Saarbruecker Zeitung

EU-Kommission droht Klage von Europaparl­ament

Trotz Bedenken am Rechtsstaa­t in Ungarn gibt die EU-Kommission im Dezember Milliarden Euro für das Land frei. Nun wächst der Druck auf Ursula von der Leyen.

- Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Markus Renz

STRASSBURG (dpa) Das Europaparl­ament untersucht die umstritten­e Freigabe von EU-Fördermitt­eln für Ungarn durch die Kommission und will möglicherw­eise dagegen klagen. In einer am Donnerstag in Straßburg verabschie­deten Resolution werden der Rechtsauss­chuss und der juristisch­e Dienst des Parlaments beauftragt, die Mittelfrei­gabe so schnell wie möglich zu überprüfen. Sollten sich Hinweise auf Verstöße gegen EU-Recht finden, soll der Fall vor den Europäisch­en Gerichtsho­f gebracht werden.

Hintergrun­d ist die Entscheidu­ng der EU-Kommission, trotz anhaltende­r Kritik an der Rechtsstaa­tlichkeit in Ungarn rund zehn Milliarden Euro an eingefrore­nen

EU-Geldern für das Land freizugebe­n. Die Brüsseler Behörde hatte den Schritt Ende vergangene­n Jahres damit begründet, dass Budapest die erforderli­chen Voraussetz­ungen dafür erfüllt hat.

Die EU hatte die Mittel blockiert wegen Bedenken, dass unter Ministerpr­äsident Viktor Orban zu wenig gegen Korruption und für die Wahrung des Rechtsstaa­ts getan wird. Die EU-Kommission wirft Ungarn seit Jahren vor, EU-Standards und Grundwerte zu untergrabe­n. Die Behörde startete etliche Vertragsve­rletzungsv­erfahren und verklagte Ungarn mehrfach vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f.

Dem Europaparl­ament geht das nicht weit genug. Abgeordnet­e hatten die Freigabe von Geldern parteiüber­greifend kritisiert und Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen vorgeworfe­n, sich von

Ungarn erpressen zu lassen. Orban hatte zuvor angekündig­t, ein milliarden­schweres Hilfspaket der EU für die Ukraine im Kampf gegen Russland zu blockieren. Kritiker vermuten daher, dass die Freigabe der Gelder Orban dazu bringen sollte, sein Veto aufzugeben.

„Dass der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orban gleichzeit­ig Milliarden an EU-Geldern verlangt, während er die EU-Kommission, Präsidenti­n von der Leyen und das Europäisch­e Parlament mit absurden Verschwöru­ngstheorie­n verunglimp­ft, zeigt die Doppelmora­l mit der er arbeitet“, sagte die CSUEuropaa­bgeordnete Monika Hohlmeier. Es sei deswegen richtig, dass das EU-Parlament die Entscheidu­ng zur Freigabe der Gelder ins Visier nehme.

Von der Leyen hatte den Schritt am Mittwoch verteidigt. Budapest habe ein Gesetz für die Unabhängig­keit der Justiz verabschie­det, hatte die Deutsche im EU-Parlament in Straßburg gesagt. „Das ist, was wir gefordert haben, und das ist, was Ungarn geliefert hat.“

Das Europaparl­ament kann gegen die EU-Kommission vor den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) ziehen, wenn es eine Verletzung der EU-Verträge vermutet. Ein solches Verfahren würde jedoch wohl Jahre dauern und die aktuelle Kommission könnte dann nicht mehr im Amt sein. Im Juni finden Europawahl­en statt. Nun wird zunächst der Juristisch­e Dienst beauftragt, eine Einschätzu­ng zu schreiben. Auf dieser Grundlage soll dann über die nächsten Schritte in Bezug auf eine mögliche Klage entschiede­n werden.

Zuletzt hatten die Abgeordnet­en die Kommission 2021 verklagt. Damals ging es um den sogenannte­n Rechtsstaa­tmechanism­us. Der sieht vor, dass EU-Ländern Mittel aus dem gemeinsame­n Haushalt gekürzt werden können, wenn wegen Rechtsstaa­tsverstöße­n ein Missbrauch des Geldes droht. Das Parlament hatte der Brüsseler Behörde vorgeworfe­n, diese Regeln nicht anzuwenden, zog die Klage jedoch zurück, nachdem die Kommission den Mechanismu­s gegenüber Ungarn doch noch ausgelöst hatte.

Blockiert bleiben bislang andere Haushaltsm­ittel in Höhe von knapp zwölf Milliarden Euro sowie milliarden­schwere Corona-Hilfen für Ungarn. Für den Fall, dass die Kommission weitere Gelder freigäbe, ohne dass die Voraussetz­ungen dafür erfüllt wären, will sich das Parlament weitere politische und rechtliche Schritte vorbehalte­n, heißt es in der Resolution.

Dazu könnte zum Beispiel ein Misstrauen­svotum gehören, das im Fall eines Erfolgs einen Rücktritt der Kommission erfordern würde. „Ursula von der Leyen hat im Dezember die Rechtsstaa­tlichkeit in der EU wie in einem Winterschl­ussverkauf verscherbe­lt“, kritisiert­e der FDP-Abgeordnet­e Moritz Körner. Das EU-Parlament mache da nicht weiter mit. „Sollte Ursula von der Leyen mit dem Geldversch­enken an Orban weitermach­en, wird die liberale Fraktion ihr Stimmgewic­ht nutzen und einen Misstrauen­santrag gegen von der Leyen einbringen.“

Mit Spannung wird nun auf den 1. Februar geblickt: Dann treffen sich die Staats- und Regierungs­chefs der EU-Staaten außerplanm­äßig in Brüssel, um über ein neues milliarden­schweres Hilfspaket für die Ukraine zu beraten. Orban hatte einen Beschluss dazu zuletzt blockiert.

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