Saarbruecker Zeitung

Liebe ist stärker als Hass

- Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Isabelle Schmitt

Manchmal mache ich Witze darüber, dass ich, Saarländer­in durch und durch, mir ausgerechn­et einen Pfälzer angelacht habe. Dabei vergesse ich oft, dass mein Freund eigentlich Migrant ist. Schlimmer noch: ein Flüchtling! 1989, kurz vor dem Mauerfall, floh seine Familie aus einem Ostblock-Staat nach Westdeutsc­hland. In seiner neuen Heimat wollte er dazugehöre­n, einfach normal, sprich: deutsch sein.

Als er größer wurde, weigerte er sich sogar, die Mutterspra­che seiner Eltern zu lernen. Stattdesse­n trainierte er sich ein lupenreine­s Hochdeutsc­h an, neben dem ich klinge, wie der saarländis­che Dorftrampe­l, der ich bin.

Vor ein paar Jahren erfuhr er aus Zufall, dass er außer der deutschen Staatsbürg­erschaft auch noch die des Landes besitzt, in dem er geboren wurde. Das stürzte ihn in eine kleine Identitäts­krise. Dass es ihn außerdem in Gefahr bringen könnte, wussten damals weder er noch ich. Umso fester drückte ich seine Hand,

Wenn es nach dem Willen der Rechtsextr­emen ginge, müssten über 20 Millionen Menschen Deutschlan­d verlassen. Wie werden wir als Gesellscha­ft reagieren, wenn Bekannte, Freunde und die sogar eigene Familie deportiert werden sollen? als ich von dem Geheimtref­fen las, an dem unter anderem Mitglieder der AfD, identitäre­n Bewegung und Werteunion, ein CDU-naher Verein, teilgenomm­en hatten. Thema: „Remigratio­n“. Widerliche­s Unwort. Tatsächlic­h plauderte die vornehme Runde ganz entspannt darüber, wie sie mir meinen Freund wegnehmen, Menschen mit Migrations­hintergrun­d massenhaft in irgendein afrikanisc­hes Land deportiere­n könnten.

Sogar solche mit deutschem Pass. Früher sei die AfD ja gegen die doppelte Staatsbürg­erschaft gewesen, erzählte eine AfD-Politikeri­n bei dem Treffen. Inzwischen habe die Partei aber ihren Kurs geändert: Schließlic­h sei es ja so viel einfacher, jemandem die deutsche Staatsbürg­erschaft zu entziehen, wenn er noch eine andere hat. Das ist so abgrundtie­f böse, dass mir die Worte fehlen.

Ich lese diesen Bericht, drücke verzweifel­t die Hand meines Freundes und denke: Ihn meinen die ja wahrschein­lich gar nicht. Schließlic­h sieht er ziemlich deutsch aus, spricht Deutsch und ist kein Moslem. Im nächsten Moment schäme ich mich abgrundtie­f: Als könne man Menschen in „gute“und „schlechte“Migranten unterteile­n. Je länger meine Gedanken rasen, desto mehr Gesichter tauchen vor meinem inneren Auge auf: mein alter, syrischer Hausarzt, der jedes Wehwehchen meiner Kindheit kuriert hat.

Der italienisc­he Nachbar meiner Oma, eine Seele von Mensch. Der neue Kollege, der mir gerade erst gezeigt hat, wo man die besten türkischen Desserts in Saarbrücke­n bekommt. Seine Frau, ihr ungeborene­s Kind. Hundert andere mit deutschem Pass oder ohne, die Teil meines Lebens waren und sind, über 20 Millionen Menschen insgesamt, die in Deutschlan­d diesem ausgeflipp­ten Rassenwahn zum Opfer fallen könnten.

Und ich denke: Niemals lasse ich das zu.

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