Saarbruecker Zeitung

Die verzerrte Debatte über Migration

- VON JAN DREBES UND JANA WOLF

In dieser Woche sollen zwei große Migrations­vorhaben der Ampel den Bundestag passieren: schnellere Rückführun­gen und erleichter­te Einbürgeru­ngen. An beiden Gesetzen gibt es Kritik, auch innerhalb der Ampel. Rechtsextr­eme Deportatio­nsfantasie­n und „Remigratio­ns“-Ideen heizen die Debatte weiter an.

BERLIN Für jeden muss etwas dabei sein. So ist das in der Politik, zumal bei einem komplizier­ten Dreierbünd­nis mit ungleichen Partnern wie der Ampel-Koalition. Beobachten lässt sich die schwierige Kompromiss­findung aktuell beim großen Migrations­paket. Zwei wichtige Vorhaben daraus sollen diese Woche den Bundestag passieren: ein Gesetz für schnellere, effektiver­e Rückführun­gen, ein zweites für erleichter­te, modernisie­rte Einbürgeru­ngsverfahr­en. Eigentlich sollten beide Vorhaben noch im alten Jahr beschlosse­n werden. Doch innerhalb der Ampel gab es noch Uneinigkei­ten bei Details.

Während die einen befürchten, dass der Kurs der Bundesregi­erung in der Asyl- und Migrations­politik nach rechts abdriftet, betonen die anderen, dass man mehr Steuerung und Ordnung brauche und die Flüchtling­szahlen effektiv gesenkt werden müssten. Besonders die Grünen tun sich schwer mit dem sogenannte­n Rückführun­gsverbesse­rungsgeset­z. Auch bei SPD-Linken zuckt man davor zurück, offensiv mit verbes

16 430 Menschen wurden 2023 aus Deutschlan­d abgeschobe­n – 3485 mehr als im Jahr zuvor. Quelle: Bundesinne­nministeri­um

serten Abschiebun­gen für die Ampel zu werben – obgleich Bundeskanz­ler Olaf Scholz angemahnt hatte, es brauche Rückführun­gen im großen Stil. Neben der Entlastung der Kommunen sollte damit auch den Rechtsextr­emen der Wind aus den Segeln genommen werden, so die Idee. Doch mit einer Stimme sprach die Ampel dabei nicht, Fachpoliti­ker der Fraktionen kämpften lange um Details.

Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) sieht das Gesetz dennoch als Schritt nach vorne. „Mit unserem Gesetzespa­ket sorgen wir dafür, dass Menschen ohne Bleiberech­t schneller unser Land verlassen müssen. Die Zahl der Rückführun­gen war im Jahr 2023 schon um 27 Prozent höher als im Jahr 2022, dennoch gibt es erhebliche­n Änderungsb­edarf“, sagte sie unserer Redaktion. Ihrem Ministeriu­m zufolge gab es im vergangene­n Jahr 16 430 Abschiebun­gen, für deren Umsetzung die Bundesländ­er zuständig sind. Das sind 3485 Abschiebun­gen mehr als 2022.

Mit Blick auf die geplanten Regeln sagte Faeser: „Mit einer Reihe von Neuerungen verhindern wir, dass Personen untertauch­en, bevor sie abgeschobe­n werden können. Wir erleichter­n die Identitäts­feststellu­ng, die bisher oft ein Hindernis ist.“Diese restriktiv­en Maßnahmen seien notwendig, damit man weiterhin der humanitäre­n Verantwort­ung für die Menschen gerecht werden könne, die man vor Krieg und Terror schützen müsse – wie die 1,1 Millionen Geflüchtet­en aus der Ukraine. „Und diese restriktiv­en Maßnahmen sind notwendig, damit wir die gesellscha­ftliche Akzeptanz für den Schutz von Geflüchtet­en erhalten und die Integratio­n gelingt“, sagte Faeser.

Die Innenminis­terin betonte dies auch vor dem Hintergrun­d von Ausweisung­sideen der AfD und anderer Rechtsextr­emisten. „Wir lösen im Bereich der Migration die Probleme im klaren Bewusstsei­n unserer humanitäre­n Verantwort­ung und unserer Verfassung“, sagte Faeser. „Die Vorstellun­gen von AfD-Vertretern und anderen, die unter dem Begriff der ‚Remigratio­n` ihre rechtsextr­emistische­n Vertreibun­gsphantasi­en von Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft verfolgen, stehen dagegen fundamenta­l im Widerspruc­h zu unserer Verfassung.“

In der Bundesregi­erung und den Koalitions­fraktionen ist man erfreut darüber, wie viele Menschen gegen diese Ideen von rechts außen auf die

Straße gingen. Es brauche diesen „Aufstand der Anständige­n“, sagte die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, am Mittwoch. Auch wenn viele der Menschen, die gegen die AfD auf die Straße gehen, damit nicht automatisc­h ihre Zustimmung zur Ampel-Regierung kundtun wollten. Die Umfragewer­te der Koalitions­parteien sind schlecht, die Zustimmung­swerte von Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf einem Tiefstand.

Die öffentlich­e Kritik war insbesonde­re beim geplanten Staatsange­hörigkeits­recht groß. Und auch zwischen den Ampel-Fraktionen gab es Streitpunk­te. Das neue Gesetz sieht vor, dass Zuwanderer bereits nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschlan­d Staatsbürg­er werden können, vorausgese­tzt sie können ihren Lebensunte­rhalt ohne staatliche Hilfe bestreiten. Bisher müssen sie mindestens acht Jahre im Land leben. Bei guten Leistungen, guten Sprachkenn­tnissen oder ehrenamtli­chem Engagement soll die Einbürgeru­ng schon nach drei Jahren möglich sein. Man will das Zeichen setzen, dass Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsland ist. Es soll der Gegenentwu­rf zur AfD sein.

Migrations­forscher Gerald Knaus warnt dabei vor politische­r Taktik von AfD und Co. „Mit dem Begriff der ,Remigratio­n` stellen Rechtsextr­eme in der Migrations­debatte bewusst eine Falle. Sie wollen die Grenzen zwischen einer legitimen Diskussion über legale Abschiebun­gen und dem Gedankengu­t der rechtsextr­emen identitäre­n Bewegung verwischen.“Wer über legale Abschiebun­gen spreche, brauche den Begriff „Remigratio­n“nicht, so Knaus. „Und wer Abschiebun­gen ausreisepf­lichtiger Personen mit rechtsextr­emen Vertreibun­gsfantasie­n gleichsetz­t, tritt auch in diese identitäre Falle“, warnte er. Das gelte auch für das Argument, in Deutschlan­d habe es in den letzten Jahren eine „zunehmend rechte Flüchtling­spolitik“gegeben. „Die Fakten sind klar: in keinem Land der Welt wurden in den letzten Jahren so viele positive Asylentsch­eidungen getroffen wie in Deutschlan­d, unter der Großen Koalition wie unter der Ampel-Koalition“, sagte Knaus. Vor diesem Hintergrun­d ist die Migrations­debatte oftmals verzerrt – wovon bislang vor allem die AfD profitiert­e.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Die Bundesregi­erung hat dem Bundestag einen Gesetzentw­urf für eine schnellere und effektiver­e Rückführun­g vorgelegt. Doch es gibt Uneinigtke­iten bei den Details – auch innerhalb der Ampel.

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