Lieferkettengesetz der EU steht vor dem Scheitern
Kanzleramt, Arbeits-, Wirtschafts- und Justizministerium wollen sich am Freitag auf das Votum zum EU-Lieferkettengesetz verständigen. Doch die FDP steht auf der Bremse.
Seit dem Wirbel um das Aus für Verbrenner gelten in der EU neue Regeln. War zuvor klar, dass eine Verständigung auf ein neues EU-Gesetz zwischen Parlament, Rat und Kommission automatisch die formale nochmalige Zustimmung durch die Parlamentarier und die Ministerien nach sich zieht, machte Deutschlands Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP klar, dass sich auch hier noch einmal der Hebel ansetzen lässt, um Nachverhandlungen zu erzwingen. Nun wiederholt sich das schlagzeilenträchtige Schauspiel beim neuen Lieferkettengesetz der EU.
Zwar wollten Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) am Freitagabend noch einen Versuch unternehmen, sich auf eine gemeinsame Position der deutschen Bundesregierung zu verständigen. Doch die FDP hatte bereits Anfang der Woche ein Nein beschlossen. Für diesen Fall legt der Koalitionsvertrag fest, dass sich Deutschland auf EU-Ebene zu enthalten hat. Das passiert seit Amtsantritt der häufig uneinigen Ampel so oft, dass in Brüssel schon vom „German Vote“, also der Enthaltung als deutscher Stimme, gesprochen wird.
In der Regel bedeutet das Ausscheren eines einzelnen Mitgliedslandes keine Gefährdung eines Gesetzesprojektes. So war es auch beim Verbrenner-Aus, bei dem Wissing fälschlicherweise öffentlich ein „Veto“zugesprochen worden war. Erst mit weiteren nicht zustimmenden Ländern entsteht eine Blockade-Minderheit. Und das kann nun auch für das Lieferkettengesetz das Scheitern bringen, denn unmittelbar nach der Entscheidung im sogenannten Trilog hatten bereits Frankreich, Italien, Spanien und die Slowakei ihren Widerstand angekündigt. Formal angemeldet haben sie ihn noch nicht, denn im Dezember gab es zum Lieferkettengesetz lediglich eine politische Grundsatzeinigung, eine Reihe technischer Details wird erst in der nächsten Woche erwartet.
Gleichwohl gilt bereits als geeint unter anderem die Regelung, dass alle Unternehmen in Europa ab 500 Mitarbeitern von den Auflagen betroffen sein sollen. Das Anfang letzten Jahres in Deutschland in Kraft getretene nationale Lieferkettengesetz galt zunächst nur für alle Betriebe in Deutschland ab 3000 Mitarbeitern und hat die Schwelle auf lediglich tausend Beschäftigte gesenkt. Die Zahl der betroffenen Firmen wird durch die EU also immens erweitert und trifft damit den Mittelstand mit voller Wucht.
Auch kleinere Unternehmen, die ausschließlich in Deutschland ihre Dienste anbieten, werden damit verantwortlich für alles, was auf dem Weg der von ihnen verkauften, verwendeten oder verarbeiteten Produkte geschieht. Wenn irgendein Zulieferer in Afrika oder Asien die Arbeitsbedingungen oder den Klimaschutz nicht einhält, werden sie in Deutschland dafür haftbar gemacht. Es drohen Strafen bis zur Höhe von fünf Prozent des Jahresumsatzes, und die EU will von Gesetzesverstößen irgendwo auf der Welt betroffenen Menschen ein Klagerecht gegen die Firmen in Europa einräumen, wenn diese nicht dafür gesorgt haben, dass die Missstände abgestellt werden. Erst fünf Jahre nach dem Zeitpunkt des erlittenen Unrechts tritt eine Verjährung ein. Selbst Unternehmen in Staaten außerhalb der EU will das Gesetz in die Pflicht nehmen, wenn sie in der EU größere Geschäfte machen.
„Wenn Deutschland sich bei der Abstimmung im Rat enthielte, wäre das nicht nur schlecht für Menschenrechte entlang von Lieferketten weltweit. Es würde auch Deutschlands Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit infrage stellen“, warnte Frank Werneke, der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft.
Kleinere Unternehmen, die nur in Deutschland ihre Dienste anbieten, werden verantwortlich für alles, was auf dem Weg der von ihnen verkauften oder verarbeiteten Produkte geschieht.