Liebe ist stärker als Hass
Manchmal mache ich Witze darüber, dass ich, Saarländerin durch und durch, mir ausgerechnet einen Pfälzer angelacht habe. Dabei vergesse ich oft, dass mein Freund eigentlich Migrant ist. Schlimmer noch: ein Flüchtling! 1989, kurz vor dem Mauerfall, floh seine Familie aus einem Ostblock-Staat nach Westdeutschland. In seiner neuen Heimat wollte er dazugehören, einfach normal, sprich: deutsch sein.
Als er größer wurde, weigerte er sich sogar, die Muttersprache seiner Eltern zu lernen. Stattdessen trainierte er sich ein lupenreines Hochdeutsch an, neben dem ich klinge, wie der saarländische Dorftrampel, der ich bin.
Vor ein paar Jahren erfuhr er aus Zufall, dass er außer der deutschen Staatsbürgerschaft auch noch die des Landes besitzt, in dem er geboren wurde. Das stürzte ihn in eine kleine Identitätskrise. Dass es ihn außerdem in Gefahr bringen könnte, wussten damals weder er noch ich. Umso fester drückte ich seine Hand,
Wenn es nach dem Willen der Rechtsextremen ginge, müssten über 20 Millionen Menschen Deutschland verlassen. Wie werden wir als Gesellschaft reagieren, wenn Bekannte, Freunde und die sogar eigene Familie deportiert werden sollen? als ich von dem Geheimtreffen las, an dem unter anderem Mitglieder der AfD, identitären Bewegung und Werteunion, ein CDU-naher Verein, teilgenommen hatten. Thema: „Remigration“. Widerliches Unwort. Tatsächlich plauderte die vornehme Runde ganz entspannt darüber, wie sie mir meinen Freund wegnehmen, Menschen mit Migrationshintergrund massenhaft in irgendein afrikanisches Land deportieren könnten.
Sogar solche mit deutschem Pass. Früher sei die AfD ja gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewesen, erzählte eine AfD-Politikerin bei dem Treffen. Inzwischen habe die Partei aber ihren Kurs geändert: Schließlich sei es ja so viel einfacher, jemandem die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, wenn er noch eine andere hat. Das ist so abgrundtief böse, dass mir die Worte fehlen.
Ich lese diesen Bericht, drücke verzweifelt die Hand meines Freundes und denke: Ihn meinen die ja wahrscheinlich gar nicht. Schließlich sieht er ziemlich deutsch aus, spricht Deutsch und ist kein Moslem. Im nächsten Moment schäme ich mich abgrundtief: Als könne man Menschen in „gute“und „schlechte“Migranten unterteilen. Je länger meine Gedanken rasen, desto mehr Gesichter tauchen vor meinem inneren Auge auf: mein alter, syrischer Hausarzt, der jedes Wehwehchen meiner Kindheit kuriert hat.
Der italienische Nachbar meiner Oma, eine Seele von Mensch. Der neue Kollege, der mir gerade erst gezeigt hat, wo man die besten türkischen Desserts in Saarbrücken bekommt. Seine Frau, ihr ungeborenes Kind. Hundert andere mit deutschem Pass oder ohne, die Teil meines Lebens waren und sind, über 20 Millionen Menschen insgesamt, die in Deutschland diesem ausgeflippten Rassenwahn zum Opfer fallen könnten.
Und ich denke: Niemals lasse ich das zu.