Saarbruecker Zeitung

„Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen“

Der Bundesarbe­itsministe­r wirbt für eine stete Unterstütz­ung der Ukraine, bewertet die AfD als Risiko für Deutschlan­d und sagt, dass sich Arbeit lohnt.

- Produktion dieser Seite: Markus Renz, Martin Wittenmeie­r DIE FRAGEN STELLTEN BIRGIT MARSCHALL UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N.

Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil hat lange zum Zustand der Regierung geschwiege­n, doch jetzt findet er in seinem ersten Interview des Jahres deutliche Worte. Der SPD-Politiker über die Aussichten bei der Rente, das Bürgergeld, und die wesentlich­en Aufgaben der Regierung bis zum Ende der Legislatur.

Herr Heil, das Jahr beginnt überaus unruhig, die Bauern und weitere Berufsgrup­pen sind auf der Straße. Wie erklären Sie sich diese große Unzufriede­nheit?

HEIL Die Gesellscha­ft ist in den letzten Jahren stark unter Druck geraten. Der russische Angriffskr­ieg hat zu hoher Inflation geführt, die viele Menschen belastet. Und der Bundespräs­ident hat Recht: Die Regierung gab in den letzten Monaten öffentlich keine gute Figur ab. Das ärgert mich, weil wir vieles richtig gemacht haben: Wir haben zwei Winter lang Gas-Notlagen verhindert, wir haben den Mindestloh­n erhöht und ein Riesen-Paket zur Fachkräfte­sicherung verabschie­det. All das ist in den Hintergrun­d getreten, weil sich einzelne in der Koalition kleinteili­g um sich selbst gedreht und sich öffentlich beharkt haben. Ich will, dass das jetzt besser wird, wenn wir den Haushalt verabschie­det haben. Dass

wir uns dann auf die wesentlich­en Aufgaben konzentrie­ren, um den Menschen wieder mehr Sicherheit zu geben.

Was sind denn die wesentlich­en Aufgaben der Regierung in der übrigen Legislatur­periode?

HEIL Ganz wichtig ist, dass wir die Ukraine weiterhin im Krieg gegen Russland unterstütz­en. Deutschlan­d leistet viel, jetzt gilt es auch unsere europäisch­en Partner zu mehr Engagement zu bewegen. Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen. Zweitens müssen wir die wirtschaft­liche Modernisie­rung vorantreib­en, damit Deutschlan­d ein starkes Land bleibt. Drittens müssen wir weiter Politik für die arbeitende­n Menschen machen. Deshalb sorgen wir jetzt mit einem Tariftreue­gesetz für mehr Tariflöhne und wir stabilisie­ren die Rente langfristi­g. Viertens müssen wir unsere

Demokratie gegen Feinde verteidige­n, die mit Hass und Hetze das Land spalten wollen. Ich bin froh, dass gegen die widerliche­n Vertreibun­gs- und Deportatio­nsfantasie­n von Neonazis in dieser Gesellscha­ft jetzt ein Aufwachen stattfinde­t. Die vernünftig­e Mehrheit der Bundesbürg­er wird lauter.

Was für ein Signal geht von dem AfD-Höhenflug aus – nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland?

HEIL Als Demokraten werden wir nicht zulassen, dass Rechtsradi­kale unsere Demokratie kaputt machen. Wer versucht Bürgerinne­n und Bürger mit Einwanderu­ngsgeschic­hte Angst zu machen, muss auf den klaren Widerstand der Anständige­n treffen. Jedem muss klar sein, was die AfD ist: Ein Standortri­siko, eine Partei, die nicht nur unsere Demokratie angreift, sondern unserem Land auch wirtschaft­lich und sozial schadet. Qualifizie­rte Fachkräfte, die wir für Deutschlan­d dringend gewinnen müssen, werden nur dann kommen, wenn sie sicher sein können, dass sie hier nicht ausgegrenz­t oder gar bedroht werden.

Der Finanzmini­ster hat angekündig­t, dass es in dieser Legislatur­periode kein Klimageld geben wird. Ist das eine Botschaft in Ihrem Sinne?

HEIL Klar ist, dass wir einen sozialen Ausgleich für die notwendige Klimaschut­zpolitik brauchen.

…und warum kommt es nicht schon 2025?

HEIL Offensicht­lich sieht der Finanzmini­ster derzeit die finanziell­en Spielräume nicht. Es muss schnell entschiede­n werden, wie wir sozialen Ausgleich für Menschen mit unterem und mittlerem Einkommen schaffen, wenn der CO2-Preis deutlich steigt. Ich setze auf soziale Klimapolit­ik.

Beim Bürgergeld wollen Sie Sanktionen wieder einführen, die die Ampel zuvor nahezu abgeschaff­t hatte. Warum diese Kehrtwende?

HEIL Beim Bürgergeld geht es darum, Menschen in Arbeit zu bringen. Dabei setzen wir auf Weiterbild­ung und gute Betreuung bei der Arbeitssuc­he. Aber wer wiederholt Arbeitsang­ebote ausschlägt, wird die Konsequenz­en spüren. Das ist eine sehr kleine Gruppe, die nicht das gesamte System in Verruf bringen darf. Keinen Beitrag zur Lösung leisten allerdings Konservati­ve wie Jens Spahn, die alle Bürgergeld-Empfänger unter den Generalver­dacht stellen, faul zu sein. Das ist grundfalsc­h. Wir reden hier auch über Menschen mit chronische­n Erkrankung­en oder Alleinerzi­ehende, die auf Unterstütz­ung angewiesen sind.

Eine Studie des Ifo-Instituts hat ergeben, dass der Lohnabstan­d in

bestimmten Fällen zwischen Selbstverd­ientem und Bürgergeld sehr gering ist. Wann wollen Sie für mehr Lohnabstan­d sorgen?

HEIL Arbeit macht nach wie vor einen Unterschie­d, das hat das Ifo-Institut bestätigt. Seit 2015 ist der Mindestloh­n stärker gestiegen als die Grundsiche­rung. Wir brauchen mehr gute Arbeit, die nach Tariflöhne­n bezahlt wird, das erhöht den Lohnabstan­d wirksam.

Wenn der Haushalt Anfang Februar verabschie­det ist, kommt dann endlich das Rentenpake­t II?

HEIL Ja, das ist in der Koalition fest vereinbart. Der Gesetzentw­urf liegt vor und soll nach dem Haushaltsb­eschluss zügig auf den Weg kommen. Wir stabilisie­ren die Rente und sichern das Rentennive­au ab. Das ist eine Frage der Leistungsg­erechtigke­it, denn es profitiere­n die Menschen, die heute arbeiten und fleißig sind.

Aber das müssen die Leistungst­räger bezahlen, denen Sie zusätzlich­e Belastunge­n doch gerade nicht zumuten wollen.

HEIL Damit die Beiträge nicht so schnell steigen, müssen wir weiter für hohe Beschäftig­ung sorgen. Auch künftige Rentnerinn­en und Rentner – und das sind ja die heutigen Leistungst­räger – müssen die Sicherheit haben, dass sie später noch eine ordentlich­e Rente bekommen. Ohne unser Gesetz würde das Rentennive­au schon in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts absacken.

Welchen Ausblick können Sie für 2024 den Rentnerinn­en und Rentnern geben?

HEIL Genaue Zahlen liegen im März vor, aber der Rentenvers­icherungsb­ericht geht davon aus, dass in diesem Jahr die Rentenerhö­hung wieder über der Inflations­rate liegen wird.

Die Antragszah­len bei der Rente mit 63 liegen weiterhin deutlich über der Prognose der Regierung. Warum schaffen Sie sie nicht ab?

HEIL Es gibt gar keine Rente mit 63 mehr, das Eintrittsa­lter für besonders langjährig Versichert­e liegt bei über 64 und wird auf 65 Jahre steigen. Und wer 45 Jahre lang gearbeitet hat, hat dann ein Recht darauf, früher abschlagsf­rei in Rente zu gehen. Eine Rente mit 70, wie es viele Konservati­ve wollen, wird es mit mir nicht geben. Das wäre eine Verschlech­terung für alle jüngeren, die nach den Babyboomer­n geboren sind und heute mit ihren Beiträgen die Rente finanziere­n. Viel wichtiger ist, dass wir die Beschäftig­ungsquote der 60bis 64-Jährigen deutlich gesteigert haben.

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FOTO: IMAGO IMAGES Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) setzt auf eine soziale Klimapolit­ik in Deutschlan­d.

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