Nach dem Eis-Chaos im Saarland: Was Arbeitnehmer beachten müssen
Überfrierender Regen und schwere Schneefälle haben am Mittwoch in großen Teilen des Saarlandes zu großen Verkehrsbehinderungen gesorgt. In solchen Situationen dürfen Arbeitnehmer nicht einfach daheim bleiben. Am besten verständigt man umgehend den Arbeitg
SAARBRÜCKEN Ausgestorbene Innenstädte und Ortskerne, leere Straßen, vielerorts auch früher geschlossene Geschäfte und Büros: Das extreme Glatteis hatte am Mittwoch das gesamte Saarland fest im Griff. Mit einer Besonderheit. Denn schon im Vorfeld der sich anbahnenden Wetterfront warnte der Deutsche Wetterdienst ausdrücklich vor „Gefahr für Leib und Leben“. Diese Formulierung sorgt auch für eine Ausnahmesituation in der Rechtsprechung. Denn normalerweise gibt es nicht nur im Winter für besondere Vorkommnisse auf dem Weg zur Arbeit eine eindeutige Regelung: Der Arbeitnehmer trägt alleine die Verantwortung und hat dafür zu sorgen, dass er grundsätzlich pünktlich zu seinem Arbeitsplatz erscheint. Er muss also früh genug von zu Hause starten oder sich eventuell auch ein anderes Verkehrsmittel suchen. Dies bestätigen sowohl Beatrice Zeiger, Geschäftsführerin der Arbeitskammer und Leiterin der Beratung, als auch Heike Closs, Justiziarin und stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer (IHK) des Saarlandes. Juristisch wird dies als „Wegerisiko“bezeichnet.
Viele Unternehmen zeigen sich jedoch in Fällen von plötzlich auftretender Glätte auch kulant – unter der Voraussetzung, dass sich der Betroffene frühzeitig meldet. Und am besten gleich auch anfragt, ob er die Ausnahme-Situation etwa zum Abbau von Überstunden nutzen, einen freien Tag oder Urlaub nehmen kann. Der Arbeitnehmer muss seinem Arbeitgeber in allen Fällen schlüssig erklären, warum es ihm nicht möglich ist, seine Arbeitsstelle zu erreichen. Im eigenen Interesse sollte man den Arbeitgeber unbedingt verständigen. „Wenn man das unterlässt, könnte dieser eine Abmahnung für den Fall veranlassen, dass man nicht erscheint“, betont Beatrice Zeiger.
Allerdings schafft der Hinweis, wie im Falle des Deutschen Wetterdienstes mit Gefahr für Leib und Leben, nochmals eine besondere Situation. „In diesem Fall darf der Arbeitnehmer berechtigt zu Hause bleiben. Man muss aber dann seinen Arbeitgeber telefonisch zeitnah darüber informieren. Etwa, dass Blitzeis so schlimm vor der Einfahrt oder auf der Straße aufgetreten ist, dass man mit dem Auto einen Unfall riskiert, oder auch, wenn man zu Fuß geht“, so Zeiger.
Allerdings bestehe, wenn man dann zu Hause bleibt oder zu spät kommt, für diese Zeit kein Anspruch auf Lohnfortzahlung, erklärt die Vertreterin der Arbeitskammer. Doch auch die Regelung „Ohne Arbeit kein Lohn“kennt Ausnahmen. Hier verweist die Expertin ausdrücklich auf das Beispiel geschlossener Kindertagesstätten oder Schulen. „Wer ein betreuungsbedürftiges Kind hat, über keine andere Betreuungsmöglichkeit verfügt und zugleich selbst die Betreuungsperson ist, kann sich auf den Paragrafen 616 im Bürgerlichen Gesetzbuch berufen. Der besagt, dass man in einer solchen Situation, in der ein personenbedingter Grund vorliegt, weiter Anspruch auf die Lohnfortzahlung hat.“Allerdings kann diese Vorschrift auf Grund einzelvertraglicher, betrieblicher oder tariflicher Regelungen auch ausgeschlossen werden.
Spätestens seit Corona kann eine andere Möglichkeit einen drohenden Konflikt in Folge der Extremwitterung vermeiden helfen: Home-Office. Viele Unternehmen bieten diese Möglichkeit schon an. „Die Möglichkeit, im Home-Office zu arbeiten, ist ein Grund dafür, die Lohnfortzahlung weiter zu bekommen,“stellt Beatrice Zeiger klar. „Da Home-Office aber nicht in allen Berufen möglich ist, kann man als Arbeitnehmer auch versuchen, Urlaub zu nehmen oder Überstunden abzubauen. Wenn keine dringenden betrieblichen Gründe dagegen sprechen, sollte der Arbeitgeber diesen Urlaub genehmigen. Er müsste nachweisen, dass dringende betriebliche Gründe dagegen sprechen“, so Zeiger.
Generell appelliert die Geschäftsführerin der Arbeitskammer an die Arbeitgeber, sich in Extremsituationen kulant gegenüber ihren Beschäftigten zu verhalten. Das sei gerade in Zeiten wichtig, in denen es sehr schwer geworden ist, Fachkräfte zu finden. Denn wer als Arbeitnehmer in einer solchen Situation nicht auf offene Ohren stoße, merke sich das und sei eher bereit, bei einer sich bietenden Gelegenheit den Job zu wechseln. Zeiger verweist noch auf eine weitere Möglichkeit, insbesondere für kleinere Betriebe, auf extreme Witterungsverhältnisse wie die am Mittwoch zu reagieren. Man könne an einem solchen Tag den Betrieb schließen, um nicht die Gesundheit der eigenen Beschäftigten zu gefährden. Das setze jedoch voraus, dass man sich eine solche Maßnahme betriebswirtschaftlich leisten kann.
IHK-Justiziarin Heike Closs empfiehlt Arbeitnehmern, sich möglichst frühzeitig in den Medien über drohende Hindernisse zum Arbeitsplatz zu informieren und sich entsprechend darauf einzustellen. So habe beispielsweise der Deutsche Wetterdienst schon am Tag zuvor vor der drohenden Extremwetterlage gewarnt. „Streiks, wie etwa bei der Bahn, die jüngst aufgetretenen Verkehrsbeeinträchtigungen durch die Bauernproteste oder auch drohende
Sperrungen wegen Hochwasser sind frühzeitig bekannt“, erinnert Closs. Betroffene Arbeitnehmer hätten also in der Regel ausreichend Zeit, sich auf die Sondersituation einzustellen.
Zugleich setzt die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der IHK jedoch auch auf die Flexibilität der Unternehmer. „Die Arbeitgeber sind ja vernünftig. Deswegen werden viele in extremen Witterungssituationen auch auf Home-OfficeMöglichkeiten zurückgreifen. Das ist ja spätestens seit Corona noch einfacher geworden“, so Closs. Sie betont aus ihrer Sicht: „Home-Office ist die erste Wahl der Stunde.“Doch auch der Arbeitgeber hat bei extremen Witterungsbedingungen eine Verpflichtung. Er trägt das „Betriebsrisiko“. Was in der Praxis bedeutet: Kommt der Arbeitgeber wegen schwieriger Witterungsverhältnisse zu spät oder gar nicht am Betrieb an und öffnen sich deshalb nicht rechtzeitig die Geschäftstüren, gerät der Arbeitgeber gegenüber seinen pünktlich gekommenen Mitarbeitern in Annahmeverzug. Er muss dann seinen vor der Tür wartenden Mitarbeitern die ausgefallenen Stunden bezahlen.