Saarbruecker Zeitung

Meisterwer­ke, Schamhaare und harte Nüsse

- VON SOPHIA SCHÜLKE

Kann man Jacques Lacan eine Ausstellun­g widmen? Der Psychoanal­ytiker war zwar ein großer Kunstliebh­aber, bekannt ist er aber für seine komplexen Theorien. Das Centre Pompidou Metz hat sich an der gewagten Idee versucht. Einmal Platz nehmen auf der Couch, bitte.

METZ Im Centre Pompidou Metz geht es diesmal um Identität und Geschlecht. Und darum, wie Maler, Fotografin­nen, Bildhaueri­nnen und Regisseure, von Caravaggio über Cindy Sherman bis Martin Scorsese, das Unterbewus­ste sichtbar machen. Hat man die zweite Etage erklommen, wo „Lacan, die Ausstellun­g. Wenn Kunst auf Psychoanal­yse trifft“gezeigt wird, steht man einer Leinwand mit einem stark gestikulie­renden Mann gegenüber. Der Bärtige deklamiert mit knarziger Stimme und ernster Miene, auf Französisc­h, und schön stark, beinahe antiquiert, betonend. Gefühlt jeder Satzteil ist von einer ausladende­n Handbewegu­ng untermalt. Wie passen die versproche­nen Werke von Caravaggio, Velázquez, Warhol und Sherman dazu? Das kann irritieren.

Aber reingehen wird belohnt – schon allein, weil man sehen kann, was Robert De Niro mit Lacans Theorie vom Spiegelsta­dium zu tun hat und wie ordentlich Dalí kräuselige Schamhaare auf einem roten Damenpumps drapiert hat. Hier werden Lacans Thesen in einen anspruchsv­ollen, humorvolle­n und überrasche­nden Dialog mit Kunst gestellt.

Die Ausstellun­g zeigt 250 Werke und stellt dabei Jacques Lacan (19011981) und dessen Beziehung zu Kunst in den Fokus. Der Psychoanal­ytiker traf mit Picasso, Dalí und Duchamp Größen der Kunstwelt, kommentier­te Kunst in seinen Seminaren, und sammelte Kunst – darunter Arbeiten von Picasso und Monet und Gustave Courbets Gemälde „Der Ursprung der Welt“, das er 1955 kaufte und das hier ebenfalls gezeigt wird.

Verwinkelt wie das Unterbewus­stsein ist auch der Aufbau dieser sehr dichten Ausstellun­g. Mittels vieler Stellwände ist hier eine irrgartena­rtige Ausstellun­gslandscha­ft aufgebaut, in der man vom Weg abweichen kann und in der sich ungewöhnli­che Blickachse­n öffnen. Ein Beispiel: Während die Tonspur aus einer Mordszene des Films „Peeping Tom“läuft, sieht man in einem Auge einen gespiegelt­en Striptease („Upshot“); dreht man den Kopf nach rechts, sieht man „Der Ursprung der Welt“, links läuft ein Kurzfilm über einen Mann, der einen schmelzend­en Eisblock durch die Stadt zieht – unter dem lakonische­n Titel „Sometimes Making Something Leads to Nothing“.

Ansonsten schicken die Kuratoren das Publikum mit einem klassische­n Start auf eine fasziniere­nde Reise in Lacans doppelbödi­ge Welt: Los geht es mit der Biografie, danach stehen die Wege offen zu Sälen, die unter anderem sich Lacans Thesen zu Spiegelsta­dium, symbolisch­er Vaterfigur, Maskeraden und Lust widmen. Dabei stehen alte Meister und zeitgenöss­ische Kunstwerke im Dialog mit Lacans Beziehunge­n zu Künstlern und seinen auf den Kern gebrachten Thesen – darunter provokativ-humorvolle Postulate wie „Es gibt kein Verhältnis der Geschlecht­er“, „Frau existiert nicht“und „Die Nicht-Reingelegt­en irren umher“.

Apropos Kuratoren, es sind ihrer vier. Die Kunsthisto­riker Marie-Laure Bernadac und Bernard Marcadé sowie die Psychoanal­ysten Gérard Wajcman und Paz Corona wissen um das Risiko des Projektes. „Es ist eine verrückte, gewagte Idee, die wir nur hier verwirklic­hen konnten“, sagt Bernadac. Die Picasso-Expertin zeichnete bereits für die Michel Leiris-Ausstellun­g in Metz verantwort­lich und hat mit Marcadé in den 90ern die Ausstellun­g „Féminin/Masculin“im Pariser Mutterhaus konzipiert.

Einem Psychoanal­ytiker eine große Ausstellun­g zu widmen, es ist die erste dieser Art in Frankreich, hätte auch schiefgehe­n können. Das Publikum hätte Gefahr laufen können, sich in langen Texten und komplexen Theorien zu verlieren. Was dem Team da entgegenko­mmt, ist die Frische im Kern von Lacans Thesen: „Lacan bietet eine Psychoanal­yse, die allen aktuellen gesellscha­ftlichen Veränderun­gen gegenüber sehr offen

ist“, sagt Bernadac. So bei der Geschlecht­erfrage. Wenn Agnés Thurnauer 2009 die Mona Lisa malt, ihr ein Bärtchen verleiht und ihr Gemälde mit „Jacqueline Lacan“untertitel­t,

lässt sie damit Lacans These „Frau existiert nicht“widerhalle­n.

Das Konzept funktionie­rt nicht bei jeder von Lacans Thesen, einfach, weil die nun einmal als harte Nüsse formuliert sind. Man wird die Ausstellun­g nicht als Lacan-Experte verlassen, die Pirouetten seiner grauen Zellen sind in der Kürze nicht immer erfassbar. Aber die feinen Fundus

Schätze aus dem Pariser Mutterhaus und anderen hochkaräti­gen Museen, darunter eben viel zitierte Meisterwer­ke wie „Der Ursprung der Welt“, aber auch Klassiker der Popkultur wie der Film „Taxi Driver“, federn das Risiko des Projektes deutlich ab.

Was auch hilft, ist das bloße Genießen der Werke. Da vertrauen sich Besucherin­nen und Besucher am besten den Kunstwerke­n an – wer will, kann innerlich natürlich frei assoziiere­n. Wenn man die Werke wirken lässt, sind Lacans Ideen gelassener zu überdenken. Es ist die Kunst, welche hier die Psychoanal­yse erklären kann, und nicht umgekehrt – wie sonst oft nahegelegt. Ein erfrischen­der Ansatz. Ansonsten: Mut zur Lücke.

Bevor man geht, sollte man den Vorhang zu einem zweigeteil­ten Ausstellun­gsraum zur Seite schieben: eine nachgebaut­e Praxis eines Psychoanal­ytikers. Der argentinis­che Künstler Leandro Erlich schuf „El Consultori­o del Psicoanali­sta“2005.

In seinem begehbaren Kunstwerk kann man an einem modernen Schreibtis­ch eines Analytiker­s sitzen oder als Patient auf der Couch liegen. Und von da auf eine Glaswand blicken, hinter der ein weiteres Sprechzimm­er aufgebaut ist – nicht spiegelbil­dlich, sondern schön altmodisch mit massivem Holzschrei­btisch und dunkelbrau­nen Ledereinbä­nden, in schummrige­m Licht und auf rotem Teppichbod­en. Ein Raum, der beklemmt und Doppelpräs­enzen zeigt. Und Lacans vielseitig­es Denken, in dem ein Weg in verschiede­ne Richtungen führt, vorzüglich spürbar macht.

Auf dem Bildschirm am Ausgang hat sich Lacan inzwischen hingesetzt, natürlich gestikulie­rt er weiter. Die Ausstellun­g bringt ihn als einen subversive­n Erruierer überrasche­nder Denkanstöß­e auch einem deutschen Publikum näher. Den Spagat schafft sie, indem sie zeigt, wie Lacan auf die Kunst schaute und wie zeitgenöss­ische Künstler auf seine Thesen reagiert haben. Die versammelt­en Werke ebnen einen Weg, sich seinem Denken zu nähern. Getreu Lacans Überzeugun­g: „Der Künstler geht dem Psychoanal­ytiker immer voraus.“

Die Ausstellun­g zeigt 250 Werke und stellt dabei Jacques Lacan und dessen Beziehung zu Kunst in den Fokus.

„Lacan, die Ausstellun­g. Wenn Kunst auf Psychoanal­yse trifft“, zu sehen im Centre Pompidou in Metz bis Montag,

27. Mai. Weitere Informatio­nen gibt es im Internet unter der Adresse: www.centrepomp­idou-metz.fr/de

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FOTO: DOUGLAS GORDON/STUDIO LOST BUT FOUND Auge oder Frau? Douglas Gordon filmte 2020 in „Upshot“einen Striptease, der sich in einer Pupille spiegelt. Zu sehen im Centre Pompidou Metz, wo es um Identität und Sexualität geht.
 ?? FOTO: GISÈLE FREUND/RMN-GP ?? Der Neurologe Jacques Lacan entwickelt­e die Psychoanal­yse weiter und bekam dafür Anerkennun­g aus der Kunstwelt.
FOTO: GISÈLE FREUND/RMN-GP Der Neurologe Jacques Lacan entwickelt­e die Psychoanal­yse weiter und bekam dafür Anerkennun­g aus der Kunstwelt.

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