„Wir müssen unsere Demokratie schützen“
Der SPD-Landtagsabgeordnete mit deutsch-jesidischen Wurzeln spricht über „Remigrations“-Fantasien der AfD.
SAARBRÜCKEN Nach dem konspirativen Treffen einiger AfD-Mitglieder mit Rechtsextremen und dem Bekanntwerden von Plänen zur „Remigration“von Deutschen mit Migrationsgeschichte hat sich der SPD-Landtagsabgeordnete Damhat Sisamci in den sozialen Netzwerken mit einem emotionalen Aufruf gegen die AfD gewandt. Über 270 000 Menschen schauten sich sein Video an. Die SZ hat Sisamci gefragt, ob er sich selbst vor einer Abschiebung fürchtet, sollte die
AfD regieren.
Sie sind Deutscher, Industriemechaniker, studierter Betriebswirt, Gewerkschafter und Landtagsabgeordneter der SPD. Ihre Familie hat einen jesidisch-kurdischen Hintergrund. In der letzten Woche wurden Pläne von rechtsextremen Netzwerkern und AfD-Politikern bekannt, die, wären sie an der Regierung, auch Sie und Ihre Familie ausweisen und deportieren möchten. Wie fühlt sich das für Sie an?
Ich bin in Ottweiler geboren, ich bin dort aufgewachsen, zur Schule gegangen und habe dort mein erstes Bier getrunken. Ich war noch nie woanders und ich will auch nie woanders hin. Meine Eltern sind als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und haben den ganzen Verlauf, von Flüchtlingsstatus über Duldung bis zum deutschen Pass, komplett durchlebt. Ich war nie in der Heimat meiner Eltern. Meine Heimat sind Ottweiler und das Saarland. Und jetzt soll ich irgendwo anders hin, wenn die AfD regiert? Das ist natürlich schon krass! Ich habe selbst keine Angst, ausgewiesen zu werden. Aber was mir Sorgen macht, waren die Reaktionen aus meinem Umfeld. Die Anrufe und Nachrichten aus der Familie, von Angehörigen und Freunden und Bekannten, die jetzt wirklich Angst haben davor, wie es in Deutschland weiter geht. Die wie ich nichts anderes als Deutschland kennen. Die Deutsche sind, nicht weil sie einen deutschen Pass haben, sondern weil sie sich zugehörig fühlen.
Was sagen Sie Menschen mit Migrationsgeschichte, die sich jetzt besorgt an Sie wenden?
Dass man die Demokratie nicht geschenkt bekommt. Dass man sich nicht zurücklehnen kann und dann sagt: ‚Ok ich nutze jetzt die Vorteile, die die Demokratie mit sich bringt, muss aber nichts dafür tun.` Wir müssen unsere Demokratie gemeinsam schützen. Nicht nur bei Wahlen, die bei uns Gott sei Dank frei sind. Auch dadurch, dass man seine Überzeugungen nach außen trägt. In der Kneipe, im Fußballclub, beim Essen gehen. Man muss Rassismus, Islamismus und Antisemitismus entschieden entgegentreten.
Sie sitzen im Landtag. Dort sitzen auch AfD-Abgeordnete, die sich zum Beispiel für die Remigration aussprechen. Wie gehen Sie mit diesen um?
SISAMCI Als demokratisch gewählte Abgeordnete müssen wir auch mit solchen Leuten diskutieren. Dafür haben uns die Menschen gewählt. Wobei das ehrlicherweise oft schwierig ist, da das Personen sind, die keine Probleme lösen, sondern noch verschärfen wollen. Nicht umsonst hat der ehemalige Sprecher der AfD gesagt: „Desto schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“Da sitzen Leute im Landtag, die freuen sich über jede schlechte Nachricht, weil sie dann mit der Angst der Bürgerinnen und Bürger spielen und ihr Gift verbreiten können.
Ein Verbot der AfD wird auch in Ihrer Fraktion diskutiert. Wie stehen Sie persönlich zu einem AfD-Verbot?
SISAMCI Es ist wichtig zu betonen, dass wir als Demokraten niemanden verbietet wollen, weil er uns politisch zu stark wird. Allerdings gibt es ernsthafte Bedenken hinsichtlich der extremistischen Tendenzen innerhalb der AfD. Falls die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft wird und ihre Umsturzpläne eine Gefahr für die Verfassung und die Demokratie darstellen, müssen wir diese Bedenken ernst nehmen und prüfen, ob ein Verbot notwendig ist. Das muss aber in Einklang mit den rechtsstaatlichen Prinzipien und dem Grundgesetz geschehen.
Ein Thema, dass der AfD viel Zulauf bringt, ist Migration. Beim letzten Deutschlandtrend sagten 64 Prozent, dass Deutschland durch Zuwanderung eher Nachteile als Vorteile hat. Mit der Migrationspolitik sind viele unzufrieden. Was würden Sie anders machen?
Ich kann die Unzufriedenheit vieler Menschen mit der Migrationspolitik verstehen und es ist auch unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, auf diese Sorgen und Ängste einzugehen. In den letzten Jahren sind aber auf der Welt Sachen passiert, die nicht in unserer Hand lagen. Wir haben zum Beispiel nicht den Krieg in der Ukraine verursacht. Aber mit den Folgen, der Flucht vieler Menschen, müssen wir uns auseinandersetzen und tun das auch. Jahrelang gab es zum Thema Flucht keine europäische Lösung. Das ist jetzt gelungen. Und klar muss auch sein, dass wir deutlich mehr Zuwanderung in den Arbeitsmarkt brauchen. Wenn man sich die Zahlen anschaut, wird unsere Wirtschaft jedes Jahr 400 000 Zuwanderer in den Arbeitsmarkt brauchen. Natürlich erwarten wir auch, dass jeder, der hierher kommt, sich integriert, die deutsche Sprache und Kultur lernt und auch unser Grundgesetz respektiert. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wer keinen Asyl- oder Flüchtlingsstatus erlangt, zurückgeführt werden muss.
SAARBRÜCKEN( fre) Die AfD-Fraktion im Saar-Landtag hat sich am Montag auch auf mehrfache Nachfrage nicht davon distanziert, deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund zwangsweise auszuweisen („Remigration“). Die Berichte über ein Treffen von Rechtsextremen mit AfD-Mitgliedern in Potsdam und bekannt gewordene Pläne zur Ausweisung von Migranten nannte AfD-Fraktionschef Josef Dörr „Klatsch und Tratsch“. Die Anti-AfD-Kundgebung mit 5000 Teilnehmern am Sonntag in Saarbrücken ist für Dörr eine „Demonstration gegen die Demokratie“. Der Vorsitzende der AfD-Saar, Carsten Becker sagte vergangene Woche gegenüber der SZ, die Forderung nach „Remigration“werde von Vertretern der AfD offen und selbstbewusst vertreten. Der AfD-Abgeordnete Chistoph Schaufert sagte nun am Montag zu der Ausweisung von Deutschen mit Migrationsgeschichte: „Ich kenne niemanden in der AfD, der die Absicht hat, Massen von Menschen zu deportieren“. Sein Fraktionschef Dörr relativierte. „Wir wollen Menschen abschieben, die ausreisepflichtig sind, und solche, die schwerstkriminell sind“, betonte Dörr – „aber wir haben auch ein Problem mit Leuten, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben“.
Die CDU-Landtagsfraktion sprach sich gegen ein AfD-Verbotsverfahren aus. „Vorrang hat die politische, argumentative Auseinandersetzung mit der AfD. Ziel ist es, Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückzugewinnen“, sagte CDU-Fraktionschef Stephan Toscani. In der SPD-Fraktion wird ein AfD-Verbot diskutiert.
„Ich bin in Ottweiler geboren, ich bin dort aufgewachsen, zur Schule gegangen und habe dort mein erstes Bier getrunken.“Damhat Sisamci (SPD) Landtagsabgeordneter