Die verzerrte Debatte über Migration
In dieser Woche sollen zwei große Migrationsvorhaben der Ampel den Bundestag passieren: schnellere Rückführungen und erleichterte Einbürgerungen. An beiden Gesetzen gibt es Kritik, auch innerhalb der Ampel. Rechtsextreme Deportationsfantasien und „Remigrations“-Ideen heizen die Debatte weiter an.
BERLIN Für jeden muss etwas dabei sein. So ist das in der Politik, zumal bei einem komplizierten Dreierbündnis mit ungleichen Partnern wie der Ampel-Koalition. Beobachten lässt sich die schwierige Kompromissfindung aktuell beim großen Migrationspaket. Zwei wichtige Vorhaben daraus sollen diese Woche den Bundestag passieren: ein Gesetz für schnellere, effektivere Rückführungen, ein zweites für erleichterte, modernisierte Einbürgerungsverfahren. Eigentlich sollten beide Vorhaben noch im alten Jahr beschlossen werden. Doch innerhalb der Ampel gab es noch Uneinigkeiten bei Details.
Während die einen befürchten, dass der Kurs der Bundesregierung in der Asyl- und Migrationspolitik nach rechts abdriftet, betonen die anderen, dass man mehr Steuerung und Ordnung brauche und die Flüchtlingszahlen effektiv gesenkt werden müssten. Besonders die Grünen tun sich schwer mit dem sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetz. Auch bei SPD-Linken zuckt man davor zurück, offensiv mit verbes
16 430 Menschen wurden 2023 aus Deutschland abgeschoben – 3485 mehr als im Jahr zuvor. Quelle: Bundesinnenministerium
serten Abschiebungen für die Ampel zu werben – obgleich Bundeskanzler Olaf Scholz angemahnt hatte, es brauche Rückführungen im großen Stil. Neben der Entlastung der Kommunen sollte damit auch den Rechtsextremen der Wind aus den Segeln genommen werden, so die Idee. Doch mit einer Stimme sprach die Ampel dabei nicht, Fachpolitiker der Fraktionen kämpften lange um Details.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht das Gesetz dennoch als Schritt nach vorne. „Mit unserem Gesetzespaket sorgen wir dafür, dass Menschen ohne Bleiberecht schneller unser Land verlassen müssen. Die Zahl der Rückführungen war im Jahr 2023 schon um 27 Prozent höher als im Jahr 2022, dennoch gibt es erheblichen Änderungsbedarf“, sagte sie unserer Redaktion. Ihrem Ministerium zufolge gab es im vergangenen Jahr 16 430 Abschiebungen, für deren Umsetzung die Bundesländer zuständig sind. Das sind 3485 Abschiebungen mehr als 2022.
Mit Blick auf die geplanten Regeln sagte Faeser: „Mit einer Reihe von Neuerungen verhindern wir, dass Personen untertauchen, bevor sie abgeschoben werden können. Wir erleichtern die Identitätsfeststellung, die bisher oft ein Hindernis ist.“Diese restriktiven Maßnahmen seien notwendig, damit man weiterhin der humanitären Verantwortung für die Menschen gerecht werden könne, die man vor Krieg und Terror schützen müsse – wie die 1,1 Millionen Geflüchteten aus der Ukraine. „Und diese restriktiven Maßnahmen sind notwendig, damit wir die gesellschaftliche Akzeptanz für den Schutz von Geflüchteten erhalten und die Integration gelingt“, sagte Faeser.
Die Innenministerin betonte dies auch vor dem Hintergrund von Ausweisungsideen der AfD und anderer Rechtsextremisten. „Wir lösen im Bereich der Migration die Probleme im klaren Bewusstsein unserer humanitären Verantwortung und unserer Verfassung“, sagte Faeser. „Die Vorstellungen von AfD-Vertretern und anderen, die unter dem Begriff der ‚Remigration` ihre rechtsextremistischen Vertreibungsphantasien von Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft verfolgen, stehen dagegen fundamental im Widerspruch zu unserer Verfassung.“
In der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen ist man erfreut darüber, wie viele Menschen gegen diese Ideen von rechts außen auf die
Straße gingen. Es brauche diesen „Aufstand der Anständigen“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, am Mittwoch. Auch wenn viele der Menschen, die gegen die AfD auf die Straße gehen, damit nicht automatisch ihre Zustimmung zur Ampel-Regierung kundtun wollten. Die Umfragewerte der Koalitionsparteien sind schlecht, die Zustimmungswerte von Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf einem Tiefstand.
Die öffentliche Kritik war insbesondere beim geplanten Staatsangehörigkeitsrecht groß. Und auch zwischen den Ampel-Fraktionen gab es Streitpunkte. Das neue Gesetz sieht vor, dass Zuwanderer bereits nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland Staatsbürger werden können, vorausgesetzt sie können ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Hilfe bestreiten. Bisher müssen sie mindestens acht Jahre im Land leben. Bei guten Leistungen, guten Sprachkenntnissen oder ehrenamtlichem Engagement soll die Einbürgerung schon nach drei Jahren möglich sein. Man will das Zeichen setzen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Es soll der Gegenentwurf zur AfD sein.
Migrationsforscher Gerald Knaus warnt dabei vor politischer Taktik von AfD und Co. „Mit dem Begriff der ,Remigration` stellen Rechtsextreme in der Migrationsdebatte bewusst eine Falle. Sie wollen die Grenzen zwischen einer legitimen Diskussion über legale Abschiebungen und dem Gedankengut der rechtsextremen identitären Bewegung verwischen.“Wer über legale Abschiebungen spreche, brauche den Begriff „Remigration“nicht, so Knaus. „Und wer Abschiebungen ausreisepflichtiger Personen mit rechtsextremen Vertreibungsfantasien gleichsetzt, tritt auch in diese identitäre Falle“, warnte er. Das gelte auch für das Argument, in Deutschland habe es in den letzten Jahren eine „zunehmend rechte Flüchtlingspolitik“gegeben. „Die Fakten sind klar: in keinem Land der Welt wurden in den letzten Jahren so viele positive Asylentscheidungen getroffen wie in Deutschland, unter der Großen Koalition wie unter der Ampel-Koalition“, sagte Knaus. Vor diesem Hintergrund ist die Migrationsdebatte oftmals verzerrt – wovon bislang vor allem die AfD profitierte.