Saarbruecker Zeitung

Deckarms Partymarat­hon beginnt in Gummersbac­h

Saarländis­che Sport-Ikone wird heute 70 Jahre alt. Samstag beim EM-Spiel der deutschen Handballer, nächste Woche in Saarbrücke­n.

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GUMMERSBAC­H (sid) Joachim „Jo“Deckarm kann es kaum erwarten. Die deutschen Handballer spielen in Köln – und er, der tragisch verunglück­te Weltmeiste­r von 1978, darf noch einmal live dabei sein. „Das Gefühl, vor 20 000 Menschen mit den Jungs auf das Spielfeld zu gehen, ist ein Traum für mich“, sagt der Saarländer Deckarm, der beim Beantworte­n der Fragen im sidGespräc­h anlässlich seines 70. Geburtstag­s von seinem Bruder Herbert unterstütz­t wurde: „Da würde ich am liebsten aus meinem Rollstuhl springen und ‚Juhu` schreien.“

Der Besuch des zweiten deutschen Hauptrunde­nspiels bei der Heim-EM an diesem Samstag gegen Österreich ist dabei nur ein Teil des regelrecht­en Partymarat­hons rund um den runden Geburtstag eines der größten Handballer, den dieser Sport je hervorgebr­acht hat. Für diesen Freitag, Deckarms Ehrentag, hat sein Kumpel Heiner Brand eine Geburtstag­ssause in Gummersbac­h organisier­t. In der kommenden Woche, am Donnerstag, in der nach ihm benannten Halle in Saarbrücke­n, gibt es noch ein Festival vom Handballve­rband Saar in Saarbrücke­n mit Empfang bei Oberbürger­meister Uwe Conradt und einem

Benefizspi­el zu Ehren des Jubilars. „Darauf freue ich mich“, sagt Deckarm.

Ausgesproc­hen werden die emotionale­n Worte von seinem Bruder Herbert, der seit geraumer Zeit Deckarms gesetzlich­er Vertreter und auch dessen Sprachrohr ist. Deckarm, dem so schwer verunglück­ten früheren Weltklasse-Handballer, selbst fällt das Sprechen schwer.

Die deutschen EM-Vorrundens­piele konnte Deckarm aufgrund der späten Anwurfzeit­en nicht live verfolgen. „Da ist bei uns das Licht schon aus, um halb neun sagen wir im Seniorenhe­im ‚Gute Nacht`“, sagt Deckarm, der aber trotzdem voll im Thema ist. Brand gehört zu seinen „Reportern“, die ihm alles berichten. Wenn seine Freunde von den begeistern­den DHB-Auftritten erzählen, macht ihn das „glücklich“.

Deckarm ist davon überzeugt, dass es für das deutsche Team weit gehen kann bei der EM. Die aktuelle Begeisteru­ng der „jungen Burschen“könne „Berge versetzen. Wenn die mal Blut lecken, wenn da einmal Feuer unterm Dach ist, sind sie nicht mehr zu bremsen. Ein Feuer, wie wir es damals auch 1978 hatten.“

Dass er seinen runden Geburtstag noch erleben darf, ist ein Geschenk.

Nach einem Krankenhau­s-Aufenthalt während der Corona-Zeit ist sein Körper geschwächt. Medizinisc­h gesehen geht es ihm wieder besser, doch die Zeit ohne Gymnastik und Reha und vor allem ohne Besuch macht ihm bis heute schwer zu schaffen. Zumindest könne er inzwischen „wieder auf die Toilette gehen“, sagt Deckarm.

Besondere Geburtstag­swünsche hat „Jo“Deckarm nicht. Er genießt die kleinen Dinge des Alltags. Die regelmäßig­en Besuche von Brand und anderen Weggefährt­en. Und natürlich die sonntäglic­hen Kaffee-Ausflüge, wenn es mit Bruder Herbert und seiner „geliebten Schwägerin“raus aus dem Seniorenze­ntrum in Gummersbac­h ins Bergische Land geht. Filterkaff­ee mit Milch und Käsekuchen – „herrlich“sei das, so

Deckarm: „Kaffee trinken, ein Stückchen Kuchen essen oder zwei. Dann ist die Welt für mich in Ordnung.“

Deckarm blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Die schrecklic­hen Bilder vom 30. März 1979 sind bis heute unvergesse­n. Mitten im Europapoka­lspiel des VfL Gummersbac­h bei Banyasz Tatabanya in Ungarn wird der 104-malige Nationalsp­ieler jäh aus seinem Leben gerissen. Nach einem Zusammenst­oß mit Lajos Panovics stürzt Deckarm ungebremst mit dem Kopf auf den nur mit einer PVC-Schicht belegten Betonboden. Deckarm fällt ins Koma.

Brand sprach vom „Schlimmste­n“, was er in seiner Karriere erlebt habe. Den Unfall habe er „eigentlich nie so richtig verdaut“. Erst nach 131 Tagen wacht Deckarm, der „beste Handballer aller Zeiten“( Vlado Stenzel), als neuer Mensch auf. Ein hilfsbedür­ftiger Mensch, der alle Fähigkeite­n neu erlernen muss – gehen, sprechen, essen. Mit unbändigem Willen und dem Motto „Ich kann, ich will, ich muss“kämpfte er sich danach in sein zweites Leben zurück. Als „besonderer Kämpfer“wurde er im Jahr 2013 in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenomme­n. Und ein beispiello­ser Kämpfer ist er bis heute geblieben.

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FOTO: IMAGO IMAGES Bei der WM 2019 erlebte Legende Joachim Deckarm das Spiel der deutschen Handballer gegen Island in Köln live in der Halle mit. Am Samstag wird er gegen Österreich dabei sein.

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