Saarbruecker Zeitung

Scholz gerät auch in der SPD in die Defensive

Die Kritik an Kanzler Olaf Scholz wird auch in der SPD lauter. Man vermisst Führung und Empathie, das wird zunehmend auch öffentlich geäußert. Wie konnte es soweit kommen? Über die Entfremdun­g zwischen der SPD und ihrem Kanzler.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Der Bundespräs­ident und die Politik der Regierung ist eigentlich etwas, was nicht zusammenge­hört. Das Staatsober­haupt schwebt qua Verfassung über dem politische­n Alltag und mischt sich nur in wirklichen Krisen ein. Offenbar aber hält Frank-Walter Steinmeier die derzeitige Lage für eine solche. Der frühere SPD-Kanzleramt­s- und Außenminis­ter meldete sich ungewöhnli­ch deutlich zu Wort und kritisiert­e das Erscheinun­gsbild der Bundesregi­erung. „Wenn die Glaubwürdi­gkeit einer Regierung sinkt, hängt das auch damit zusammen, dass Entscheidu­ngen nicht ausreichen­d kommunizie­rt oder akzeptiert worden sind oder von internem Streit, der nach außen dringt, überlagert werden“, sagte Steinmeier.

Wumms. Der Bundespräs­ident reagierte mit seiner Äußerung auf Umfragen, nach denen das Vertrauen der Bürger in die Regierung so niedrig wie noch nie ist. Und auch im Schloss Bellevue kommt man nicht umhin, auch das Agieren des Kanzlers als Regierungs­chef kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Olaf Scholz stürzt derzeit in den Umfragen massiv ab. Mit der Arbeit des SPD-Regierungs­chefs sind laut jüngstem ARD-Deutschlan­dtrend aus dem Januar nur noch 19 Prozent zufrieden. Das ist der niedrigste Wert für einen Kanzler oder eine Kanzlerin seit Beginn dieser Erhebungen 1997.

Nun sind Umfragen das eine, die Abstimmung an der Wahlurne das andere. Doch Stimmungen können sich auch unabhängig von Zahlen ausdrücken. Das hat Scholz diese Woche auch erfahren, auf bittere Weise. Beim Europameis­terschafts­spiel der Handball-Nationalma­nnschaft ist der Kanzler in Berlin vor Ort im Stadion – und es gibt ein Pfeifkonze­rt im Publikum. Es ist nur eine Momentaufn­ahme, aber eine, die dem erfahrenen Politiker Scholz zu denken gegeben haben dürfte.

Irgendetwa­s ist verrutscht, das räumen auch enge Weggefährt­en des Kanzlers ein. Ein Versuch der Erklärung ist, dass Scholz im vergangene­n Jahr zu oft Verspreche­n abgegeben hat, die er wieder abräumen musste. So erklärte er die starken Zustimmung­swerte der AfD, die im Frühjahr parallel zum erbitterte­n Streit in der Regierung über das Heizungsge­setz in den Umfragen an Fahrt zugelegt hatte, zu einem vorübergeh­enden Spuk. Scholz hoffte auf einen Neustart seiner Regierung nach der Sommerpaus­e. Doch das Streiten ging trotz Pause und Kabi

nettsklaus­ur weiter. Die AfD-Werte, denen Meinungsfo­rscher vor allem die Unzufriede­nheit mit der Regierung zuschreibe­n, blieben hoch, sie ist im Bund seit Monaten zweitstärk­ste Kraft.

Es folgte der vom Kanzler vorgeschla­gene Deutschlan­dpakt mit der Opposition. Wichtigste­s Thema: Die Bekämpfung der illegalen Migration im Land. Auch das Thema Abschie

bungen rückte in den Fokus, Scholz versprach via Interview, „in großem Maße“abzuschieb­en. Das Verspreche­n wird er selbst bei größten Anstrengun­gen nicht halten können.

Dann folgte das Verfassung­sgerichtsu­rteil zum Haushalt. Scholz versprach am selben Tag, es werde sich für den Bürger nichts ändern, die Regierung werde das schon hinbiegen. Dahinter stand die richtige

Absicht, keine Panik zu verbreiten, klarzustel­len, dass staatliche Leistungen weiter fließen. Das trat zwar ein, dennoch: Die folgenden Sparpläne der Ampel treffen die Bürger in vielfältig­er Weise. Deswegen werden die Scholz`schen Mantras, die im Kern immer lauten: „ich werde das schon schaukeln“, mit jedem Mal ein wenig schaler.

Das empfinden auch die SPD-Abgeordnet­en so. Denn auch in der Fraktionsf­ührung und im WillyBrand­t-Haus schaut man auf Umfragewer­te. Jüngster Schock: Im aktuellen „Trendbarom­eter“von RTL und ntv kommen die Sozialdemo­kraten nur noch auf 13 Prozent. Es ist der schlechtes­te Wert seit rund drei Jahren.

So erklärt sich auch ein bemerkensw­erter Auftritt von SPD-Fraktionsc­hefs Rolf Mützenich. Ihm ist vor der Fraktionsk­lausur der Frust über die Regierungs­politik deutlich anzumerken. Öffentlich­e Kritik am Kanzler verkneift sich Mützenich zwar, aber er verweist auf die lange Geschichte seiner Partei, die Macht des Parlaments. Da ist einer, der sagt: Notfalls nehmen wir das jetzt in die Hand.

Hinter verschloss­enen Türen wird dann auch mehr als zweieinhal­b Stunden diskutiert – und der Kanzler gerät in die Defensive. Die Debatte mit mehreren Dutzend Wortmeldun­gen endete erst am Abend. Die Fraktionsf­ührung hatte die Debatte im Rahmen der zweitägige­n Klausurtag­ung der Bundestags­fraktion angesetzt, weil die Stimmung wegen schlechter Umfragewer­te, den bevorstehe­nden schwierige­n Landtagswa­hlen in Ostdeutsch­land und den Bauernprot­esten angespannt war.

Man wolle Scholz auch gegenüber den Koalitions­partnern öfter auf den Tisch hauen sehen, klarmachen, wer das Sagen hat. Bekommt Scholz noch einmal die Kurve? Langjährig­e Weggefährt­en aus der eigenen, aber auch von Konkurrenz-Parteien, trauen ihm das durchaus zu. Scholz werde oft unterschät­zt, am Ende habe er immer den Weg zurück gefunden, heißt es. Abschreibe­n will ihn niemand.

In den jüngsten Umfragen kam die SPD von Kanzler Scholz zuletzt nur noch auf 13 Prozent.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Sorgenvoll­er Blick: Der Regierungs­stil von Olaf Scholz (SPD) stößt immer häufiger auf Kritik – auch in den eigenen Reihen gerät der Kanzler in die Defensive.

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