„Cannabis sollte nicht legalisiert werden“
Die Jugendpsychiaterin und Klinikärztin warnt vor Gehirnschäden und psychischen Störungen junger Konsumenten.
SAARBRÜCKENProf. Dr. Eva Möhler ist Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum des Saarlandes und Chefärztin des Zentrums für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Saarbrücker Sonnenberg-Klinikum. Sie spricht sich klar gegen die Legalisierung von Cannabis aus.
Ist Cannabis für Kinder und Jugendliche schädlich?
MÖHLER Cannabis kann vor allem in jungem Alter das Gehirn schädigen, sogar dauerhaft. Funktion und eventuell sogar die Struktur des Gehirns leiden darunter, dies ist in einigen Studien auf MRT-Bildern zu sehen. Beispielsweise kann es zu Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen kommen, die Intelligenz verringert sich, die Handlungsplanung und die Impulskontrolle werden beeinträchtigt. Und auch das Gedächtnis nimmt Schaden. Kinder und Jugendliche sind besonders anfällig für solche Veränderungen, weil ihr Gehirn noch nicht ausgereift ist. Das ist erst mit etwa 25 Jahren der Fall. Je jünger ein Kind ist, desto stärker drohen auch Abhängigkeit und Rückfälle nach einem Entzug. Jungen scheinen aus bisher nicht geklärten Gründen dafür ein bisschen anfälliger zu sein als Mädchen.
Welche dauerhaften Schäden drohen denn?
MÖHLER Cannabis kann zum Beispiel auch schwere psychische Störungen auslösen, sogenannte Psychosen. Betroffene leiden dann unter Halluzinationen, sind verwirrt, haben Wahnvorstellungen oder schwerwiegende Denk- und Bewusstseinsstörungen. Das kann sehr langfristige Beeinträchtigungen wie Antriebslosigkeit oder eine gestörte Merkfähigkeit zur Folge haben. Manchmal können Defizite sogar irreversibel sein. In seltenen Fällen kann bereits der einmalige Konsum von Cannabis ausreichen, um eine Psychose hervorzurufen. Das habe ich selbst bei einem jungen Mann erlebt, den wir behandelt haben.
Ich vermute mal, Sie sind gegen deine Legalisierung von Cannabis.
MÖHLER Und zwar ganz eindeutig. Damit bin ich auf einer Linie mit den Berufsverbänden für Kinderund Jugendpsychiatrie sowie für
Kinder- und Jugendmedizin. Eine Legalisierung kann Studien zufolge dazu führen, dass der Konsum von Cannabis generell steigen wird. In den Bundesstaaten der USA, in denen Cannabis legalisiert worden ist, hat sich die Zahl der Cannabis-Vergiftungen mehr als verdoppelt. Auch die Zahl der Selbstmorde und Selbstmordversuche ist gestiegen, vor allem in der Altersgruppe der Zehn- bis 17-Jährigen. Durch die Legalisierung gelingt es auch nicht, wie erhofft den Schwarzmarkt auszutrocknen, wie Erkenntnisse aus Kanada zeigen.
Bei einer Legalisierung von Cannabis soll der Verkauf an Kinder und Jugendliche verboten bleiben. Warum also sollte der Konsum in diesen Altersgruppen steigen?
MÖHLER Wenn Cannabis für Erwachsene legal wird, werden in vielen Haushalten Cannabis-Produkte herumliegen. Es gibt ja auch Cannabis-Schokolade, Cannabis-Brownies oder Cannabis-Kekse, das senkt für Jüngere die Konsumschwelle. Zudem halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass junge Erwachsene Cannabis an Jugendliche weiterreichen werden. In diesem Fall wird das Rauchen von Cannabis, das sogenannte Kiffen, die größte Rolle spielen. In Ländern, in denen Cannabis legalisiert worden ist, hat sich das Risiko für Kinder und Jugendliche verdoppelt, von dieser Droge abhängig zu werden.
Ist Cannabiskonsum schon heute ein Problem unter den Kindern und Jugendlichen im Saarland?
MÖHLER Im Saarland ist Cannabis bei minderjährigen Konsumenten durchaus auch verbreitet. Ich schätze, dass nur jeder fünfte Fall überhaupt bekannt wird. Bei medizinischen Behandlungen stellt sich oft heraus, dass Kinder und Jugendliche Cannabis zusätzlich zu anderen Drogen konsumieren. Das sind dann oft Alkohol oder Amphetamine oder auch Medikamente. Zusätzlich bestehen oft noch andere seelische Schwierigkeiten wie Impulsivität, Aggressivität, Selbstverletzung, Schulverweigerung und/oder Suizidalität. Ich befürchte, auch die assoziierten Probleme könnten noch zunehmen, wenn Cannabis legalisiert wird.
Haben Sie Erkenntnisse darüber, warum Kinder und Jugendliche Cannabis konsumieren?
MÖHLER Manchmal spielt wahrscheinlich der Gruppenzwang eine Rolle. Jugendlichen ist es wichtig, zu einer Gruppe Gleichaltriger dazuzugehören. Viele Jugendliche erhoffen sich auch, durch Cannabis unangenehme, zum Beispiel wütende oder verzweifelte Gefühle in den Griff zu bekommen. Die Droge dämpft im ersten Moment ja durchaus die Anspannung. Anfällig sind besonders Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten haben, mit ihren Emotionen umzugehen, weil sie traumatische Erfahrungen gemacht haben. Traumatisierte Kinder konsumieren viel häufiger Drogen.
Welche traumatischen Erlebnisse sind bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten?
MÖHLER Leider ist im Kindesalter das häufigste Trauma die Misshandlung.
So haben größeren Studien zufolge zirka 20 Prozent aller jungen Menschen in ihrer Kindheit körperliche Misshandlung erfahren, zehn bis 15 Prozent sexuellen Missbrauch und schätzungsweise 25 Prozent emotionalen Missbrauch. Das heißt, sie werden oft beschimpft und ihnen wird an allem, was in der Familie schief läuft, die Schuld geben. Misshandelte Kinder haben oft Eltern, die in ihrer Kindheit das Gleiche erlebt haben und dadurch zum Beispiel auch drogen- oder alkoholabhängig sind.
Wie kommen Kinder und Jugendliche wieder von Cannabis los?
MÖHLER Suchtberatungsstellen sind überall im Saarland vertreten und eine gute erste Anlaufstelle. Falls eine Psychotherapie erfolgen muss, sind unsere Konzepte zum gesünderen Umgang mit belastenden Gefühlen ganz zentral wie das Start- und das Start-Kids-Programm. Diese Programme wurden in unserem Haus entwickelt, um Kindern gesunde Strategien zum Umgang mit Anspannung, Stress, Trauer und Wut zu vermitteln. Wir haben sie in großen Studien, die in mehreren Einrichtungen durchgeführt wurden, bewertet und sehr gute Ergebnisse erzielt, nachzulesen unter www.startyourway. de. Ganz wichtig sind zum Beispiel auch regelmäßige körperliche Bewegung und Sport oder Erlebnistage im Wald, Kältereize oder gezieltes Abreagieren. Dazu schlägt das Kind zum Beispiel einen Knoten aus einem Handtuch. Es gibt viele solcher Bewältigungsstrategien, man muss bei jedem jungen Patienten ausprobieren, was hilft. Vor allem darf es nicht langweilig sein.
Behandeln Sie junge Cannabis-Konsumenten auch stationär?
MÖHLER Im Saarland sind stationäre Therapien in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit 40 Betten auf dem Saarbrücker Sonnenberg und im Uniklinikum mit 30 Betten möglich. Wegen Cannabis alleine behandeln wir in den stationären Bereichen zehn Jugendliche pro Jahr sowie 150 Jugendliche mit mehreren Auffälligkeiten, die auch Cannabis konsumieren. Unsere Stationen sind immer voll belegt. Die Wartezeit für eine stationäre Aufnahme liegt derzeit bei drei, vier Monaten. Notfälle, wie suizidgefährdete oder psychotische Kinder und Jugendliche, nehmen wir jedoch rund um die Uhr an beiden Standorten jederzeit auf.