Saarbruecker Zeitung

Kritik an Polizeiver­ordnung – „Armut kann man nicht verbieten“

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(sop) Wohltätigk­eitsorgani­sationen und soziale Einrichtun­gen in Luxemburg üben seit Wochen harsche Kritik an der neuen Polizeiver­ordnung für die Hauptstadt, die bandenmäßi­ges Betteln verbietet und im Zentrum auch einfaches Betteln stark einschränk­t.

„Die Armut in Luxemburg hat zugenommen und ist sichtbarer, alle sozialen Organisati­onen haben mehr und mehr Kunden“, sagt Alexandra Oxacelay, Direktorin von „Stëmm vun der Strooss“(Stimme von der Straße). Der Verein engagiert sich seit 1996 für die Integratio­n von sozial Benachteil­igten. 2022 hat „Stëmm vun der Strooss“an den verschiede­nen Standorten insgesamt 123 516 Essen ausgegeben, ein deutlicher Anstieg um ein Viertel im Vergleich zum Jahr 2021 (27 Prozent). 2022 suchten insgesamt 6972 Menschen Unterstütz­ung. In dem Gebäude im Viertel Hollerich gibt das Team täglich durchschni­ttlich 258 Essen aus. Eine Mahlzeit kostet 0,50 Euro, ein Getränk 0,25 Euro.

„Man kann Armut nicht bekämpfen, in dem man Armut verbietet.“Dass man Drahtziehe­rn von kriminelle­r Bettelei durch das Verbot habhaft werde, zweifelt sie an. Stattdesse­n sieht sie in dem Verbot eine weitere

Gefahr: „Es wird in gute und schlechte Bettler unterteilt und aufgehetzt.“Für Oxacelay sind die eigentlich­en Probleme Wohnungsma­ngel, Armut und zu wenig Arbeitsplä­tze für Geringqual­ifizierte. „Betteln ist nur die Spitze des Eisbergs.“Was sich die „Stëmm vun der Strooss“-Direktorin wünscht: Dass die Gemeinden Verantwort­ung übernehmen, ihre Wohnungsno­t lösen, entspreche­nde soziale Unterstütz­ungsangebo­te dezentrale­r, nicht nur in der Hauptstadt, geschaffen werden, und „dass sich mehr Leute und mehr Künstler darüber aufregen und sich öffentlich gegen das Verbot ausspreche­n“.

Die beratende Kommission für Menschenre­chte (CCDH) hat das Verbot als „menschenre­chtswidrig“kritisiert. Die Kommission zweifelt die Rechtsgrun­dlage an und fragt sich, was die Regierung unter aggressive­m oder organisier­tem Betteln versteht. „Es ist auch nicht klar, inwiefern ein solches Verbot diese beenden könnte“, teilte die Kommission mit. Die CCDH fordert eine präventive Politik, mehr Anstrengun­gen zur Armutsbekä­mpfung und eine Debatte über die Gründe, warum Betroffene vorhandene Einrichtun­gen und Dienste nicht nutzen können oder wollen.

Auch der Erzbischof von Luxemburg, Jean-Claude Hollerich, zweifelt an dem Bettelverb­ot. „Das tut mir ein bisschen weh. Besonders, wenn ich von großen Polizeimaß­nahmen lese. Das sieht bald nach einem repressive­n Staat aus“, sagte er am Montag dem Radiosende­r 100,7. Es sei nachvollzi­ehbar, dass der Staat organisier­te Bettelei nicht dulden könne. „Betteln kann manchmal übergriffi­g sein, und dagegen sind die Leute auch. Aber man darf nicht überreagie­ren und denen wehtun, denen es schlecht geht.“Der Erzbischof fragt sich zudem, wie zwischen organisier­tem und einfachem Betteln unterschie­den werden könne, um zu vermeiden, dass alle repressiv behandelt werden.

Auch Bürger bringen sich in die Debatte ein. Mit Petition Nummer 2991 („d'Heeschen zu all Zäit an iwwerall erlaabt loossen!“) ist am Freitag ein Gesuch gestartet, das fordert, „Betteln immer und überall zu erlauben“– denn jeder könne durch Schicksals­schläge in „die missliche Lage geraten“, auf Hilfe angewiesen zu sein. Am Dienstagmi­ttag hatten bereits mehr als 3500 Menschen die Petition unterzeich­net. 4500 Unterschri­ften braucht es bis zum 22. Februar, damit die Sache zur Anhörung in die Chamber kommt.

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