AfD muss sich im Bundestag rechtfertigen
Nach dem Geheimtreffen in Potsdam gibt es erste personelle Konsequenzen in der AfD. Im Bundestag haben die Ampel-Fraktionen eine Aktuelle Stunde zu dem Thema beantragt. Auch in der Bevölkerung regt sich Widerstand gegen Rechts: Es gibt Proteste und eine P
Auch wenn die AfD viel lieber über die Bauernproteste reden würde, in der ersten Bundestagswoche nach der Weihnachtspause beschäftigt sie ein äußerst unbequemes Thema: Die Teilnahme einiger ihrer Mitstreiter an einem Treffen Rechtsradikaler in Potsdam. Dabei hatte laut einer Recherche des Medienhauses Correctiv der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, über „Remigration“gesprochen. Der Begriff ist inzwischen von Sprachwissenschaftlern zum „Unwort des Jahres“2023 gewählt worden. Er drückt in beschönigender Weise aus, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft aus Deutschland abgeschoben werden soll.
Am Montag wurden personelle Konsequenzen bekannt: AfD-Chefin Alice Weidel trennte sich von ihrem persönlichen Referenten Roland Hartwig. In der Fraktion ist von „Kommunikationsproblemen“ die Rede. Hartwig hatte im November an der besagten Zusammenkunft in einer Potsdamer Villa teilgenommen.
Auf Initiative der Ampel-Koalition soll sich nun der Bundestag bei einer Aktuellen Stunde mit dem Neonazi-Treffen befassen. Dabei könnte es auch um die Frage eines Verbotsverfahrens gegen die AfD gehen. Der Bundestag kann neben Bundesrat und Bundesregierung ein solches Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beantragen. Hochrangige Politiker von SPD und CDU haben sich schon für die Prüfung eines Verbotsverfahrens ausgesprochen.
Als Weidel am Nachmittag vor der Sitzung ihrer Fraktion im Reichstagsgebäude vor die Presse tritt, äußert sie sich sofort zu den „Unterstellungen“, wie sie es nennt. Weidel kritisiert die Medien und Politik, spricht von „DDR-Methoden“und einer „Verschwörungstheorie“. Es sei kein „Geheimtreffen“gewesen, sondern „eine private Begegnung von Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Hintergrund, so auch AfD-Politikern und CDU-Politikern und Menschen ohne Parteibuch“. Namentlich attackiert sie den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) und die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und wirft ihnen Heuchelei vor. Wer die Opposition als „Nazi-Partei“diffamiere, solle den Mund halten, wenn über
die Verrohung politischer Sitten im Land gesprochen werde, sagt sie.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, spielt die Zusammenkunft in Potsdam herunter. Solche Treffen gebe es Tausende in der Republik, sagt er. Ohne Details zu nennen, verweist er auf einen „Düsseldorfer Gesprächskreis“aus Unternehmern und Freiberuflern. Angesprochen auf den Taktgeber der Identitären Bewegung fragt er: „Wer ist Herr Sellner?“
Den Begriff „Remigration“defi
niert Baumann als „Rückführung von Migranten“, aber nach „rechtsstaatlichen Grundsätzen“. Das betreffe auch Hunderttausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, „die natürlich zurück müssen“. Denn: „Der Krieg ist vorbei.“Mit „Massendeportation und diesen ganzen Nazi-Begriffen“habe das nichts zu tun.
Die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy nimmt er in Schutz: Sie sei eine „ausgewiesene Demokratin“und habe sich „mit nichts gemein gemacht“.
In der Bevölkerung regt sich derweil Widerstand gegen Rechts. In den vergangenen Tagen gingen bundesweit Tausende Menschen gegen die AfD auf die Straße. Neben einem Verbot der Partei wird auch ein Entzug der Grundrechte für herausragende Verfassungsfeinde diskutiert. Dazu gibt es eine Unterschriftensammlung, die sich gegen den Thüringer AfD-Partei- und Fraktionschef richtet. „Stoppen Sie den Faschisten Björn Höcke“, heißt es da. Höckes Landesverband wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Die Aktion appelliert an die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen, FDP sowie der Opposition CDU/CSU und auch an die Linke, die Bundesregierung zu einem solchen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 Grundgesetz in Karlsruhe zu bewegen. Dabei besteht auch die Möglichkeit, jemandem das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abzuerkennen. Am Montag waren auf der Petitionsplattform des KampagnenNetzwerks Campact schon mehr als 830 000 Unterschriften eingegangen.
Ein AfD-Verbotsantrag hätte nach Ansicht der früheren Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff derweil schlechte Chancen. „Man braucht jedenfalls mehr als Äußerungen oder Handlungen von einzelnen Personen, seien die auch noch so abstoßend. Es kommt auf die Partei als Ganzes an, und da braucht man eine gründliche Materialsammlung“, sagte Lübbe Wolff, die an der Universität Bielefeld Staatsrecht lehrt, unserer Redaktion. Selbst wenn die Voraussetzungen vorlägen, rät die Jura-Professorin von einem Verbotsantrag ab. „Dass man die gemäßigten Anhänger mit einem Parteiverbot zurückgewinnt, halte ich für zweifelhaft.“Womöglich zerstöre man gerade damit ihr Vertrauen in Rechtsstaat und Demokratie. Sie gibt außerdem zu bedenken: „Falls eine Ablehnung damit begründet würde, dass die Ziele der Partei und das Verhalten ihrer Anhänger nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, dass also entsprechend verfassungsfeindliche Äußerungen einzelner Akteure nicht der Partei als Ganzer zugerechnet werden können, wäre das für die Partei natürlich ein Triumph.“