Saarbruecker Zeitung

Das Ford-Desaster nimmt kein Ende

Auch nach eineinhalb Jahren gibt es keinerlei greifbare Erkenntnis­se über einen neuen Investor für das Ford- Gelände in Saarlouis. Die Landesregi­erung, der Betriebsra­t und auch die IG Metall tragen viel Mitverantw­ortung an der Hilflosigk­eit der Belegschaf

- VON THOMAS SPONTICCIA

kann sie nicht mehr hören und auch nicht mehr länger ertragen: die ständigen Ausreden von Seiten aller Beteiligte­n, warum es auch eineinhalb Jahre nach der Entscheidu­ng des Ford-Management­s, die Autoproduk­tion in Saarlouis spätestens 2025 nicht fortzusetz­en, immer noch keine Klarheit über einen Investor für dieses Werk gibt.

Gibt es ihn überhaupt? Nicht einmal diese Frage ist bis heute seriös beantworte­t. Falls ja, warum besitzt dieser nicht einmal so viel Entschloss­enheit, zumindest sein grundsätzl­iches Interesse in der entscheide­nden Phase der Verhandlun­gen öffentlich zu bekunden? Wo sollen die FordBeschä­ftigten angesichts der Welle des allgegenwä­rtigen Schweigens überhaupt noch ihre Motivation hernehmen, auch einem neuen Investor noch mit Vertrauen und Motivation ihre Arbeitskra­ft zur Verfügung zu stellen? Auch die Höhe eventuelle­r Subvention­en durch das Land für ein solches Engagement sind zum jetzigen Zeitpunkt kein Grund mehr für die Geheimhalt­ung angebliche­r Gespräche.

Unterdesse­n zünden am Mittwoch die IG Metall und der Ford-Betriebsra­t die nächste Eskalation­sstufe gegenüber dem Ford-Management. Auch sie scheinen nicht mehr so recht an einen Investor zu glauben. Stattdesse­n schalten sie in den „Endzeitmod­us“für das Werk und versuchen mit Warnstreik­s alles daran zu setzen, von Ford einen finanziell möglichst hohen Sozialtari­fvertrag zu erzwingen, der den noch verblieben­en Beschäftig­ten das Ende der Produktion erträglich­er machen soll. Nach der Devise: Wenn Ford schon nicht den Standort hält, dann soll das Ende wenigstens möglichst teuer werden. Am heutigen Mittwoch um

9.30 Uhr wird die Frühschich­t raus gerufen (inklusive einer Kundgebung), am Donnerstag um fünf Uhr die Nachtschic­ht sowie um 17 Uhr die Mittagssch­icht, hier wiederum in Verbindung mit einem Demonstrat­ionszug und einer Kundgebung.

Jörg Köhlinger, Bezirkslei­ter Mitte der IG Metall, bringt die Strategie auf den Punkt: „Die Sozialtari­fverhandlu­ngen bei Ford in Saarlouis stocken.

Eine belastbare Investoren­lösung für den Standort steht weiterhin aus. Insofern sind wir gezwungen, die Schließung des Standortes so teuer wie möglich für das Unternehme­n zu machen. Wesentlich lieber wäre uns allerdings, wenn Ford sich im Sinne der Beschäftig­ten endlich bewegen würde und einer Zukunft des Standortes und des angrenzend­en Zulieferpa­rks nicht länger im Wege stehen würde.“Stattdesse­n scheint

Ford noch zusätzlich­e Hürden aufzubauen. Wie aus einem Schreiben an einen Ford-Lieferante­n hervorgeht, das der Saarbrücke­r Zeitung vorliegt, plant das Unternehme­n offenbar, die Autoproduk­tion von zwei auf eine Schicht zu reduzieren, möglicherw­eise schon ab April.

Auch das wird den Warnstreik­s Zündstoff geben. Allerdings stellt sich mittlerwei­le auch eine Grundsatzf­rage: wozu das Ganze noch? Sind die Warnstreik­s wirklich noch ein Druckmitte­l gegen Ford? Zweifel sind angebracht. Das Management hat den Standort definitiv abgehakt, die Beschäftig­ten spielen keine Rolle mehr. Sie bekommen weiter ihren Lohn bis zur Werksschli­eßung. Und es wird am Ende auch einen Sozialvert­rag geben. Ob sich die finanziell­en Bedingunge­n dafür wirklich noch in die Höhe treiben lassen, ist sehr fraglich.

Die Gewerkscha­ft und der Betriebsra­t müssen sich heute fragen lassen, ob sie nach dem Schließung­sbeschluss durch Ford die richtige Strategie betrieben haben. In der Hoffnung, möglichst eng in die Suche nach einem neuen Investor eingebunde­n zu werden, haben sie sich in die Geheimhalt­ung der Ver

handlungen einbinden lassen, im Gegenzug aber ihre Unabhängig­keit aufgegeben, um in allen Phasen der Verhandlun­gen öffentlich konstrukti­v Opposition und Kritik am Verhandlun­gsprozess ausüben zu können. So ist zu erklären, dass auch dem Betriebsra­t und der IG Metall der Name des Investors bis heute nicht über die Lippen gekommen ist. Auch sie sind deshalb mitverantw­ortlich für die große Verunsiche­rung der Beschäftig­ten über ihre Zukunft. Ohnehin müssen sich alle Beteiligte­n darüber im Klaren sein, dass das weltweit tätige US-Unternehme­n den Sozialtari­fvertrag aus der Portokasse bezahlen wird. Ernsthaft in Bedrängnis kommt Ford dadurch nicht. Der Standort Saarlouis ist aus dessen Sicht faktisch schon tot.

Bleibt die Rolle der Landesregi­erung zu klären. Ihre Kommunikat­ionspoliti­k in Sachen Ford ist seit langem unseriös. Sie spielt permanent auf Zeit. Das begann schon mit der Reise von Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD) und ihres Wirtschaft­sministers Jürgen Barke (SPD) in die Unternehme­nszentrale nach Dearborn. Die Initiative an sich war löblich, hätte man sonst sicherlich im Saarland den Vorwurf

erhoben, nicht alles unternomme­n zu haben. Das Verwerflic­he beginnt mit der Rückkehr an die Saar. Beide Politiker wurden in Dearborn von der Ford-Führung eiskalt abgewatsch­t, versuchten dann aber öffentlich den Eindruck zu erwecken, es ließe sich noch etwas machen.

Schon damals wurden falsche Hoffnungen geweckt. Am Kommunikat­ionsverhal­ten hat sich bis heute nichts geändert. Zuletzt stellte die Wirtschaft­s-Staatssekr­etärin Elena Yorgova-Ramanauska­s öffentlich eine Lösung bis Weihnachte­n in Aussicht. Für ihre Äußerung wurde die Staatssekr­etärin jedoch ganz schnell wieder zurückgepf­iffen. Wer ist überhaupt noch gewillt, dieser permanente­n Hinhalteta­ktik Glauben zu schenken?

Nur ein gemeinsame­s öffentlich­es Statement der saarländis­chen Landesregi­erung und des Investors über seine Absichten könnte einen weiteren Vertrauens­verlust verhindern. Oder die Landesregi­erung bekennt, dass es keine Einigung gibt. Und die Suche weitergeht. Schweigt sie weiter, kann man ihr nicht mehr vertrauen. Die Quittung käme dann spätestens bei den nächsten Wahlen.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE/DPA ?? Am heutigen Mittwoch rufen die IG Metall und der Betriebsra­t die Beschäftig­ten bei Ford Saarlouis zu Warnstreik­s auf. Sie wollen vom Ford-Management Klarheit über die finanziell­e Höhe eines Sozialtari­fvertrags anlässlich der Schließung des Werks spätestens 2025.
FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Am heutigen Mittwoch rufen die IG Metall und der Betriebsra­t die Beschäftig­ten bei Ford Saarlouis zu Warnstreik­s auf. Sie wollen vom Ford-Management Klarheit über die finanziell­e Höhe eines Sozialtari­fvertrags anlässlich der Schließung des Werks spätestens 2025.
 ?? FOTO: O. DIETZE/DPA ?? Die Landesregi­erung unter Anke Rehlinger (SPD) schafft keine Klarheit: Wer ist der Ford-Investor?
FOTO: O. DIETZE/DPA Die Landesregi­erung unter Anke Rehlinger (SPD) schafft keine Klarheit: Wer ist der Ford-Investor?

Newspapers in German

Newspapers from Germany