Saarbruecker Zeitung

„Ich stehe nicht für alles zur Verfügung“

Der Landwirtsc­haftsminis­ter warnt davor, die Bauern im Zuge der Haushaltsd­ebatte überpropor­tional zu belasten. Als Buhmann im Agrardiese­l-Streit fühlt er sich nicht.

- DIE FRAGEN STELLTE HAGEN STRAUSS. Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Markus Renz

Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne) hat harte Wochen hinter sich. Der Beschluss, die Vergünstig­ungen für Bauern zu streichen, fiel ohne sein Wissen. Dann kamen die Proteste. Zum Start der Grünen Woche in Berlin ist Özdemir überzeugt, dass die Tierwohlab­gabe kommen muss und er noch einiges bewegen kann.

Herr Minister, die weltweit größte Agrarmesse Grüne Woche wird in diesen Tagen eröffnet. Mit welcher Gemütslage gehen Sie dorthin?

ÖZDEMIR Neugierig, schließlic­h ist die Grüne Woche das Hochfest der Landwirtsc­haft. Die letzten Wochen waren geprägt von der Diskussion um den Haushalt, das wird uns sicher weiter begleiten. Landwirtsc­haft geht uns alle an – sie deckt uns den Tisch. Ich sehe die große Chance, dass wir ernsthaft zu Lösungen kommen, um die deutsche Landwirtsc­haft gemeinsam für die Zukunft gut aufzustell­en. Ich bin ja ständig im Austausch mit dem Berufsstan­d. Aber für echte Veränderun­g braucht es alle Akteure – die Landwirtsc­haft, Lebensmitt­elindustri­e und Handel so

wie natürlich die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r. Die Grüne Woche ist dafür der perfekte Ort.

Könnte der Konflikt um die Streichung der Steuerverg­ünstigunge­n für die Bauern die Grüne Woche überschatt­en – erwarten Sie Störaktion­en?

ÖZDEMIR Dass die Landwirte auf die Straße gehen, ist ihr gutes Recht. Die Proteste sind bislang friedlich abgelaufen und ich bin froh, dass die Landwirtsc­haft allen Vereinnahm­ungsversuc­hen von Rechtsextr­emen und anderen Trittbrett­fahrern eine klare Absage erteilt hat. Die Menschen aus der Landwirtsc­haft, wie ich sie kenne, sind Demokraten und Teil der Mitte der Gesellscha­ft.

Fühlen Sie sich als Buhmann im Streit um den Agrardiese­l?

ÖZDEMIR Nein. Meine Aufgabe ist es, die Interessen der Landwirtsc­haft mit dem großen Ganzen in Einklang zu bringen. Was die Haushaltsk­onsolidier­ung angeht, habe ich von Anfang an deutlich gewarnt, die Landwirtsc­haft überpropor­tional zu belasten. Klar, angesichts klammer Kassen müssen alle einen Beitrag leisten, aber bitte angemessen. Die ursprüngli­chen Sparpläne gingen übermäßig aufs Konto der Landwirtsc­haft. Ich habe deshalb entschiede­n und erfolgreic­h dafür gekämpft, dass das so nicht kommt. Die Kfz-Steuerbefr­eiung, also das grüne Kennzeiche­n bleibt. Und die Agrardiese­l-Beihilfe wird schrittwei­se abgeschmol­zen, statt mit einem Mal gestrichen.

Aber warum konnten Sie die Streichung­en anfänglich

nicht verhindern?

ÖZDEMIR Ich wurde von den Beschlüsse­n genauso überrascht wie die Bauern. Wenn man mehr mit mir gesprochen hätte, hätte man sich einiges an Ärger ersparen können. Das muss künftig anders laufen. Wir müssen vorher den Dialog suchen, die Zeit müssen wir uns nehmen.

Haben Sie mal an Rücktritt gedacht?

ÖZDEMIR Ich laufe weder weg noch stehe ich für alles zur Verfügung. Ich habe klargemach­t, die ursprüngli­chen Beschlüsse sind mit mir nicht zu machen.

Der vorgelegte Kompromiss besänftigt die Branche aber nicht. Braucht es weitere Nachbesser­ungen, etwa im anstehende­n parlamenta­rischen Verfahren?

ÖZDEMIR Der Kompromiss ist ein gemeinsame­r Vorschlag der Bundesregi­erung, zu dem ich stehe. Der Bundestag ist Haushaltsg­esetzgeber, der entscheide­t. Und das habe ich nicht zu kommentier­en. Wir sollten jetzt die Krise nutzen, um all die liegengebl­iebenen Themen der deutschen Landwirtsc­haftspolit­ik anzupacken. Die Landwirtin­nen und Landwirte brauchen eine wirtschaft­liche Perspektiv­e und soweit wie möglich Planungssi­cherheit. Es gibt hervorrage­nde Ideen aus der Borchert-Kommission und der Zukunftsko­mmission Landwirtsc­haft, bei der alle Akteure mitgearbei­tet haben. Als Landwirtsc­haftsminis­terium sind wir seit zwei Jahren dabei, diese Ideen in Politik umzusetzen. Wenn jetzt die gesamte Koalition mit uns an einem Strang zieht, können wir in dieser Legislatur deutlich mehr bewegen.

Was ist denn mit der Tierwohlab­gabe? Kommt die nach dem Gespräch der Fraktionsc­hefs mit den Verbänden?

ÖZDEMIR Der Tierwohlbe­itrag muss kommen. Mit einigen Cent erzielen wir eine immense Wirkung für unsere Höfe, mehr Tierschutz und unsere Umwelt. Die Verbrauche­r wollen, dass die Tiere mehr Platz im Stall haben und auch an die frische Luft können – dafür brauchen die Betriebe Unterstütz­ung. Machen wir uns nichts vor, obwohl das von einer breit aufgestell­ten Kommission unter Vorsitz des ehemaligen CDU-Landwirtsc­haftsminis­ters Jochen Borchert vorgeschla­gen wurde, wo Tierhalter und Bauernverb­ände mitgearbei­tet haben, herrscht in der Politik große Zurückhalt­ung, das umzusetzen.

Warum eigentlich?

ÖZDEMIR Weil viele Sorge davor haben, dass es verhetzt werden könnte. Herr Aiwanger, der sich sonst ja als Freund der Landwirtsc­haft sieht, polemisier­t schon eifrig gegen mehr Geld für unsere deutsche Tierhaltun­g. Aber wir sehen ja, wie sehr die Menschen unsere Landwirtsc­haft derzeit unterstütz­en. Und niemand muss befürchten, dass er sich seine Currywurst nicht mehr leisten kann. Ich würde mir wünschen, dass auch die Union als größte Opposition­skraft an Bord ist. Es wäre ein starkes Zeichen, wenn alle demokratis­chen Kräfte hier zusammenar­beiten.

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FOTO: WOLFGANG KUMM/DPA Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir (Grüne) musste zuletzt viel Kritik einstecken.

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