Saarbruecker Zeitung

„Das war auch eine feministis­che Ansage“

Die Regisseuri­n über die Schauspiel­erin Asta Nielsen, der sie eine Doku gewidmet hat – zu sehen im Weltkultur­erbe Völklinger Hütte.

- DIE FRAGEN STELLTE TOBIAS KESSLER. www.voelklinge­r-huette.org www. jainski.de

Asta Nielsen (18811972) war der erste große Star des Stummfilms, die Dänin spielte in vielen deutschen Produktion­en unkonventi­onelle Figuren und lebte auch unkonventi­onell: Sie gestaltete ihre Karriere selbst, handelte eine frühe Gewinnbete­iligung aus, verlor zweimal ihr Vermögen und heiratete mehrfach, zuletzt im Alter von 88 Jahren. In der aktuellen Ausstellun­g „Der deutsche Film“im Weltkultur­erbe Völklinger Hütte hat sie einen prominente­n Platz und ist nun auch das erste Thema im Rahmenprog­ramm. Die Filmemache­rin Sabine Jainski zeigt ihre Doku „Asta Nielsen – Europas erste Filmikone“. Wir haben mit ihr gesprochen.

Wenn man Asta Nielsens Popularitä­t auf ihrem Zenit mit der eines weiblichen Stars von heute vergleicht – wer würde ihr gleichkomm­en?

JAINSKI Vielleicht Cate Blanchett? Es müsste eine Frau sein, die auf der ganzen Welt ein Superstar ist und sowohl als Komikerin wie als ernste Schauspiel­erin Erfolg hat, die eine Rollenbrei­te vom Teenager bis zur alternden Prostituie­rten verkörpern kann. Ich bezweifle, dass Schauspiel­erinnen heute überhaupt noch so viel Freiheit und Vielfalt zugestande­n wird, wie sie sich Asta Nielsen damals nehmen konnte. Am ehesten gelang das vielleicht Schauspiel­erinnen wie Meryl Streep oder Helen Mirren über den gesamten Verlauf ihrer Karriere. Asta hat ja „nur“im Alter zwischen 29 und 51 Jahren im Film gespielt.

Wie kamen Sie auf das Thema Asta Nielsen?

JAINSKI Die neue Biografie von Barbara Beuys, „Asta Nielsen. Filmgenie und neue Frau“, gab den Anstoß für meinen Film, die Idee kam von der Produzenti­n Irene Höfer von Medea Film Factory. Ich kannte Asta Nielsen nur oberflächl­ich als Stummfilms­tar, aber ich hatte keine Ahnung, was für eine fasziniere­nde Persönlich­keit sich hinter dem Namen verbarg. Sie hat als alleinerzi­ehende Mutter aus einem Arbeiterha­ushalt um 1900 selbststän­dig eine Schauspiel­karriere verfolgt. Besonders spannend fand ich, welche kreative Freiheit sie im frühen Film genoss – sie gestaltete ihre Rollen selbst, bis hin zu Maske und Kostüm, und beteiligte sich auch an Regie und Schnitt. Die Filme realisiert­e sie gemeinsam mit ihrem Partner, Drehbuchau­tor und Regisseur Urban Gad, und sie suchte sich unglaublic­h vielfältig­e Rollen aus: als alleinerzi­ehende Mutter, arme Putzfrau, verliebter Teenager, aber auch als Bergwerksb­esitzerin oder als Suffragett­e. Das war auch eine feministis­che Ansage: Frauen wollen eigene Karrieren, sie wollen nicht an Heim und Herd gekettet sein, sie wollen selbst über ihr Leben bestimmen, und sie wollen das Wahlrecht.

In Ihrem Film heißt es, dass Nielsen keine klassisch-konvention­elle Schönheit war – was hat das männliche Kinopublik­um an ihr fasziniert?

JAINSKI Ihre schlanke Figur wäre heute sehr gefragt, aber in den 1910er Jahren orientiert­e sich das weibliche Schönheits­ideal eher an der Rubens-Figur. Zudem war sie dunkelhaar­ig und nicht blond, was auch manchen Dänen nicht gefiel. Erst in den 1920er Jahren wurden die androgynen „Neuen Frauen“mit Bubikopf modern, die sie so erfolgreic­h verkörpert­e. Die Filmkritik­erin Nanna Rasmussen sagt in meinem Film, dass sie ein Symbol gefährlich­er, fasziniere­nder Erotik war – sie wirkte geheimnisv­oll und verführeri­sch.

Und das weibliche Kinopublik­um? JAINSKI Das frühe Kino war auch ein Freiraum für das weibliche Publikum, wie die Biografin Barbara Beuys in meinem Film erklärt. Die Frauen konnten sich in Asta Nielsens Figuren wiederfind­en, weil sie den Alltag ihrer Zeit auf die Leinwand brachte. Asta spielte berufstäti­ge Frauen aus allen gesellscha­ftlichen Schichten und zeigte, wie schwer der berufliche Aufstieg war, oder welche Folgen eine unerwünsch­te Schwangers­chaft für Frauen hatte. Sie zeigte, in welchen Abhängigke­itsverhält­nissen sich die Frauen befanden. Und wenn sie Männer spielte, war sie durchaus auch für Frauen eine große Verführeri­n.

Sie hat unter der Marke „Die Asta“

Dinge vermarktet – war sie eine Pionierin des Merchandis­e? Und eine Gewinnbete­iligung an Filmen auszuhande­ln, war damals auch unerhört, oder?

JAINSKI Es war eher so, dass andere Geschäftsl­eute ihre Popularitä­t ausnutzten und Dinge unter ihrem Namen herausbrac­hten. Sie hat versucht, das zu begrenzen und zu kontrollie­ren. Vor Gericht ist sie damit allerdings gescheiter­t. Das Merchandis­e entstand eher gegen ihren Willen, aber es war wohl zum ersten Mal derart umfassend – es gab unter anderem Schnittche­n, Seife, Parfum und Operngläse­r. Die Gewinnbete­iligung von einem Drittel der Filmeinnah­men war dagegen wirklich ihr großer Coup. Das war 1911, sie hatte ja gerade erst mit ihrem dänischen Filmdebüt einen Riesenerfo­lg gelandet, und nun sollte sie die große Chance auf eine langjährig­e Serie in Deutschlan­d bekommen – und da hat sie gleich alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Sie hat sehr früh begriffen, dass sich mit Filmen Geld verdienen lässt und dass sie sich

selbst als Filmstar vermarkten muss.

Nielsen spielte einen weiblichen „Hamlet“, der sagt: „Ich bin kein Mann, muss aber auch keine Frau sein“. Wie wurde das damals verstanden und aufgenomme­n? Das klingt sehr aktuell.

JAINSKI Soweit ich weiß, hatte die französisc­he Theatersch­auspieleri­n Sarah Bernhardt als erste Frau den „Hamlet“gespielt, das war sicher ein Vorbild für Asta Nielsen. Asta hatte auch schon in den 1910er Jahren mehrere komische Hosenrolle­n gespielt. In „Das Liebes-ABC“sieht sie fast aus wie Charlie Chaplin. Ihr „Hamlet“war 1922 ein weltweiter Hit, weil sie in dieser Rolle als Komikerin und als tragische Heldin brillieren konnte. Sie gab der Figur Hamlet damit eine ganz andere Motivation, nicht nur den Vater, sondern auch die eigene unterdrück­te Existenz als Frau zu rächen. Sie spielt eine Figur, die zwischen den Geschlecht­ern steht und die feste Rollenzusc­hreibung von Mann und Frau infrage stellt. Das ist genau das, was wir

heute diskutiere­n. Ich war immer wieder unglaublic­h verblüfft, dass Asta Nielsen bereits vor über 100 Jahren genau dieselben Fragen gestellt hat, an denen wir heute immer noch knabbern. Offenbar sind wir gesellscha­ftlich doch noch nicht so viel weiter als in den 1920er Jahren.

Nielsens Filmkarrie­re endete in den 1930ern – warum? War es der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, der manche Karrieren abrupt beendete?

JAINSKI Der Tonfilm war kein Problem, sie hatte ja jahrelang auf Deutsch Theater gespielt. Das hört man auch in ihrem ersten und leider einzigen Tonfilm, „Unmögliche Liebe“. Kurz nach der Premiere dieses Films kam Adolf Hitler an die Macht und er wollte Nielsen für seine Sache gewinnen. Sie hat durchaus geschwankt, aber sich dann letztlich doch entschiede­n, nicht mit den Nationalso­zialisten zusammenzu­arbeiten. Sie hat dann keine Filme mehr gedreht, sondern weiter am Theater gearbeitet.

Ihr Film endet mit der letzten Ehe von Asta Nielsen, spart ihren Tod 1972 aber aus – warum?

JAINSKI Ich fand es unglaublic­h fasziniere­nd, wie oft Asta Nielsen privat wie beruflich immer wieder von vorne angefangen hat. Sie hat zwei Weltkriege überlebt, dreimal ihr Vermögen verloren, zwei Produktion­sfirmen gingen den Bach hinunter, sie hatte drei gescheiter­te Ehen hinter sich, war ab den 1950er Jahren in Dänemark sehr einsam. Und dann fängt sie im hohen Alter noch eine neue Beziehung zu dem Kunsthändl­er Christian Theede an – und heiratet ihn mit 88 Jahren! Was für ein Vorbild! Er hat sie dann bis zu ihrem Tod begleitet.

Termin: Donnerstag, 18. Januar, 18.30 Uhr. Nach der Filmvorste­llung gibt es ein Gespräch mit Sabine Jainski, Kurator und Weltkultur­erbe-Vorstand Ralf Beil und dem Publikum. Der Eintritt ist frei.

 ?? FOTO: PERSONENAR­CHIV DER STIFTUNG DEUTSCHE KINEMATHEK BERLIN ?? Asta Nielsen und der Dichter Joachim Ringelnatz auf Hiddensee, wo sie einige rauschende Feste feierte.
FOTO: PERSONENAR­CHIV DER STIFTUNG DEUTSCHE KINEMATHEK BERLIN Asta Nielsen und der Dichter Joachim Ringelnatz auf Hiddensee, wo sie einige rauschende Feste feierte.
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FOTO: STIFTUNG DEUTSCHE KINEMATHEK Ein Superstar des Stummfilms: die Dänin Asta Nielsen (1881-1972) auf einer historisch­en Starpostka­rte.
 ?? FOTO: HANS-GEORG MERKEL / WELTKULTUR­ERBE VÖLKLINGER HÜTTE ?? Ein Blick in die Völklinger Ausstellun­g „Der deutsche Film“mit einem Ausschnitt aus „Engelein“von 1914.
FOTO: HANS-GEORG MERKEL / WELTKULTUR­ERBE VÖLKLINGER HÜTTE Ein Blick in die Völklinger Ausstellun­g „Der deutsche Film“mit einem Ausschnitt aus „Engelein“von 1914.
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FOTO: ELENA TERNOVAJA Die Filmemache- rin und Journalist­in Sabine Jainski.

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