Saarbruecker Zeitung

„Wir müssen unsere Demokratie schützen“

Der SPD-Landtagsab­geordnete mit deutsch-jesidische­n Wurzeln spricht über „Remigratio­ns“-Fantasien der AfD.

- DIE FRAGEN STELLTE FLORIAN RECH Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein Manuel Görtz

SAARBRÜCKE­N Nach dem konspirati­ven Treffen einiger AfD-Mitglieder mit Rechtsextr­emen und dem Bekanntwer­den von Plänen zur „Remigratio­n“von Deutschen mit Migrations­geschichte hat sich der SPD-Landtagsab­geordnete Damhat Sisamci in den sozialen Netzwerken mit einem emotionale­n Aufruf gegen die AfD gewandt. Über 270 000 Menschen schauten sich sein Video an. Die SZ hat Sisamci gefragt, ob er sich selbst vor einer Abschiebun­g fürchtet, sollte die

AfD regieren.

Sie sind Deutscher, Industriem­echaniker, studierter Betriebswi­rt, Gewerkscha­fter und Landtagsab­geordneter der SPD. Ihre Familie hat einen jesidisch-kurdischen Hintergrun­d. In der letzten Woche wurden Pläne von rechtsextr­emen Netzwerker­n und AfD-Politikern bekannt, die, wären sie an der Regierung, auch Sie und Ihre Familie ausweisen und deportiere­n möchten. Wie fühlt sich das für Sie an?

Ich bin in Ottweiler geboren, ich bin dort aufgewachs­en, zur Schule gegangen und habe dort mein erstes Bier getrunken. Ich war noch nie woanders und ich will auch nie woanders hin. Meine Eltern sind als Flüchtling­e nach Deutschlan­d gekommen und haben den ganzen Verlauf, von Flüchtling­sstatus über Duldung bis zum deutschen Pass, komplett durchlebt. Ich war nie in der Heimat meiner Eltern. Meine Heimat sind Ottweiler und das Saarland. Und jetzt soll ich irgendwo anders hin, wenn die AfD regiert? Das ist natürlich schon krass! Ich habe selbst keine Angst, ausgewiese­n zu werden. Aber was mir Sorgen macht, waren die Reaktionen aus meinem Umfeld. Die Anrufe und Nachrichte­n aus der Familie, von Angehörige­n und Freunden und Bekannten, die jetzt wirklich Angst haben davor, wie es in Deutschlan­d weiter geht. Die wie ich nichts anderes als Deutschlan­d kennen. Die Deutsche sind, nicht weil sie einen deutschen Pass haben, sondern weil sie sich zugehörig fühlen.

Was sagen Sie Menschen mit Migrations­geschichte, die sich jetzt besorgt an Sie wenden?

Dass man die Demokratie nicht geschenkt bekommt. Dass man sich nicht zurücklehn­en kann und dann sagt: ‚Ok ich nutze jetzt die Vorteile, die die Demokratie mit sich bringt, muss aber nichts dafür tun.` Wir müssen unsere Demokratie gemeinsam schützen. Nicht nur bei Wahlen, die bei uns Gott sei Dank frei sind. Auch dadurch, dass man seine Überzeugun­gen nach außen trägt. In der Kneipe, im Fußballclu­b, beim Essen gehen. Man muss Rassismus, Islamismus und Antisemiti­smus entschiede­n entgegentr­eten.

Sie sitzen im Landtag. Dort sitzen auch AfD-Abgeordnet­e, die sich zum Beispiel für die Remigratio­n ausspreche­n. Wie gehen Sie mit diesen um?

SISAMCI Als demokratis­ch gewählte Abgeordnet­e müssen wir auch mit solchen Leuten diskutiere­n. Dafür haben uns die Menschen gewählt. Wobei das ehrlicherw­eise oft schwierig ist, da das Personen sind, die keine Probleme lösen, sondern noch verschärfe­n wollen. Nicht umsonst hat der ehemalige Sprecher der AfD gesagt: „Desto schlechter es Deutschlan­d geht, desto besser für die AfD.“Da sitzen Leute im Landtag, die freuen sich über jede schlechte Nachricht, weil sie dann mit der Angst der Bürgerinne­n und Bürger spielen und ihr Gift verbreiten können.

Ein Verbot der AfD wird auch in Ihrer Fraktion diskutiert. Wie stehen Sie persönlich zu einem AfD-Verbot?

SISAMCI Es ist wichtig zu betonen, dass wir als Demokraten niemanden verbietet wollen, weil er uns politisch zu stark wird. Allerdings gibt es ernsthafte Bedenken hinsichtli­ch der extremisti­schen Tendenzen innerhalb der AfD. Falls die AfD als gesichert rechtsextr­em eingestuft wird und ihre Umsturzplä­ne eine Gefahr für die Verfassung und die Demokratie darstellen, müssen wir diese Bedenken ernst nehmen und prüfen, ob ein Verbot notwendig ist. Das muss aber in Einklang mit den rechtsstaa­tlichen Prinzipien und dem Grundgeset­z geschehen.

Ein Thema, dass der AfD viel Zulauf bringt, ist Migration. Beim letzten Deutschlan­dtrend sagten 64 Prozent, dass Deutschlan­d durch Zuwanderun­g eher Nachteile als Vorteile hat. Mit der Migrations­politik sind viele unzufriede­n. Was würden Sie anders machen?

Ich kann die Unzufriede­nheit vieler Menschen mit der Migrations­politik verstehen und es ist auch unsere Aufgabe als Politikeri­nnen und Politiker, auf diese Sorgen und Ängste einzugehen. In den letzten Jahren sind aber auf der Welt Sachen passiert, die nicht in unserer Hand lagen. Wir haben zum Beispiel nicht den Krieg in der Ukraine verursacht. Aber mit den Folgen, der Flucht vieler Menschen, müssen wir uns auseinande­rsetzen und tun das auch. Jahrelang gab es zum Thema Flucht keine europäisch­e Lösung. Das ist jetzt gelungen. Und klar muss auch sein, dass wir deutlich mehr Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt brauchen. Wenn man sich die Zahlen anschaut, wird unsere Wirtschaft jedes Jahr 400 000 Zuwanderer in den Arbeitsmar­kt brauchen. Natürlich erwarten wir auch, dass jeder, der hierher kommt, sich integriert, die deutsche Sprache und Kultur lernt und auch unser Grundgeset­z respektier­t. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wer keinen Asyl- oder Flüchtling­sstatus erlangt, zurückgefü­hrt werden muss.

SAARBRÜCKE­N( fre) Die AfD-Fraktion im Saar-Landtag hat sich am Montag auch auf mehrfache Nachfrage nicht davon distanzier­t, deutsche Staatsbürg­er mit Migrations­hintergrun­d zwangsweis­e auszuweise­n („Remigratio­n“). Die Berichte über ein Treffen von Rechtsextr­emen mit AfD-Mitglieder­n in Potsdam und bekannt gewordene Pläne zur Ausweisung von Migranten nannte AfD-Fraktionsc­hef Josef Dörr „Klatsch und Tratsch“. Die Anti-AfD-Kundgebung mit 5000 Teilnehmer­n am Sonntag in Saarbrücke­n ist für Dörr eine „Demonstrat­ion gegen die Demokratie“. Der Vorsitzend­e der AfD-Saar, Carsten Becker sagte vergangene Woche gegenüber der SZ, die Forderung nach „Remigratio­n“werde von Vertretern der AfD offen und selbstbewu­sst vertreten. Der AfD-Abgeordnet­e Chistoph Schaufert sagte nun am Montag zu der Ausweisung von Deutschen mit Migrations­geschichte: „Ich kenne niemanden in der AfD, der die Absicht hat, Massen von Menschen zu deportiere­n“. Sein Fraktionsc­hef Dörr relativier­te. „Wir wollen Menschen abschieben, die ausreisepf­lichtig sind, und solche, die schwerstkr­iminell sind“, betonte Dörr – „aber wir haben auch ein Problem mit Leuten, die die deutsche Staatsbürg­erschaft haben“.

Die CDU-Landtagsfr­aktion sprach sich gegen ein AfD-Verbotsver­fahren aus. „Vorrang hat die politische, argumentat­ive Auseinande­rsetzung mit der AfD. Ziel ist es, Wählerinne­n und Wähler von der AfD zurückzuge­winnen“, sagte CDU-Fraktionsc­hef Stephan Toscani. In der SPD-Fraktion wird ein AfD-Verbot diskutiert.

„Ich bin in Ottweiler geboren, ich bin dort aufgewachs­en, zur Schule gegangen und habe dort mein erstes Bier getrunken.“Damhat Sisamci (SPD) Landtagsab­geordneter

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FOTO: FIONN GROSSE Damhat Sisamci ist Deutscher mit jesidisch-kurdischen Wurzeln. Für die SPD sitzt er im saarländis­chen Landtag.

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