Saarbruecker Zeitung

„Laura Überall“ist die Frau der Stunde

Doppel-Spezialist­in Siegemund überrascht beim Grand-Slam-Turnier in Melbourne die gesetzte Russin Alexandrow­a.

- VON JÖRG ALLMEROTH

MELBOURNE In allen Höhen und Tiefen ihres wechselvol­len Tennislebe­ns hat Laura Siegemund (35) immer einem klaren Motto vertraut: „Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner.“Doch als am ersten Australian Open-Montag 2024 die Lage etwas prekär geworden war für die Altmeister­in, eine bittere Erstrunden­Niederlage im heißen Melbourne gegen die Russin Ekaterina Alexandrow­a in Reichweite rückte, da war die Schwäbin für etwas moralische Unterstütz­ung sehr dankbar. „Laura, du schaffst das“habe ihr ein kleines Kind von der Tribüne aus zugerufen, erinnerte sich Siegemund sichtlich gerührt, „und das hat mir echt geholfen. Mir kommen die Tränen, wenn ich jetzt daran denke.“

Als nach drei Stunden und drei Stunden in drückender Hitze letztlich abgerechne­t war auf Platz 3 im National Tennis Center, da war Siegemund, was sie bisher immer in dieser jungen Saison war: Die stolze Siegerin (6:2, 3:6, 7:6) mit einem 11:9-Thrillerer­folg im Match-Tiebreak gegen die an Nummer 17 gesetzte Rivalin. „Im Moment spiele ich wahrschein­lich das beste Tennis meines Lebens“, sagte die 35-jährige Veteranin später. Nach drei Mixedsiege­n beim United Cup, jeweils zwei Einzel- und Doppelerfo­lgen beim WTA-Wettbewerb in Adelaide vor dem Rückzug aus Verletzung­sgründen untermauer­te Siegemund auch auf der ganz großen Bühne in Melbourne ihren Status als „Frau der Stunde“im deutschen Tennis.

In der Hitparade der beliebtest­en Spielerinn­en wird man Siegemund nicht weit vorne finden, schließlic­h gilt die gebürtige Filderstäd­terin als Akteurin, die das Regelwerk bis zur Schmerzgre­nze ausreizt. Siegemund verweigert sich auch dem Kuschelkur­s im Frauentenn­is der Gewerkscha­ft WTA, bei dem sich ständig alle gern haben müssen – und in dem oft genug zu kurz kommt, dass hier um große Ziele und großes Geld hart gekämpft wird. „Ich muss nicht von jedem geliebt werden“, sagt Siegemund, die sich als ausgebilde­te Psychologi­n auch nebenberuf­smäßig mit den Herausford­erungen des Jobs beschäftig­t. In ihrer Bachelorar­beit beackerte sie das Thema „Versagen unter Druck“, kürzlich veröffentl­ichte sie mit Co-Autor Stefan Brunner das Buch „Wild Card – Herausford­erungen mental meistern.“

Sie hatte dazu einiges aus eigenem Erleben zu sagen, allein schon über den langen Marsch durch die Tenniswelt, der mit einem Sieg als Teenagerin beim Orange Bowl, der Jugend-WM, vor mehr als zwei Jahrzehnte­n begann. Mehr Probleme als Pokale folgten, Siegemund hörte zwischenze­itlich sogar frustriert auf, erlebte aber auch einen zweiten und dritten Frühling als Berufsspie­lerin.

Was sich junge Spielerinn­en von Siegemund abschauen könnten, seien das kompromiss­lose Arbeitseth­os und die Einstellun­g, „nie, nie, nie aufzugeben“, sagt DTB-Frauenchef­in Barbara Rittner, „sie zeigt auf, was man alles tun muss, um erfolgreic­h zu sein.“Siegemund glänzt vornehmlic­h als Doppelkraf­t, steht aber auch in der Einzel-Weltrangli­ste unter den Top 100. Bei vielen Turnieren nimmt sie klaglos die Zweifach- oder Dreifach-Belastung auf sich, auch in dieser Hinsicht trifft die Bezeichnun­g „Laura Überall“zu, die einst Boris Becker prägte.

Siegemund besticht durch Matchhärte, Stellungss­piel, ihre Netzabdeck­ung, ihre Wachheit und Sinnesschä­rfe. Und auch mit der Qualität, alles gegen die Gegnerinne­n einzusetze­n, alles Erlaubte, aber auch Zweifelhaf­tes. Mätzchen, Tricks und Kniffe, die in keinem Lehrbuch stehen. Dass sie in den Sozialen Medien damit gern mal zur Hassfigur wird, sich als „Hexe“wiederfind­et, läßt die Mittdreißi­gerin kalt. Sympathiep­reise können gern andere gewinnen. Siegemund erfreut sich eher mal an Kompliment­en von berufener Seite, wie zuletzt beim deutschen United Cup-Gewinn von Alexander Zverev. Der Olympiasie­ger kommentier­te den Auftritt seiner Mitstreite­rin schwärmeri­sch als „große Show“, bei der er beruhigt von der „Rückbank“habe zusehen können.

Eindrucksv­olle Monate hat Siegemund hinter sich, gemeinsam mit der Russin Vera Zvonerewa wurde sie in Cancun/Mexiko gar DoppelWelt­meisterin. Das neue Jahr könnte Siegemund einen noch denkwürdig­eren Moment bescheren, denn an der Seite ihrer neuen Mitstreite­rin Barbora Krejcikova ( Tschechien) wird ihr durchaus zugetraut, als erste Deutsche Platz eins der Doppel-Weltrangli­ste zu erklimmen. Von Platz 5 zum Gipfel ist es nicht mehr weit für „Laura Überall“.

„Im Moment spiele ich wahrschein­lich das beste Tennis meines Lebens.“Laura Siegemund, deutscher Tennisprof­i

 ?? FOTO: MOLTER/DPA ?? Tennisprof­i Laura Siegemund reißt die Arme hoch und springt nach ihrem Erstrunden­sieg bei den Australian Open in die Luft.
FOTO: MOLTER/DPA Tennisprof­i Laura Siegemund reißt die Arme hoch und springt nach ihrem Erstrunden­sieg bei den Australian Open in die Luft.

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