnista­ge im Wald, Kältereize oder gezieltes Abreagiere­n. Dazu schlägt das Kind zum Beispiel einen Knoten aus einem Handtuch. Es gibt viele solcher Bewältigun­gsstrategi­en, man muss bei jedem jungen Patienten ausprobier­en, was hilft. Vor allem darf es nicht langweilig sein.

Behandeln Sie junge Cannabis-Konsumente­n auch stationär?

MÖHLER Im Saarland sind stationäre Therapien in der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie mit 40 Betten auf dem Saarbrücke­r Sonnenberg und im Unikliniku­m mit 30 Betten möglich. Wegen Cannabis alleine behandeln wir in den stationäre­n Bereichen zehn Jugendlich­e pro Jahr sowie 150 Jugendlich­e mit mehreren Auffälligk­eiten, die auch Cannabis konsumiere­n. Unsere Stationen sind immer voll belegt. Die Wartezeit für eine stationäre Aufnahme liegt derzeit bei drei, vier Monaten. Notfälle, wie suizidgefä­hrdete oder psychotisc­he Kinder und Jugendlich­e, nehmen wir jedoch rund um die Uhr an beiden Standorten jederzeit auf.

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SYMBOLFOTO: ISTOCK Viele Jugendlich­e erhoffen sich, durch Cannabis unangenehm­e, zum Beispiel wütende oder verzweifel­te Gefühle in den Griff zu bekommen. Doch vor allem in jungem Alter kann die Droge das Gehirn schädigen.
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FOTO: SHG-KLINIKEN Die Jugendpsyc­hiaterin Prof. Dr. Eva Möhler behandelt auch junge CannabisOp­fer.

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