Saarbruecker Zeitung

Debatte um AfD-Verbot ist fragwürdig und gefährlich

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Die freiheitli­ch demokratis­che Grundordnu­ng ist nichts Selbstvers­tändliches. Werte des Grundgeset­zes müssen gelebt und verteidigt werden. Die bundesweit­en Demonstrat­ionen gegen Rechtsextr­emismus sind Ausdruck einer lebendigen, streitbare­n und auch wehrhaften Demokratie. Forderunge­n nach einem AfD-Verbot oder einem Entzug der Grundrecht­e für Björn Höcke erscheinen vielen nach den Enthüllung­en zu einem Treffen von Rechtsradi­kalen mit AfD-Vertretern in Potsdam als logische Konsequenz. Parteiverb­ot und Grundrecht­sentzug sind aber fragwürdig und riskant. Schon die ausufernde Debatte zum Parteiverb­otsverfahr­en ist gefährlich – gerade im Vorfeld der Europawahl und der Landtagswa­hlen in Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g, wo die AfD in Umfragen weit vorne liegt. Ist doch das Risiko groß, dass das Gegenteil von dem erreicht wird, was die Befürworte­r eines Parteiverb­ots beabsichti­gen und die AfD durch die hohe Aufmerksam­keit noch mehr Zuspruch und Stimmen erzielt. Der Solidarisi­erungseffe­kt von AfD-Sympathisa­nten mit der Partei sollte nicht unterschät­zt werden. Verfängt bei ihnen doch erkennbar die Erzählung, dass sich etablierte Parteien auf diesem Weg eines gerade erfolgreic­hen Wettbewerb­ers entledigen wollen. Dabei haben die Debatten gar kein solides Fundament. Ein Parteiverb­otsverfahr­en vor dem Bundesverf­assungsger­icht kann mehrere Jahre dauern und ein Erfolg erscheint fraglich, da die Hürden aus guten Gründen hoch sind.

Ein Parteiverb­ot ist in der Regel die Waffe der Diktatoren und nicht die der Demokraten. Bei einem Entzug der Grundrecht­e sieht es kaum anders aus. Viele wählen die AfD auch nicht wegen Höcke, sondern trotz Höcke. Dass drei AfD-Landesverb­ände als gesichert rechtsextr­emistisch eingestuft wurden, reicht jedenfalls weder für ein Parteiverb­ot noch für einen Entzug von Grundrecht­en. Seit der Bundestags­wahl 2021 profitiert die AfD von der Schwäche und den handwerkli­chen Fehlern der Ampel aus SPD, Grünen und FDP – vor allem in der Migrations-, Haushalts- und Klimapolit­ik. Die Ampel hat in diesen wichtigen Politikfel­dern zu viel versproche­n, zu wenig gehalten, zu häufig gestritten, zu oft die falschen Anreize gesetzt und vor allem viele Menschen nicht mitgenomme­n. Die Unzufriede­nheit und Enttäuschu­ng darüber treibt Wähler zur AfD. Bei der Bundestags­wahl 2021 erzielte sie 10,3 Prozent. Heute liegt sie bei bundesweit­en Umfragen deutlich über 20 Prozent. Die Ampelparte­ien hingegen haben rund 20 Prozentpun­kte verloren und sind weit von einer Mehrheit entfernt. Auch CDU/CSU und erst recht der zerstritte­nen Linken fehlen schlüssige Konzepte. Ihr Spagat zwischen Ausgrenzun­g und Anbiederun­g funktionie­rt nicht. Die AfD profitiert aktuell deutlich stärker von der Schwäche der Bundesregi­erung als die größte Opposition­spartei. Um die zur AfD abgewander­ten Wähler müssen die anderen Parteien kämpfen. Eine nachvollzi­ehbare und gut vermittelt­e Politik, deren Nutzen für möglichst viele erkennbar ist, könnte dabei helfen. Die ganze Gesellscha­ft ist in der Pflicht, wenn Menschen das demokratis­che Spektrum verlassen. Hier kann auch jeder Einzelne reagieren, wenn er erste Anzeichen in seinem Umfeld wahrnimmt.

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