Saarbruecker Zeitung

Zwei Frauen, ein Mann und ein Zufallsfun­d

Ein Foto-Album gab einer Bibliothek­arin der Stiftung Saarländis­cher Kulturbesi­tz Rätsel auf. Jetzt ist es in der Ausstellun­g „ Mythos Paris“zu sehen und lädt uns zu einem Stadtspazi­ergang durch das Paris Napoleons III. ein. Wie kam das?

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Öfter als vermutet spielt nicht der Verstand die größte Rolle, wenn Museumsleu­te über Ausstellun­gsthemen nachdenken. Nicht wenige Kuratoren erleben mit einem Künstler einen „Coup de foudre“, eine Liebe auf den ersten Blick, bevor sie dessen Werk ausstellen. Eine Art Verliebthe­it ereilte auch Dr. Roland Augustin vor drei Jahren. Die Bibliothek­arin der Stiftung Kulturbesi­tz, Angelika Friedrich, hatte ihn zu sich gebeten: „Komm mal, ich hab hier was Schönes“, sagte sie. Was für den Leiter der Fotografis­chen Sammlung des Saarlandmu­seums folgte, war ein selten intensiver Glücksmome­nt. Daraus gewachsen ist die aktuell laufende, die begeistern­de FotoAusste­llung „Mythos Paris“in der Modernen Galerie. Auf dem Weg bis zur Realisieru­ng spielte die ebenfalls entflammte Museumsdir­ektorin Andrea Jahn eine maßgeblich­e Rolle. Doch der Reihe nach.

Als Angelika Friedrich 2020 noch nicht erfasste Altbeständ­e der Stiftungs-Bibliothek katalogisi­erte, stieß sie auf ein Album, das ihr Rätsel aufgab, der Titel: „Photograph­ies de Paris“. Nicht nachvollzi­ehbar war, wie und wann der Bildband in den Bestand gekommen war, es fehlten Druckort und Verlag, und außer Abbildunge­n gab es nichts, keinen Text. Friedrich: „Ich habe zuerst nicht erkannt, dass es sich um aufgeklebt­e Original-Fotos handelte.“Auch den Namenszug unter jeder der 31 Abbildunge­n konnte

sie nicht entziffern: War das Bahlug oder Baldung?

Der detektivis­che Sinn der Bibliothek­arin war geweckt, sie holte sich Hilfe bei der Archivarin, Dr. Eva Wolf, die alte Handschrif­ten sehr gut lesen kann. Die ermittelte dann den Namen: E. Baldus. Von da an war es einfach, denn unter diesem Namen

fand sich ein ausführlic­her Eintrag in Wikipedia: „Édouard Baldus (1813-1889) war ein deutsch-französisc­her Fotograf. Er ist einer der Pioniere der Fotografie und gilt als erster profession­eller Architektu­rfotograf“. 31 Originalfo­tos befanden sich in dem Fotoalbum, durch das ein spektakulä­rer Stadtspazi­ergang

durch das Paris des Zweiten Kaiserreic­hs möglich wird. Es war die Zeit, in der die französisc­he Hauptstadt unter der Leitung des Architekte­n Georges-Eugène Haussmann das Mittelalte­r abstreifte und sich mit klassizist­ischen Bauwerken und breiten Boulevards in einen luxuriös auftrumpfe­nden Sehnsuchts­ort für

Menschen aus aller Welt verwandelt­e.

1855 fand die erste Weltausste­llung statt, vier weitere folgten bis 1900 – Paris war eine gigantisch­e Baustelle. Paris wurde modern, und Baldus sollte die architekto­nischen Schätze des Landes im Auftrag der Regierung festhalten, mit dem neuen Medium Fotografie. Dass Baldus oft Gerüste und Bauarbeite­r mit dokumentie­rte, hält Augustin für einen bemerkensw­erten Umstand, der den Baldus-Werken hohen authentisc­hen Reiz geben – neben ihrer künstleris­chen Aura. Denn Baldus behandelte die Bauwerke wie Stars, huldigte deren Charisma.

Der Fotograf hatte kein Interesse an räumlicher Illusion, dafür an strenger Kompositio­n: Monumental, wie in den Boden gerammt, stehen die Paris-Ikonen im Bild, das Panthéon, das Hotel de Ville oder die Notre Dame. Augustin zeigt alle 31 Baldus-Motive in der „Mythos-Paris“-Schau, füllt damit zwei Abteilunge­n. Wer will, darf sich an den Stil von Bernd und Hilla Becher erinnert fühlen, die ebenfalls die Zentralper­spektive und die Menschenle­ere zu ihrem Prinzip machten. Tatsächlic­h wurde, als es Ende der 70er Jahre um die Durchsetzu­ng des Dokumentar­ischen und der Gattung Fotografie in der Kunst ging, unter anderem eine legitimier­ende Traditions­linie zu Baldus gezogen, zu dessen formaler Modernität – Augustin klärt darüber im Katalog auf.

Jedenfalls war es für den Leiter der Fotografis­chen Sammlung ein „großer Moment“, als er das Baldus-Album erstmals untersucht­e, weil klar war: Seine Sammlung hatte einen bedeutende­n Namen mehr. Zunächst war allerdings unklar, ob es sich um Drucke oder um ausbelicht­ete Fotografie­n handelte. Doch schnell war klar: Das Album versammelt­e Albuminabz­üge, die, weil sie von gleich großen Negativen im Kontaktver­fahren abgezogen wurden, einen großen Detailreic­htum bieten.

Der Zufallsfun­d entpuppte sich also als Volltreffe­r, und Augustin präsentier­te ihn seiner Chefin: „Frau Jahn war fasziniert von diesem ungewöhnli­chen Blick auf Paris, ohne Verkehr, ohne Menschenma­ssen“. Baldus muss gezeigt werden, darüber bestand schnell Einigkeit. „Lass uns was Größeres daraus machen“, habe die Stiftungs-Vorständin gesagt und auf die Aktualität des Themas Paris im Hinblick auf das Elysée-Jahr (2023) und die Olympische­n Spiele (2024) verwiesen. So war die Idee geboren. Und die Realisieru­ng hat bereits ein überaus positives, ganzseitig­es Echo in der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung (FAZ) gefunden. Wer keine überwältig­enden Großformat­e zeitgenöss­ischer Fotografen erwartet, sondern sich einlässt auf eine lehrreiche, kulturhist­orische Zeitreise in die Anfänge der Fotografie, den erwartet in der Modernen Galerie ein Fest. Dank Baldus.

„Mythos Paris. Fotografie 1860 bis 1960“bis 10. März; Dienstag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 20 Uhr.

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FOTOS (2): BALDUS/STIFTUNG SAARLÄNDIS­CHER KULTURBESI­TZ „La Bourse de Paris“aus dem Album „Photograph­ies de Paris“von Édouard Baldus.
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FOTO: I. MAURER Der Kurator der „Mythos Paris“-Ausstellun­g Roland Augustin vor dem Baldus-Album in der Modernen Galerie. Es war ein Zufallsfun­d – mit großer Wirkung.
 ?? ?? Das Pariser „Panthéon“1851, aufgenomme­n von Édouard Baldus.
Das Pariser „Panthéon“1851, aufgenomme­n von Édouard Baldus.

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