„Wesentliche Tatbestände wurden übersehen“
Die Fachanwältin erklärt, wie sie den Bebauungsplan für das Gelände, auf dem die SVolt-Batteriefabrik entstehen soll, zu Fall bringen will.
Rund 450 Stellungnahmen sind während der formalen Offenlage der überarbeiteten Pläne für die geplante Ansiedlung des chinesischen Batterieherstellers SVolt auf dem Linslerfeld bei der Gemeinde Überherrn eingegangen. Darunter auch eine 140 Seiten lange Einwendung des BUND Saar. Der Umweltverband erwägt eine Klage. Die Bürgerinitiativen Freunde des Linslerfelds und Friedrichweiler haben dafür Spenden gesammelt. Bis Silvester sind so nach deren Angaben rund 51 000 Euro zusammengekommen. Finanziell steht einer Klage damit wohl nichts mehr im Weg. Zunächst steht aber im Gemeinderat noch der Satzungsbeschluss aus, mit dem formal Baurecht geschaffen würde. Dieser ist laut Gemeinde Überherrn für das erste Quartal vorgesehen. Dr. Franziska Heß ist die Anwältin des BUND Saar. Sie ist Fachanwältin für Verwaltungsrecht und seit vielen Jahren im Umweltrecht tätig. Ihr bekanntester Fall dürfte die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde zum Klimaschutz gewesen sein. Im SZGespräch erläutert sie, worum es im Fall SVolt geht.
Der BUND hat die Möglichkeit, gegen den Bebauungsplan eine sogenannte Normenkontrollklage vor dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (OVG) anzustreben. Was heißt das?
HESS Normenkontrollen sind im Prinzip für alles möglich, was in die Kategorie Pläne fällt. Das können Bauleitpläne, Satzungen, Regionalpläne, all sowas sein. Das Oberverwaltungsgericht des jeweiligen Bundeslandes prüft den gesamten Bebauungsplan sowohl unter formellen als auch inhaltlichen, sogenannten materiellen Gesichtspunkten.
Wann müssen Sie tätig werden, um ein Normenkontrollverfahren anzustoßen?
HESS Binnen eines Jahres ab Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses. Ob man das Jahr abwartet, muss man aber sehen.
Normenkontrollen haben ja keine aufschiebende Wirkung, das heißt, Arbeiten auf dem Linslerfeld könnten theoretisch gleich nach
Satzungsbeschluss beginnen. Die Haselmaus ist dann wohl nicht mehr zu retten, oder?
HESS Es besteht die Möglichkeit eines Eilantrags ans OVG auf einstweilige Außervollzugsetzung des Bebauungsplans. Geht der Eilantrag verloren, heißt das nicht, dass die Normenkontrolle in der Hauptsache nicht erfolgreich wäre. Da geht es nicht um eine vertiefte inhaltliche Prüfung, sondern um Abwägungsfragen: Wie schlimm ist es, wenn jetzt vollzogen wird und später der Bebauungsplan dann aufgehoben wird oder umgekehrt.
Wie lange zieht sich so ein Verfahren hin?
HESS Die Eilverfahren gehen im Regelfall relativ schnell. Wie schnell, hängt von der jeweiligen Arbeitsbelastung der Gerichte ab. Bei der Normenkontrolle in der Hauptsache kann man als grobe Hausnummer zwei bis vier Jahre sagen.
Eine Begründung dafür, wieso kein anderer Standort als das Linslerfeld infrage kommt, war, dass der Bau der Fabrik binnen vier bis fünf Jahren möglich sein sollte...
HESS Wir haben die Alternativenprüfung kritisiert. Bei einem Standort, der noch unbeplant ist, zu sagen, ich nehme den, weil der fix zur Verfügung steht, verkennt ein Stück weit die Planungs- und Rechtschutzrealität, die wir hier in Deutschland haben.
Könnte irgendjemand eine Normenkontrolle stoppen?
HESS Nein. Es ist unproblematisch, dass der BUND Saar als Kläger zulässigerweise eine solche Normenkontrollklage anstreben könnte, wie im Übrigen auch jeder Bürger, der konkret betroffen ist durch den Plan.
Was lässt Sie zu der Überzeugung kommen, dass eine Klage erfolgreich sein könnte?
HESS Die Qualität der Argumente, die wir ausgearbeitet haben. Wenn man sich alleine die Mängel, die in Bezug auf das Wasserrecht vorliegen, anschaut, dann denken wir schon, dass eine Normenkontrollklage bei unveränderter Planung Erfolg haben kann. Ähnlich sieht es mit dem Habitatschutzrecht aus. Wir sehen mehrere erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzgebietes Warndt. Die Maßnahmen, die zur Vermeidung vorgesehen wurden, sind aus unserer Sicht nicht geeignet. Wenn ich die beiden Punkte betrachte, sind wir zuversichtlich.
Der erste Punkt, den Sie als „formellen Fehler“angeführt haben, ist
ein Verstoß gegen das sogenannte „Gebot des fairen Verfahrens“. Da geht es um eine vom BUND beantragte Fristverlängerung zur Einreichung der Stellungnahme. Dem BUND wurde eine Verlängerung zwar gewährt, hätte er sie aber wahrgenommen, wäre das verheerend gewesen. Wieso?
HESS Das ist nicht ganz einfach zu erklären. Im Bebauungsplanverfahren ist nach Paragraf 3, Absatz 2 Baugesetzbuch, die Beteiligung der Öffentlichkeit vorgesehen. Parallel haben wir nach Paragraf 4, Absatz 2, die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange. Umweltverbände wie der BUND sind, zumindest im Saarland, in der Situation, dass sie beides sind. Die genannte Frist wurde bezogen auf 4, Absatz 2, gewährt. Die maßgebliche Frist für die, die später gegebenenfalls eine Normenkontrolle erheben wollen, ist aber die nach 3, Absatz 2. Das heißt, wäre der BUND nicht anwaltlich beraten gewesen und hätte von uns gehört, dass diese Fristverlängerung gar nix hilft, hätte er bei einer späteren Klage möglicherweise ein Problem gehabt.
Der BUND, der jetzt klagen will, hätte also wohl nicht klagen können. War das Taktik der Gemeinde?
HESS Da will ich nicht spekulieren. Wir unterstellen der Gemeinde keine Absicht. Wir zeigen, wie es gestaltet wurde und ob das gezielt oder versehentlich passiert ist, macht rechtlich betrachtet keinen Unterschied.
In den bisherigen Gutachten wurden keine Bedenken etwa bezüglich Flora/Fauna und Verkehr geäußert. Sie wollen einen eigenen Fachgutachter beauftragen. Zweifeln Sie an der Kompetenz der bisherigen Gutachter?
HESS Zur Kompetenz der Gutachter äußern wir uns nicht. Es gibt Vorgaben, wie man beispielsweise das Wasserrecht zu behandeln hat, und es kann jedem Gutachter passieren, dass er etwas übersieht. Nach unserer Prüfung ist es so, dass hier wesentliche Tatbestände übersehen wurden, die zusätzlich im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung und nach Maßgaben der WasserRahmenrichtlinie hätten geprüft werden müssen.
Haben Sie ein Beispiel?
HESS Neben der Trinkwassertransportleitung hätte beispielsweise auch eine Gashochdruckleitung gesondert geprüft werden müssen.
Es fiel in der Vergangenheit oft der Vorwurf, die Gutachter seien „bestellt“. Also so ausgesucht, dass sie sich pro Ansiedlung aussprechen. Das könnte man Ihren Gegengutachtern ja ebenfalls unterstellen.
HESS Das sind Diskussionen, auf die wir uns eigentlich nicht einlassen wollen. Letzten Endes kommt es rechtlich darauf an, ob die jeweiligen Gutachten nach einer geeig
neten Methode erstellt, die getroffenen Annahmen plausibel und die Prognosen, die man daraus ableitet, schlüssig begründet sind oder nicht.
Warum wehrt sich der BUND eigentlich so gegen die Batteriefabrik?
HESS Wir haben nicht gesagt, dass man sowas generell nicht bauen sollte. Es geht um die Wahl des konkreten Standorts und die Tatsache, dass man in einen sehr sensiblen Bereich, nämlich ein Trinkwasserschutzgebiet, hinein möchte. Und da ist der BUND eben der Meinung, dass es andere bessere Standorte gäbe.
Für den Baubeginn der Fabrik bräuchte es noch eine Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). Sie waren damals als Sachverständige im Bundestag geladen. Könnte das noch ein Fallstrick für die Fabrik werden?
HESS Da kann ich im Moment noch relativ wenig dazu sagen, weil wir die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsunterlagen noch nicht kennen. Die ganz konkreten Emissionen und Immissionen der Anlage sind bisher noch nicht Bestandteil des Bebauungsplans und ergeben sich erst im BImSchG-Verfahren.
Könnte der Fall noch an eine höhere Instanz gehen?
HESS Ein Urteil im Normenkontrollverfahren wäre nicht unmittelbar rechtskräftig. Es kommt drauf an, ob das OVG eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zulässt oder nicht.
Wie wahrscheinlich ist das?
HESS Die Revisionszulassung ist kein Automatismus. Das Gericht muss sehr sorgfältig prüfen, ob es Grundsatzfragen gibt, die bisher noch nicht geklärt sind. Wenn Sie jetzt eine Statistik wollen, kann man sagen, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle die Revision nicht zugelassen wird. Dann gibt es die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde.
Sie sind auch privat beim BUND engagiert. Sie sind die stellvertretende Vorsitzende des BUND Sachsen. Woher kommt dieses Engagement?
HESS Engagierter Umwelt-, Naturund Klimaschutz ist aus meiner Sicht das Gebot der Stunde. Das ist der Grund, warum ich mich da auch privat engagiere. Und ich finde persönlich auch gut, dass die Umweltschützer-Seite über sachkundige Personen verfügt. Die Kontrolle der umweltschutzrechtlichen Bestimmungen gegenüber den Behörden ist ausdrückliche Aufgabe der anerkannten Verbände. Ich sehe meine Rolle ein Stück weit darin, dass die Verbände das fachlich und rechtlich mit guten Argumenten tun können. Ich denke, dass wir der Gemeinde Überherrn mit den Einwendungen auch viele gute Hinweise geliefert haben, was man berücksichtigen müsste für so eine Batteriefabrik.
Ihr bekanntester Fall ist sicherlich die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde. Damals haben die Richter das Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt und die Politik aufgefordert nachzubessern. Das ist inzwischen fast drei Jahre her. Hat sich genügend getan seitdem?
HESS Es hat sich natürlich nicht genügend getan. Das kann man auch daran ablesen, dass wir just im November beim Oberverwaltungsgericht Berlin/Brandenburg erfolgreich eine zweite Klimaklage gegen die Bundesregierung führen konnten. Die Regierung wurde dazu verurteilt, Sofortprogramme wegen der Überschreitung der Ziele in den Sektoren Gebäude und Verkehr aufzustellen. Es fehlt nach wie vor an hinreichenden Klimaschutzmaßnahmen, um die Klimaschutzziele erreichen zu können.