„Ich stehe nicht für alles zur Verfügung“
Der Landwirtschaftsminister warnt davor, die Bauern im Zuge der Haushaltsdebatte überproportional zu belasten. Als Buhmann im Agrardiesel-Streit fühlt er sich nicht.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat harte Wochen hinter sich. Der Beschluss, die Vergünstigungen für Bauern zu streichen, fiel ohne sein Wissen. Dann kamen die Proteste. Zum Start der Grünen Woche in Berlin ist Özdemir überzeugt, dass die Tierwohlabgabe kommen muss und er noch einiges bewegen kann.
Herr Minister, die weltweit größte Agrarmesse Grüne Woche wird in diesen Tagen eröffnet. Mit welcher Gemütslage gehen Sie dorthin?
ÖZDEMIR Neugierig, schließlich ist die Grüne Woche das Hochfest der Landwirtschaft. Die letzten Wochen waren geprägt von der Diskussion um den Haushalt, das wird uns sicher weiter begleiten. Landwirtschaft geht uns alle an – sie deckt uns den Tisch. Ich sehe die große Chance, dass wir ernsthaft zu Lösungen kommen, um die deutsche Landwirtschaft gemeinsam für die Zukunft gut aufzustellen. Ich bin ja ständig im Austausch mit dem Berufsstand. Aber für echte Veränderung braucht es alle Akteure – die Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Handel so
wie natürlich die Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Grüne Woche ist dafür der perfekte Ort.
Könnte der Konflikt um die Streichung der Steuervergünstigungen für die Bauern die Grüne Woche überschatten – erwarten Sie Störaktionen?
ÖZDEMIR Dass die Landwirte auf die Straße gehen, ist ihr gutes Recht. Die Proteste sind bislang friedlich abgelaufen und ich bin froh, dass die Landwirtschaft allen Vereinnahmungsversuchen von Rechtsextremen und anderen Trittbrettfahrern eine klare Absage erteilt hat. Die Menschen aus der Landwirtschaft, wie ich sie kenne, sind Demokraten und Teil der Mitte der Gesellschaft.
Fühlen Sie sich als Buhmann im Streit um den Agrardiesel?
ÖZDEMIR Nein. Meine Aufgabe ist es, die Interessen der Landwirtschaft mit dem großen Ganzen in Einklang zu bringen. Was die Haushaltskonsolidierung angeht, habe ich von Anfang an deutlich gewarnt, die Landwirtschaft überproportional zu belasten. Klar, angesichts klammer Kassen müssen alle einen Beitrag leisten, aber bitte angemessen. Die ursprünglichen Sparpläne gingen übermäßig aufs Konto der Landwirtschaft. Ich habe deshalb entschieden und erfolgreich dafür gekämpft, dass das so nicht kommt. Die Kfz-Steuerbefreiung, also das grüne Kennzeichen bleibt. Und die Agrardiesel-Beihilfe wird schrittweise abgeschmolzen, statt mit einem Mal gestrichen.
Aber warum konnten Sie die Streichungen anfänglich
nicht verhindern?
ÖZDEMIR Ich wurde von den Beschlüssen genauso überrascht wie die Bauern. Wenn man mehr mit mir gesprochen hätte, hätte man sich einiges an Ärger ersparen können. Das muss künftig anders laufen. Wir müssen vorher den Dialog suchen, die Zeit müssen wir uns nehmen.
Haben Sie mal an Rücktritt gedacht?
ÖZDEMIR Ich laufe weder weg noch stehe ich für alles zur Verfügung. Ich habe klargemacht, die ursprünglichen Beschlüsse sind mit mir nicht zu machen.
Der vorgelegte Kompromiss besänftigt die Branche aber nicht. Braucht es weitere Nachbesserungen, etwa im anstehenden parlamentarischen Verfahren?
ÖZDEMIR Der Kompromiss ist ein gemeinsamer Vorschlag der Bundesregierung, zu dem ich stehe. Der Bundestag ist Haushaltsgesetzgeber, der entscheidet. Und das habe ich nicht zu kommentieren. Wir sollten jetzt die Krise nutzen, um all die liegengebliebenen Themen der deutschen Landwirtschaftspolitik anzupacken. Die Landwirtinnen und Landwirte brauchen eine wirtschaftliche Perspektive und soweit wie möglich Planungssicherheit. Es gibt hervorragende Ideen aus der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft, bei der alle Akteure mitgearbeitet haben. Als Landwirtschaftsministerium sind wir seit zwei Jahren dabei, diese Ideen in Politik umzusetzen. Wenn jetzt die gesamte Koalition mit uns an einem Strang zieht, können wir in dieser Legislatur deutlich mehr bewegen.
Was ist denn mit der Tierwohlabgabe? Kommt die nach dem Gespräch der Fraktionschefs mit den Verbänden?
ÖZDEMIR Der Tierwohlbeitrag muss kommen. Mit einigen Cent erzielen wir eine immense Wirkung für unsere Höfe, mehr Tierschutz und unsere Umwelt. Die Verbraucher wollen, dass die Tiere mehr Platz im Stall haben und auch an die frische Luft können – dafür brauchen die Betriebe Unterstützung. Machen wir uns nichts vor, obwohl das von einer breit aufgestellten Kommission unter Vorsitz des ehemaligen CDU-Landwirtschaftsministers Jochen Borchert vorgeschlagen wurde, wo Tierhalter und Bauernverbände mitgearbeitet haben, herrscht in der Politik große Zurückhaltung, das umzusetzen.
Warum eigentlich?
ÖZDEMIR Weil viele Sorge davor haben, dass es verhetzt werden könnte. Herr Aiwanger, der sich sonst ja als Freund der Landwirtschaft sieht, polemisiert schon eifrig gegen mehr Geld für unsere deutsche Tierhaltung. Aber wir sehen ja, wie sehr die Menschen unsere Landwirtschaft derzeit unterstützen. Und niemand muss befürchten, dass er sich seine Currywurst nicht mehr leisten kann. Ich würde mir wünschen, dass auch die Union als größte Oppositionskraft an Bord ist. Es wäre ein starkes Zeichen, wenn alle demokratischen Kräfte hier zusammenarbeiten.