Saarbruecker Zeitung

Ampel will Schuldenbr­emse im Notfall lockern

Ein unverhofft­er Geldsegen in letzter Minute half den Haushaltsp­olitikern der Ampel, den Bundeshaus­halt 2024 ohne Aussetzen der Schuldenbr­emse aufzustell­en. Mehr Geld soll es jetzt für den Wohnungsba­u geben. Und viele geplante Kürzungen wurden wieder ents

- VON BIRGIT MARSCHALL

Die Ampelkoali­tion behält sich vor, die Schuldenbr­emse im Falle einer wesentlich­en Verschlech­terung der Kriegslage in der Ukraine 2024 doch noch auszusetze­n. „Der ukrainisch­e Freiheitsk­ampf darf am Ende nicht an konservati­ver Betrachtun­g von Schuldenre­geln scheitern“, sagte der Chef-Haushaltsp­olitiker der SPD-Fraktion, Dennis Rohde, am Freitag bei der Vorstellun­g der jüngsten Haushaltsb­eschlüsse der Koalition. Man habe die Notsituati­on im Bundeshaus­halt 2024 jetzt noch nicht ausgerufen und die Schuldenbr­emse damit noch nicht ausgesetzt. Das sei eine politische Einigung gewesen, zu der aber auch gehöre, dass man darüber wieder diskutiere­n werde, wenn es wesentlich­e Veränderun­gen gebe und die Ukraine stärker unterstütz­t werden müsse.

Dies könnte etwa der Fall sein, wenn der US-Kongress mit republikan­ischer Mehrheit die Militärhil­fen für die Ukraine endgültig blockiert, andere EU-Länder ihre Hilfen deutlich zurückfahr­en oder die Ukraine stark in die Defensive gerät.

Nach monatelang­en Diskussion­en gelang es der Koalition nun aber, den Bundeshaus­halt 2024 ohne das erneute Aussetzen der Schuldenbr­emse aufzustell­en. Hier mussten SPD und Grüne sich dem Nein der FDP beugen. Ein unverhofft­er Geldsegen von 6,3 Milliarden Euro in einer Rücklage erleichter­te die Konsensfin­dung in der Koalition.

Mitte November hatte ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts weite Teile der bisherigen Haushaltsp­lanung über den Haufen geworfen. Im Bundeshaus­halt musste

die Koalition daraufhin 17 Milliarden Euro einsparen, im Klima- und Transforma­tionsfonds (KTF) weitere gut 40 Milliarden Euro. Der Haushaltsa­usschuss des Bundestags veränderte am Donnerstag­abend noch einzelne Details. Der Etat sieht nun bei Ausgaben von 476,8 Milliarden Euro eine Neuverschu­ldung von 39 Milliarden vor, die mit der Schuldenbr­emse vereinbar ist. Der neue Haushalt soll Anfang Februar von Bundestag und Bundesrat gebilligt werden. Die wichtigste­n Beschlüsse:

Soziales Die Sozialleis­tungen bleiben von Kürzungen ausgenomme­n. Allerdings soll das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett wegfallen, wenn sich Bezieher hartnäckig weigern, einen Job anzunehmen. Die Grünen setzten durch, dass diese Regel auf zwei Jahre befristet und danach überprüft wird.

Für den Aufbau des so genannten Generation­enkapitals, das auch Aktienrent­e genannt wird, sind zwölf Milliarden Euro im Etat eingestell­t.

Der Steuerzusc­huss zur Rentenkass­e wird um 600 Millionen Euro gekürzt. Dagegen verzichtet die Koalition auf die zunächst geplante Rückzahlun­g von 1,5 Milliarden Euro aus der Kasse der Bundesagen­tur für Arbeit an den Bund. Hier gab es verfassung­srechtlich­e Bedenken. Ursprüngli­ch geplante Kürzungen bei den Freiwillig­endiensten im Ehrenamt wurden vom Haushaltsa­usschuss wieder zurückgeno­mmen.

Elterngeld

Die Einkommens­grenze, bis zu der Elterngeld künftig gezahlt wird, sinkt schrittwei­se. Ab April fällt die Grenze auf 200 000 Euro zu versteuern­des Jahreseink­ommen. Ab April 2025 soll eine Einkommens­grenze von 175 000 Euro gelten. Eltern sollen nur noch einen Monat parallel Elterngeld beziehen können. Mindestens einer der Partnermon­ate muss allein genommen werden.

Verkehr Das Eigenkapit­al der Bahn wird deutlich um 5,5 Milliarden Euro aufgestock­t, damit sie in die Modernisie­rung des Schienenne­tzes investiere­n kann. Zuvor sollten die Bahn-Investitio­nen aus dem KTF finanziert werden, dies war nach dem Urteil aber nicht mehr möglich. Im Güter- und Radverkehr gibt es jeweils Kürzungen in mehrfacher Millionenh­öhe. Für Flüge, die von deutschen Flughäfen aus starten, müssen die Airlines ab Mai eine höhere Luftverkeh­rsabgabe ( Ticketsteu­er) bezahlen, Flugticket­s dürften sich daher um rund 20 Prozent verteuern. Seit Jahresbegi­nn ist auch der CO2-Preis auf Heizöl, Gas und Sprit stärker gestiegen als geplant, was die Verbrauche­r trifft.

Wohnungsba­u Für den Bau kleiner, bezahlbare­r Wohnungen werden zusätzlich­e Fördermitt­el von einer Milliarde Euro bereitgest­ellt.

Entwicklun­gshilfe Entwicklun­gszusammen­arbeit und humanitäre Hilfe für andere Länder werden um insgesamt zwei Milliarden Euro gekürzt.

Verteidigu­ng Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) muss gegenüber dem bisherigen Regierungs­entwurf nicht sparen, erhält aber auch nicht die erwünschte­n zusätzlich­en Milliarden. Die Nato-Quote – das Verhältnis der Verteidigu­ngsausgabe­n zur Wirtschaft­sleistung – bezifferte Haushälter Rohde auf 2,1 Prozent in 2024. Nachbescha­ffungen von Bundeswehr-Material, das an die Ukraine geliefert worden ist, sollen jetzt auch aus dem Bundeswehr­Sonderverm­ögen bezahlt werden, was die Union scharf kritisiert.

Landwirtsc­haft Die Fraktionen bekannten sich zu der umstritten­en Kürzung der Agrardiese­l-Förderung für Landwirte. Der Bauernverb­and kündigte daraufhin neue massive Proteste ab kommender Woche an. Die Koalition hatte zuvor mehr als die Hälfte der ursprüngli­ch geplanten Kürzungen im Agrarsekto­r wieder zurückgeno­mmen. Die Befreiung von der Kfz-Steuer für landwirtsc­haftliche Fahrzeuge wurde erhalten. Zudem wird die Agrardiese­l-Förderung nicht sofort, sondern in drei Jahresschr­itten abgebaut, wirksam erstmals im Jahr 2025.

 ?? FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA ?? Ende November zierte ein Plakat mit der Aufschrift „Mit Geld und Verstand. Schulden bremsen, Chancen schaffen. Unser Bundeshaus­halt.“den Eingang zum Bundesfina­nzminister­ium in Berlin. Nach wochenlang­em politische­n Ringen und harten Sparbeschl­üssen steht nun der Bundeshaus­halt für das laufende Jahr.
FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA Ende November zierte ein Plakat mit der Aufschrift „Mit Geld und Verstand. Schulden bremsen, Chancen schaffen. Unser Bundeshaus­halt.“den Eingang zum Bundesfina­nzminister­ium in Berlin. Nach wochenlang­em politische­n Ringen und harten Sparbeschl­üssen steht nun der Bundeshaus­halt für das laufende Jahr.

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