Hündin Charlene ist Helene Groß‘ „liebstes Hilfsmittel“
Als Führhündin leistete die Königspudel-Dame jahrelang treue Dienste. Nun ist sie im wohlverdienten Ruhestand.
ORSCHOLZ Helene Groß ist von Geburt an blind. Die Technik erleichtert ihr den Alltag: Ein Gerät verwandelt die Wörter auf dem Computerbildschirm in Blindenschrift, ein anderes verrät ihr die Farbe von Gegenständen. Ihre Mails kann die 67-Jährige abhören, und an der Waschmaschine ertastet sie die Programm-Symbole. Ihr wichtigster Alltagshelfer ist allerdings aus Fleisch und Blut, hat vier Beine und ein Fell. „Sie ist mein liebstes Hilfsmittel“, sagt Groß mit Blick auf ihre treue Begleiterin Charlene. Geduldig lässt sich die elfjährige Königspudel-Dame das Führgeschirr anlegen. Jetzt weiß sie: Ich bin im Dienst.
„Voran!“, sagt Helene Groß. Und schon gehen die beiden los. „Wir sind ein Team“, betont die Rentnerin, die früher bei der Sparkasse arbeitete. Nach einigen Metern bleibt das Tier stehen, um auf einen Bordstein hinzuweisen. „Ja, fein, mein Schatz“, lobt die Halterin. Die Tasche mit den Leckerli vergisst sie bei den Ausflügen nie. 30 bis 40 Hörzeichen versteht die Hündin – von „Such Ampel“bis „Such Tür“. Doch nicht immer darf sie den Befehl auch ausführen. Befindet sich das Duo an der Bahnsteigkante oder vor einem anderen Abgrund, muss das Tier trotz Loslauf-Order stehen bleiben. „Intelligente Gehorsamsverweigerung“nennen das die Führhundeausbilder. Und natürlich darf sich Charlene nicht ablenken lassen von den vielen Gerüchen, die sie unterwegs erschnuppert.
Seit 2014 kaufen die beiden gemeinsam ein, sie gehen zum Arzt und besuchen Freunde. Die Hündin führt Groß über den Zebrastreifen, umkurvt den Mülleimer auf dem Gehweg oder kündigt die erste und die letzte Stufe einer Treppe an. Bei Spaziergängen im Wald bekommt die Hündin Freilauf. Sobald ihr das Führgeschirr ausgezogen wird, weiß Charlene, dass sie mit den Artgenossen herumtoben darf. „Sie ist eine tolle Hündin“, schwärmt
Helene Groß. Immer freundlich zu Mensch und Tier, noch nie habe sie geknurrt. Groß` Kolleginnen von der Strickgruppe sind ihrem Charme ebenso erlegen wie der Drittklässler, der eigentlich Angst vor Hunden hatte, den vierbeinigen Besucher am Ende der Schulstunde aber doch streichelte. Im Mai dann der Schock: Charlene wurden von einem Hund gebissen und musste operiert werden. Seit kurzem ist sie im Ruhestand. Bisher gehörte die Hündin der Krankenkasse, die ihre Ausbildung bezahlt hat. Mit dem Renteneintritt wurde Groß Eigentümerin. Den Lebensabend darf Charlene bei ihrer zweibeinigen Freundin verbringen. „Sie hat so viel für mich getan, jetzt bin ich an der Reihe“, sagt Groß.
Nachfolgerin Nema – ebenfalls ein Pudel – wird zurzeit eingearbeitet: Auch die neue Führhündin hat die blinde Frau bereits ins Herz geschlossen. Charlene ist nicht eifersüchtig. „Die beiden verstehen sich gut und spielen zusammen im Garten“, erzählt Groß. Sie wohnt mit ihrem Lebensgefährten im Mettlacher Ortsteil Orscholz. Den ersten Führhund bekam sie 2006. Seitdem hat sich ihre Lebensqualität verbessert. Sie ist mobiler, traut sich mehr zu. Und kommt viel häufiger mit Menschen ins Gespräch als zu den Zeiten, in denen sie noch mit dem Blindenstock unterwegs war.