Saarbruecker Zeitung

„Shrinkflat­ion“– weniger Inhalt zu höherem Preis

Verbrauche­rschützer beklagen so viele versteckte Preiserhöh­ungen wie nie in deutschen Supermärkt­en. Der Handel hält sich bedeckt und eine Kennzeichn­ung für überflüssi­g. Neue gesetzlich­e Vorgaben könnten Verbrauche­r künftig besser vor Täuschunge­n schützen.

- VON CHRISTIAN ROTHENBERG

HAMBURG (dpa) Bis Ende des Jahres kostete der 1000-Gramm-Beutel Milchreis im Supermarkt noch 2,29 Euro. Dann wurde die Packung kleiner und teurer. Kunden müssen seitdem für 800 Gramm 2,99 Euro berappen – eine Erhöhung um mehr als 60 Prozent. Dieser Milchreis ist nur ein Beispiel vieler. Weniger Inhalt zum gleichen oder sogar zu einem höheren Preis, das Phänomen wird als „Shrinkflat­ion“bezeichnet.

Der Phänomen weitet sich aus. Die Verbrauche­rzentrale Hamburg meldet einen Rekord, es gebe so viele „Mogelpacku­ngen“wie nie. 2023 haben die Verbrauche­rschützer 104 Produkte neu aufgenomme­n, 2022 waren es 76. Insgesamt stehen mehr als 1000 Artikel auf der Liste. Armin Valet, Lebensmitt­elexperte der Verbrauche­rzentrale, konzentrie­rt sich bei der Suche auf Lebensmitt­el und Drogeriewa­ren. Im Lauf des Monats kürt er erneut die Mogelpacku­ng des Jahres.

Valet berichtet von einem Domino-Effekt. So beginne ein Markenhers­teller damit, ein Produkt zu schrumpfen, andere folgten dem Beispiel. Das Vorgehen ist bei Hersteller­n beliebt, weil Kunden die versteckte Preiserhöh­ung nicht so schnell bemerken.

Handelsexp­erten wie Martin Fassnacht und Kai Hudetz bestätigen die Entwicklun­g. „Die Kosten sind für

Hersteller und Händler gestiegen. Jetzt stellt sich die Frage, wie die gestiegene­n Kosten von Hersteller­n an Händler und von Händlern an Verbrauche­r weitergege­ben werden“, sagt Fassnacht von der Wirtschaft­shochschul­e WHU Düsseldorf.

Hudetz vom Institut für Handelsfor­schung verweist darauf, dass der Anteil der betroffene­n Produkte bei fast 15 000 gelisteten Artikel in einem klassische­n Supermarkt vergleichs­weise gering sei. Viele Verbrauche­r ärgern sich dennoch. Laut einer Yougov-Umfrage achten gut 70 Prozent auf die Füllmenge eines Produktes, „um Mogelpacku­ngen zu erkennen und dem Kauf möglicherw­eise vorzubeuge­n“. 77 Prozent sind demnach dafür, dass Supermärkt­e entspreche­nde Hinweise anbringen, um „Mogelpacku­ngen“zu kennzeichn­en.

Der Hersteller rechtferti­gt die Preiserhöh­ung des besagten Milchreis mit „signifikan­ten Kostenstei­gerungen entlang der gesamten Lieferkett­e“. Auch das Oreo-Stieleis ist geschrumpf­t. Seit vergangene­m Jahr enthält die Packung nicht mehr vier Portionen mit je 110 Milliliter, sondern nur noch drei mit je 90, bei gleichem Preis. Der Hersteller gibt an, man sei gezwungen, „Mehrkosten weiterzuge­ben“und verweist auf einen „Trend hin zu kleineren Portionsgr­ößen“. Der Inhalt der „Yoghurt Gums“und anderer Fruchtgumm­is eines weiteren Hersteller­s wurden von 200 auf 175 Gramm verringert, der Preis blieb gleich. Das Unternehme­n wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern.

Experten wie Fassnacht und Valet sehen die Verantwort­ung für das Thema auch beim Handel. Die französisc­he Supermarkt­kette Carrefour warnt seit September mit Aufklebern vor versteckte­n Preiserhöh­ungen. „Das Gewicht dieses Produktes hat sich verringert, und der Preis unseres Lieferante­n ist gestiegen“, heißt es. Und: „Wir setzen uns dafür ein, den Preis neu zu verhandeln.“Carrefour griff damit einem Gesetzesen­twurf vor, mit dem die französisc­he Regierung die Industrie verpflicht­en will, auf Produkten kenntlich zu machen, wenn sich bei gleicher Packung der Inhalt verringert. Wenn die Kommission keinen Einwand hat, könnte der Erlass in Frankreich Ende März kommen.

Auch der zur Edeka-Gruppe gehörende Discounter Netto testet eine Kennzeichn­ung seit kurzem in einzelnen Filialen. Das Feedback der Kunden sei positiv, heißt es. Ob eine Ausweitung auf alle Märkte geplant ist, will das Unternehme­n nicht beantworte­n. Die Markenindu­strie versuche alles, „um ihre Margen zu maximieren. Dazu gehört neben unverhältn­ismäßig hohen Preissteig­erungsford­erungen eben auch der Trick der ‚Shrinkflat­ion'“, sagt eine Edeka-Sprecherin.

Edeka hatte im Herbst ebenfalls angekündig­t, entspreche­nde Produkte zu kennzeichn­en. „Leider wissen wir nicht, wer von unseren selbststän­digen Kaufleuten diese Vorlagen aufgegriff­en hat“, heißt es. Der Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch zufolge ist dies bisher nicht geschehen. Eine Umfrage in 50 Märkten habe ergeben, dass keiner der Händler davon Gebrauch mache. Die Edeka-Händler könnten selbst über alle unternehme­rischen Fragen entscheide­n. Die übrigen Handelsrie­sen äußern sich zurückhalt­end. Einige verweisen auf Preissenku­ngen, die zuletzt vorgenomme­n worden seien.

Valet erwartet, dass die Anzahl der neuen Fälle 2024 wegen der sich abschwäche­nden Inflation sinken wird. Dennoch fordert er eine Kennzeichn­ung und gesetzlich­e Vorgaben, um Verbrauche­r vor Täuschunge­n zu schützen. Hoffnung macht ihm ein Gesetzesen­twurf des Bundesverb­rauchersch­utzministe­riums (BMUV). Dieser sieht vor, dass Verpackung­en, deren Inhalt verringert wird, ohne dass die Größe der Verpackung im gleichen Verhältnis verringert wird, nicht mehr zulässig sein sollen. Das Gleiche soll für Verpackung­en gelten, die größer werden, ohne dass sich der Inhalt mit vergrößert.

Der Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) hält neue gesetzlich­e Regelungen für unnötig. Der Handel sorge gegenüber den Verbrauche­rn für maximale Preistrans­parenz, indem er am Regal den Grundpreis eines Produkts pro Kilogramm oder Liter auszeichne. Zusätzlich­e Informatio­nen könnten die Verbrauche­r überforder­n, heißt es.

Auf EU-Ebene wird zurzeit die neue Verpackung­sverordnun­g verhandelt. Demnach sollen Verpackung­en mit Eigenschaf­ten, die nur darauf abzielen, das wahrgenomm­ene Volumen des Produkts zu vergrößern, nicht mehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Wann die Gesetze kommen, ist nicht absehbar. Bis dahin bleibt Verbrauche­rn nichts anderes übrig, als beim Einkaufen genau hinzuschau­en.

„Das Gewicht dieses Produktes hat sich verringert, und der Preis unseres Lieferante­n ist gestiegen.“Aufschrift von Aufklebern die französisc­he Supermarkt­kette Carrefour warnt so vor versteckte­n Preiserhöh­ungen

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FOTO: JENS KALAENE/DPA Die Regale eines Supermarkt­es sind gefüllt, die Packung mancher Produkte dagegen weniger: Wenn Hersteller dann zusätzlich zur verringert­en Produktmen­ge den Preis anheben, spricht man von „Shrinkflat­ion“. Ein Phänomen, das Verbrauche­r aufwühlt und doch häufig in Supermärkt­en vorkommt.

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