Das Straßburger Signal an Orbán – und an von der Leyen
In einer Debatte hat sich eine Mehrheit des Europaparlamentes gegen weitere Blockadeversuche von Ungarns Regierungschef in Stellung gebracht.
STRASSBURG Prinzipiell wäre es nicht die schlechteste Idee gewesen, an diesem Mittwoch im Europaparlament die seit langem erwartete Spitzenkandidatur für die Wahlen zum Europaparlament bekannt zu geben. Zumal, wenn Ursula von der Leyen ohnehin bis zum 21. Februar genügend Unterschriften dafür vorgelegt haben muss.
Doch praktisch tut die Kommissionspräsidentin gut daran, sich erneut bedeckt zu halten. Denn sie bringt das Kunststück fertig, sowohl von EU-Anhängern als auch EUGegnern als Hassfigur behandelt zu werden. Sie belassen es nicht bei schärfster Kritik, sie wollen von der Leyen vor Gericht bringen; und einige drohen gar damit, sie zu stürzen.
Dabei wollen die Europaabgeordneten eigentlich eine andere Person an den parlamentarischen Pranger stellen. Ungarns Regierungschef
Viktor Orbán hat mit seiner Blockade sowohl der Ukraine-Hilfe als auch des EU-Haushalts die Reihen so geschlossen, dass es die Fraktionen verblüfft: Christdemokraten, Liberale, Grüne, Sozialdemokraten und Linke haben sich zusammengefunden, um die permanenten Erpressungen Europas durch Orbán zu beenden.
Noch vor der Anti-Orbán-Debatte am Mittwoch ist bereits der Entwurf einer Anti-Orbán-Resolution fertig, mit der an diesem Donnerstag die Staats- und Regierungschefs aufgefordert werden, die seit Jahren verlangten Schritte zum Entzug des
Stimmrechtes für Ungarn endlich zu gehen. In Änderungsanträgen geht es auch darum, Ungarn die ab 1. Juli anstehende Ratspräsidentschaft vorzuenthalten und die Kommission wegen einer Freigabe gesperrter EUMittel für Ungarn schwer zu ahnden.
Das ungewöhnlich große Bündnis zeigt sich auch optisch auf verblüffende Weise. Als die Fraktionschefin der Grünen, Terry Reintke, schärfste Geschütze gegen Orbán auffährt, ihm vorhält, „Putins bester Diener“zu sein und zur „entscheidenden Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie“aufruft, da klatscht auch einer, der gewöhnlich als GrünenGegner auftritt: EVP-Fraktionschef Manfred Weber.
Weil der als Präsident der christdemokratisch-konservativen Parteienfamilie Anfang März die erwartete Wahl von der Leyens zur europäischen Spitzenkandidatin orchestriert, sind die massiven Warnungen an von der Leyen nicht ohne Brisanz.
Der Rechtsausschuss des Parlamentes wird aufgefordert, eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung von der Leyens vorzubereiten, mit der sie kurz vor dem Dezember-Gipfel 10,2 Milliarden Euro an gesperrten EU-Mitteln für Ungarn freigab. Zu Beginn der Debatte versichert von der Leyen, Ungarn habe die Voraussetzungen erfüllt und die Kommission sich nur an Regeln und Recht gehalten.
Wie man die Rechtsstaatlichkeit Ungarns als wiederhergestellt bewerten könne, verstehe sie nicht, sagt die CSU-Abgeordnete Monika Hohlmeier. Ungarn habe mit dem Gesetz, das für von der Leyen Anlass zur Freigabe war, den Rechtsstaat erneut mit Fesseln versehen, erläutert der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. Somit sei das eine „Scheinreform“gewesen und von der Leyens Zahlung die „größte Schmiergeldzahlung in der Geschichte der EU“– nur um Ungarns Blockade bei der Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine wegzubekommen. „Wir sehen uns vor Gericht“, kündigt Freund an die Adresse von der Leyens an.
Die hat um diese Zeit die Debatte längst verlassen. Das nehmen ihr etliche Abgeordnete zusätzlich übel. Der griechische Linke Dimitrios Papadimoulis nennt es eine „Beleidigung des Europäischen Parlamentes“. Scharfe Kritik kommt auch von der niederländischen Liberalen Sophia In`t Veld, die von der Leyen zugleich vorhält, die Kommission „von der Hüterin der Verträge zum Hündchen der Mitgliedstaaten“gemacht zu haben.
Wenn von der Leyen eine zweite Amtszeit ansteuert, dürfte sie auf die Unterstützung eines in den Fluren von Straßburg „Ursula-Koalition“genannten Bündnisses aus Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und ein Mittun der Grünen angewiesen sein. Die Drohung des deutschen Liberalen Moritz Körner müsste bei ihr daher sämtliche Alarmglocken läuten lassen. Sollte sie noch mal Mittel an Ungarn freigeben, werde das Parlament ein Misstrauensvotum gegen sie auf den Weg bringen, kündigt er an.
Von Emotionen aufgepeitschte Botschaften gehen vor allem an Orbán. Die einen wollen ihm Stimmrecht und Ratspräsidentschaft entziehen, weil er das „trojanische Pferd Putins“sei.
Die Rechtspopulisten hingegen feiern ihn. „Recht hat er!“, ruft der FPÖ-Politiker Harald Vilimsky zu Orbáns Eintreten gegen „Migrationsströme“und „EU-Zentralismus“. Der polnische PiS-Politiker Ryszard Czarnecki beendet seine Rede mit „Hoch lebe Ungarn!“. Und PiS-Abgeordnete Beata Szydlo raunt in den Saal: „Nach den Europawahlen wird die Mehrheit hier eine ganz andere sein.“Es ist das gespaltene Straßburger Signal eines gespaltenen Europas.