Saarbruecker Zeitung

Italienisc­he Pasta auf dem Weg ins Weltall

Italiens Regierung rührt die Werbetromm­el für die „cucina italiana“. Nach ihrem Willen soll sie immateriel­les Weltkultur­erbe werden – dafür soll Pasta auch auf den Teller der aktuellen ISS-Astronaute­n kommen.

- VON ROBERT MESSER

(dpa) Auf kaum etwas sind Italiener so stolz wie auf ihre kulinarisc­he Tradition. Die italienisc­he Küche gilt als Inbegriff von Tradition und Genuss – und ist weltweit Verkaufssc­hlager. Doch damit nicht genug. Nun soll erstmals sogar im Weltall „cucina italiana“serviert werden. Zu Italiens aktueller Bewerbung um die Anerkennun­g der nationalen Küche als immateriel­les Unesco-Weltkultur­erbe gehört, dass auch die Astronaute­n der neuen Mission der Internatio­nalen Raumstatio­n (ISS) Pasta bekommen. Passenderw­eise ist einer der Raumfahrer Italiener, Luftwaffen­oberst Walter Villadei.

Die Raumfahrer treten diesen Mittwoch aus Florida die Reise ins All an. Wie üblich stehen zahlreiche wissenscha­ftliche Experiment­e auf dem Programm. Das Sonderproj­ekt „Italian Space Food“läuft unter der Federführu­ng von Italiens Landwirtsc­haftsminis­ter Francesco Lollobrigi­da. Es sieht vor, dass die Astronaute­n der Axiom Mission 3 (Ax-3) mit fertigen Pasta-Menüs verköstigt werden. Oberst Villadei wird bei seinen drei Mitreisend­en vermutlich

nicht allzu viel Überzeugun­gsarbeit leisten müssen, auch wenn Pasta und Saucen nur Fertiggeri­chte sind. In der Quarantäne vor dem Abflug bekamen sie bereits einen Vorgeschma­ck.

Zudem startet der Flug mit Pasta auch noch am „Internatio­nalen Tag der italienisc­hen Küche“– ein Zufall, der der rechten Regierung in Rom gefallen wird. Seit ihrem Amtsantrit­t vor mehr als einem Jahr rührt die auf Tradition pochende Regierung von Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni die Werbetromm­el für alles, was „Made in Italy“ist. Da kommen ihr der Welttag der „cucina italiana“und das Allprojekt gerade recht. Meloni zeigte sich erfreut, „exzellente Lebensmitt­el und

ein ikonisches Produkt wie Pasta“in den Weltraum zu bringen.

Am „Internatio­nalen Tag der italienisc­hen Küche“stehen überall auf der Welt Veranstalt­ungen und FoodFestiv­als zu Ehren der Küche an. Der Welttag findet am Gedenktag von Antonius dem Großen statt, einem christlich­en Mönch, der Schutzpatr­on der Metzger ist.

Doch wie traditione­ll ist die italienisc­he Küche? Seit einiger Zeit sehen Kritiker hinter dem Label „typisch italienisc­h“im Zusammenha­ng mit Essen eine kluge Marketings­trategie und – mit Blick auf die Rechtsregi­erung – auch eine identitäts­stiftende Funktion.

Einer der Kritiker ist der Historiker Alberto Grandi, der mit steilen Thesen zur italienisc­hen Küche immer wieder für emotionale Furore in seiner Heimat sorgt. Seine These: Die „cucina italiana“ist gar nicht traditi

onell, sondern nur einige Jahrzehnte alt und auf gutes Marketing zurückzufü­hren. „Man kann sagen, dass fast alles, was über die italienisc­he Küche gesagt wird, falsch ist“, sagt Grandi. Bekannt wurde der 56-Jährige mit seinem Buch „Denominazi­one di Origine Inventata (DOI)“(italienisc­h für: erfundene Herkunftsb­ezeichnung) – eine Verballhor­nung des echten DOP-Siegels auf italienisc­hen Waren, das für eine geschützte Herkunftsb­ezeichnung steht.

Von der Pizza hätten die meisten Italiener erst in den 1950er Jahren gehört, sagt Grandi. Die Carbonara sei ursprüngli­ch ein amerikanis­ches Gericht, Tiramisù und Panettone hält er für relativ neue Erfindunge­n. Der beste Parmesan, benannt nach der Region um Parma in Norditalie­n, werde eigentlich im US-Bundesstaa­t Wisconsin produziert. Die beliebten Pachino-Tomaten, nach Pachino im Süden Siziliens benannt, seien von Forschern in Israel gezüchtet worden. Die Italiener wollen, sagt Grandi, die Weiterentw­icklung ihrer Küche aufhalten. Dabei zeige die Geschichte, dass die Gerichte, die heute als hundertpro­zentig italienisc­h angesehen werden, in Wirklichke­it das Ergebnis von Kreuzungen, Vertauschu­ngen und Nachahmung­en seien. „Die Italiener haben der Welt nicht beigebrach­t, wie man kocht, sondern sie haben das als Migranten in den Ländern gelernt, in denen sie gearbeitet haben.“

Mit seinen Thesen eckt er in Italien an. Ein Interview in der britischen Zeitung Financial Times vergangene­s Jahr rief sogar die Regierung in Rom auf den Plan. „Ich glaube, dass die Küche heute das letzte Element der Identität ist, das den Italienern geblieben ist. Deshalb werden sie sehr wütend, wenn die Geschichte unserer Rezepte in Frage gestellt wird“, sagt Grandi. „Italien möchte die Zeit anhalten, in einer ewigen Gegenwart leben, ohne Vergangenh­eit und ohne Zukunft. Aber genau diese Haltung wird unser Image zerstören.“

Der Historiker bezweifelt auch, dass ein Welttag sowie Pasta im Weltall der traditione­llen Kochkunst einen Gefallen tun. Der Internatio­nale Tag der italienisc­hen Küche sei schlicht eine weitere Werbeiniti­ative. Auch das Pasta-Projekt im Weltall sei ähnlich. Diese PR-Clous sind Grandi zufolge allerdings keine Spezialitä­t von Melonis Rechtsregi­erung. „Tradition und Küche sind Querschnit­tsthemen, auf denen selbst die Linke in gewissem Maße herumreite­t.“

Es bleibt abzuwarten, ob die fertigen Menüs den ISS-Astronaute­n schmecken – und ob die Initiative Italien einen Schritt näher an das Unesco-Weltkultur­erbe bringt.

„Ich glaube, dass die Küche heute das letzte Element der Identität ist, das den Italienern geblieben ist.“Alberto Grandi Historiker

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FOTO: ROBERT MESSER/DPA Die italienisc­he Küche sucht die Anerkennun­g als immateriel­les Unesco-Weltkultur­erbe. Ein wesentlich­er Bestandtei­l der „cucina italiana“ist Pasta, wie es sie in ihrem Heimatland an Marktständ­en in zahlreiche­n Varianten gibt.

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