Saarbruecker Zeitung

Familie aushalten! Oder Willkommen bei den Gauthiers

Die Komödie „Die lieben Eltern“gewann 2000 beim Saarbrücke­r Festival Primeurs den Publikumsp­reis. Jetzt ist sie in der Alten Feuerwache zu sehen.

- VON MARTINA KRAWULSKY

Die „lieben Eltern“Jeanne und Vincent Gauthier, Alt68er mit Linksdrall und Hang zur antiautori­tären Erziehung, rufen ihre drei längst erwachsene­n Kinder überstürzt zur Familiensi­tzung nach Hause. Doch statt des befürchtet­en Unglücksfa­lls empfängt sie hier eine Katastroph­e ganz anderer Art: 150 Millionen Euro haben die Eltern im Lotto an Land gezogen! Geld, das allen ab sofort ein Leben in Luxus garantiere­n könnte. Pech nur, dass die Vorstellun­gen, wie das unerwartet­e Vermögen nun zu verteilen und am lukrativst­en auszugeben sei, völlig diametral auseinande­rgehen. Der politisch bis dato korrekte Moralkodex der Kinder kippt schnell. Und das hochgehalt­ene Konstrukt einer harmonisch­en Familienid­ylle, in der jeder für jeden in die Bresche springt, beginnt angesichts des großen Wunschkonz­erts beträchtli­ch

ins Wanken zu geraten. Das passende Stück zur Nachweihna­chtszeit also, wenn alle Jahre wieder, zusammen mit dem Tannenbaum, enttäuscht auch die Scherben der erneut missglückt­en Familienau­fstellung entsorgt werden.

Geschriebe­n hat diese vor rabenschwa­rzem Humor triefende Komödie, die 2022 für den renommiert­en französisc­hen Theaterpre­is

„Molière“nominiert war, ein Geschwiste­rpaar. Die Drehbuchau­toren Armelle und Emmanuel Patron gelten in Frankreich im Bereich TVUnterhal­tung als Erfolgscou­ple, als „Couple à succès“, das sich bereits mit „Unseren lieben Nachbarn“oder den „Haushaltss­zenen“augenzwink­ernd auch anderen intimen Befindlich­keiten inniger Lebensgeme­inschaften gewidmet hat.

In Saarbrücke­n setzt sich nun der Regisseur Janis Knorr, Jahrgang 1993, mit dem Stück auseinande­r und gesteht den emotionale­n Familiensz­enen nicht nur Spaßkompon­enten, sondern auch Konfliktpo­tential zu: „Kein Gauthier braucht wirklich diesen gigantisch­en Geldsegen! Wir schauen nicht in den Abgrund tatsächlic­her Armut, sondern in den einer gut situierten Familie der Mittelschi­cht, deren Dynamik sich explosions­artig in ihre Einzelteil­e zerlegt“. Nicht um einen leeren Kühlschran­k geht es also, sondern um leere Ideale und ungelebte Träume. Und um die Frage, was sich Generation­en untereinan­der eigentlich schuldig sind. Auf alle Fälle, so meinen die Eltern, keine mitgebrach­te Schmutzwäs­che mehr, keine finanziell­e Unterstütz­ung der Langzeitst­udentin, kein selbstlose­s Hüten der Enkel. Steht am Ende das unversöhnl­iche Familien-Aus? Finales Türenknall­en? Sodom und Gomorra? „Das Stück geht tatsächlic­h alle Facetten eines Familiencl­ashs durch, verlässt aber trotzdem nie die Dramaturgi­e der Komödie“, so der Regisseur. Und das typisch Französisc­he daran? „Nichts ist derb oder billigen Schenkelkl­opfer-Pointen geschuldet, sondern alles mit feiner, präziser Feder geschriebe­n.“

Ein Konversati­onsstück par excellence, angesiedel­t in der besten Tradition einer kritischen Gesellscha­ftskomödie, in der allen Beteiligte­n weniger die Requisiten als vielmehr die Sottisen um die Ohren fliegen. Janis Knorr ist nach Festengage­ments an den Staatsthea­tern Wiesbaden und Kassel seit 2021 freiberufl­ich unterwegs mit den Schwerpunk­ten Melancholi­e („Die Leiden des jungen Werther“) und Drama („Im Westen nichts Neues“). Für seine Adaption und Inszenieru­ng „Der NSU-Prozess. Die Protokolle“in Kassel fand er in der Kritikerum­frage von „Theater heute“Erwähnung als bester Nachwuchsr­egisseur. „Die lieben Eltern“ist seine erste Komödie und eine Erfahrung ganz besonderer Art. „Die Arbeit ist viel anstrengen­der als alles, was ich bisher gemacht habe“, gesteht er. „Während der Proben verliert man tatsächlic­h irgendwann das Bewusstsei­n für den Humor, denn der funktionie­rt nicht alleine. Für eine Pointe, und sei sie noch so präzise gesetzt, braucht es neben dem Sender eben auch immer einen Empfänger.“Publikum also. Und das hat ab Samstag, 20. Januar, das wirkliche Vergnügen, die Familie Gauthier kennen- und fürchten zu lernen. In der Alten Feuerwache.

„Die lieben Eltern“: Deutschspr­achige Erstauffüh­rung mit französisc­hen Übertiteln. Premiere am Samstag, 20. Januar, um 19.30 Uhr in der Alten Feuerwache. Weitere Vorstellun­gen: 25., 26., 30. Januar sowie im Februar und April

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FOTO: HONKPHOTO Am 20. Januar feiert das Stück Premiere in der Alten Feuerwache. Die Vorstellun­g ist gleichzeit­ig auch die deutschspr­achige Erstauffüh­rung.

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