„Laut gegen antidemokratische Strukturen“
Die Leiterin des Filmfestivals Max Ophüls Preis über das Festival in wirtschaftlich schwierigen und politisch angespannten Zeiten.
Am Montag beginnt das 45. Filmfestival Max Ophüls Preis – in Kinos in Saarbrücken, aber auch in Bous, St. Ingbert, Saarlouis und mit einem Streaming-Angebot. 131 Filme sind in 226 Vorstellungen zu sehen, begleitet von Filmgesprächen in den Kinos, aber auch im Festivalclub „Lolas Bistro“. Wie behauptet sich das Festival gegen die Preissteigerungen? Und was gibt es zu sehen? Wir haben mit Svenja Böttger gesprochen, die das Festival seit dem Jahrgang 2017 leitet.
Das Festival vor einem Jahr haben Sie mit frisch gebrochener Schulter geleitet. Ist es diesmal leichter?
BÖTTGER Letztes Jahr war leider nicht nur die Schulter gebrochen, auch im größten Kino gab es kurz vor Beginn einen Wasserschaden, und wir standen vor der Herausforderung, das erste Mal seit der Pandemie wieder ein Kinofestival im vollen Betrieb und mit erheblichen Preissteigerungen im Budget zu stemmen. Leichter ist vielleicht der falsche Begriff, eher anders und mit sehr viel mehr Freude und einem anderen zeitlichen Vorlauf als im vergangenen Jahr. An meiner Seite habe ich ein engagiertes, wieder großes Team, tolle Kooperationspartnerinnen, sehr wichtige Finanzierungspartner und die Unterstützung der Saarbrückerinnen und Saarbrücker.
Wie geht es dem Ophüls-Festival finanziell, bei Inflation und Preissteigerungen?
BÖTTGER Ich kann tatsächlich das erste Mal seit langem antworten, dass es uns dank der Unterstützung seitens der Stadt, des Landes, der Förderer und Sponsoren im Großen wie im Kleinen aktuell gut geht. Die Kostensteigerungen im vergangenen Jahr waren immens, so um die 35 bis 40 Prozent, und konnten nur dank einiger Förderer und Ministerien, die erhöhten Zuschuss gewährt haben, und durch den Rettungsschirm der Stadt ausgeglichen werden. Es wurde schnell klar, dass die Steigerungen nicht zurückgehen werden, sondern dass der neue Status-Quo hier erreicht war und das Festival eine bessere finanzielle Ausstattung braucht. Daraufhin gab es viele und gute Gespräche zur finanziellen Situation mit der Stadt, aber auch mit dem Land und den weiteren Geldgebern. Es wurde schnell auf städtischer- und Landesebene sehr deutlich, wie wichtig ihnen das Filmfestival in seiner jetzigen Qualität und dem Umfang ist und sie es unbedingt in der jetzigen Form, mit dem Anspruch, dem vielfältigen Filmprogramm und Branchenangebot erhalten wollen.
Wie hoch wird das Budget 2024 sein?
BÖTTGERWir liegen bei etwa anderthalb Millionen Euro. Beim Bund warten wir noch darauf, dass die Haushaltssperre für 2024 aufgehoben wird – der Bundestag hatte entschieden, dass die Festivalzuschüsse der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) verdoppelt werden für alle deutschen Filmfestivals, die einen Zuschuss erhalten. Das ist aber erst rechtskräftig, wenn der Bundeshaushalt abgestimmt ist.
2023 gab es seitens der Stadt Saarbrücken einen Rettungsschirm, den das Festival auch gebraucht hat.
Wie ist das in diesem Jahr?
BÖTTGER Der Stadtratsbeschluss sieht auch in diesem Jahr einen Rettungsschirm vor, dieses Jahr in Höhe von 150 000 Euro, um mögliche Defizite zu decken. Geplant ist auch, dass das Festival diese 150 000 Euro ab 2025 dauerhaft erhält, zusätzlich zum städtischen Zuschuss von 400 000 Euro. Das wären dann 550 000 Euro, ein Drittel des Budgets. Dass sich eine Stadt wie Saarbrücken in solchen Zeiten ganz klar zur Kultur bekennt, ist ein wichtiges Zeichen und freut uns wirklich sehr. Da können wir nur ein herzliches Danke aussprechen.
Was sind finanziell die größten Probleme? BÖTTGER
Preissteigerungen, die uns alle betreffen: Energiekosten, Lebensmittel, Rohstoffpreise aber speziell auch in den Bereichen Gastronomie, Hotellerie, der Veranstaltungsbranche, Dienstleistungen allgemein gehen die Preise stetig nach oben. Auch die Nebenkosten und Mieten für Spielstätten und für Eventlocations beispielsweise steigen. Unsere inhabergeführten Festivalhotels zum Beispiel versuchen aber, die Kosten für uns so gering wie möglich zu erhöhen, sie sind sehr treue Partner. Unsere Technikpartner geben auch ihr Bestes, aber mit der Preissteigerung müssen wir alle gemeinsam umgehen.
Wie sparen Sie? BÖTTGER
Indem wir zum Beispiel langfristigere Partnerschaften eingehen. Wir versuchen gerade eher mehrjährige Lösung zu finden, damit die Aufträge von uns sicherer werden und die Kalkulation einen höheren Sponsorenbeitrag zulässt oder Anschaffungen besser gesteuert und kostenneutraler passieren können. Wir überprüfen auch, was wir wie und wo herstellen lassen, beispielsweise welche Printprodukte wie etwa unser Magazin wir in welcher Auflage benötigen. Festivaltaschen haben wir in diesem Jahr keine neuen gedruckt, wir verbrauchen jetzt erst einmal die alten aus den vergangenen Jahren und sparen Kosten und schonen die Umwelt. Die „Blaue Woche“, unseren Festivalcountdown mit Programmvorstellung, haben wir diesmal nicht umsetzen können. Das hat uns wehgetan. Aber wenn man uns einen Rettungsschirm anbietet, müssen wir auch zeigen, dass wir sparen wollen und können – auch wenn es schmerzt.
Wie kam es zum neuen Spielort Kulturgut Ost und zum Festivalclub „Lolas Bistro“in der Modernen Galerie? BÖTTGER
Im ersten Pandemiesommer hatten wir am Osthafen zwei wunderbare Open-Air-Filmabende, bei denen wir auch gemerkt haben,
dass wir dort nochmal eine andere Zielgruppe erreichen und wir dort gern gesehene Kooperationspartner sind. Mit der Modernen Galerie waren wir schon für 2023 im Gespräch, aber es scheiterte an Bauarbeiten. Jetzt freuen wir uns, dass es klappt und dass wir dort gemeinsam die Verbindung verschiedener Kunstformen feiern und diesen Ort nochmal mit einem anderen Blick erfahrbar machen können. Nachts im Museum – eine wunderbare Gelegenheit sich neue Geschichten auszudenken und zu erzählen.
Die Weltlage ist finster – spiegelt sich das stark im Programm wider? Oder gibt es eher filmischen Eskapismus, der es etwas fröhlicher angehen lässt?
BÖTTGER Beides. Für den filmischen Eskapismus ist definitiv etwas dabei, vor allem im Kurzfilm- und Spielfilmwettbewerb. Auffällig ist, dass sich einige Filme mit Glaube und Religion beschäftigen. Durch die vielen Krisen in der Welt und im deutschsprachigen Raum ist dieses Thema noch einmal näher ins Zentrum gerückt. Wir haben auch sehr interessante Beiträge zur Situation in der Ukraine und zur russischen Invasion. In „I see them bloom“im Mittellangen Wettbewerb kann man nachfühlen, wie es für geflüchtete junge Menschen ist, hier anzukommen und sich zurechtfinden zu müssen. Mit „Critical Zone“auf der Mop-Watchlist haben wir einen wichtigen Beitrag eines iranischen Künstlers im Gepäck. „Miss Holocaust Survivor“ist ein sehr spannender Dokumentarfilm – über eine Miss-Wahl in Haifa in Israel unter Holocaust-Überlebenden und diesen besonderen Umgang mit dem eigenen Trauma. Viele Leute werden hier zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung kommen. Das kann Film: einen Ausschnitt aus dem Weltgeschehen, ein Stück Geschichte näher bringen.
In Haifa spielt auch der Film, der in der ersten Kooperation zwischen dem Festival und den Jüdischen Filmtagen zu sehen ist: „Laila in Haifa“von Amos Gitai erzählt von
einer Bar, in der sich Juden und Araber treffen, Palästinenser und Israelis, mehr oder weniger friedlich. Das Online-Gespräch mit Gitai im Kino Achteinhalb wird sicher interessant.
BÖTTGER Amos Gitai ist als Regisseur dafür bekannt, den Finger immer in die Wunde zu legen und kritische und kontroverse Themen zu besprechen und filmisch zu verarbeiten, das beweist er auch in „Laila in Haifa“. Wir befinden uns in der Welt gerade in einer schwierigen Zeit der Multi-Krisen und haben lange in der Leitung des Festivals aber auch im kuratorischen Team besprochen, wie wir unserer Aufgabe der kulturellen Vermittlung, der Bildungsarbeit gerecht werden, aber auch dem Dialog und Diskurs ausreichend Platz einräumen können und wie wir damit umgehen möchten. Nach dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober und dem darauf neu entfachten Krieg und Konflikt, bei dem viele unschuldige Menschen sterben
und Geiseln bis heute noch in der Gewalt der Hamas sind, müssen wir einen künstlerischen Kontext finden, in dem wir deutlich den Antisemitismus in Deutschland verurteilen und gleichzeitig den antimuslimischen Rassismus. Auch wir dürfen den Leuten, die diese Situation für ihre Zwecke ausnutzen wollen, keinen Raum bieten und müssen laut werden gegen antidemokratische Strukturen.
Das klingt nach einem sehr politischen und sehr ernsten Programm.
BÖTTGER Jein, wir haben beispielsweise mit „Electric Fields“etwa eine sehr originelle, poetische Produktion im Spielfilmwettbewerb, mit „God's Anus“ein sehr ungewöhnliches, witziges Werk im Kurzfilmwettbewerb, mit „Söder“einen sehr ironischen mittellangen Film. Und unser Eröffnungsfilm „Rickerl“ist eine musikalische Tragikomödie. Das Programm bietet viel Abwechslung, sehr Unterschiedliches. Ich kann versprechen, dass die Reise manchmal wild, manchmal vielleicht auch traurig sein wird, aber immer bereichernd.
Im Festivalmagazin und Online gibt es erstmals Sensibilitätshinweise – wie kam es dazu?
BÖTTGERMit diesen Hinweisen wollen wir den Gästen die Möglichkeit geben, sich vorher zu informieren, ob sie sich bestimmten Themen aussetzen wollen oder nicht. Wir reagieren darauf, dass sich Teile des Publikums wünschen, vorher informiert zu werden. Wir haben verschiedene Stichworte vergeben, beispielsweise Hinweise zu Stroboskop-Effekten oder ob Themen besprochen werden wie Flucht- oder Kriegserfahrung, Gewalt oder Diskriminierung, Rassismus. Was wir nicht wollten, ist eine Triggerwarnung vor jedem Film. Das finden wir problematisch gegenüber den Filmschaffenden, die nicht selbst entschieden haben, diese vor ihr Werk zu setzen. So ist es ein Kompromiss, der beide Seiten im Blick hat.
Wie geht es dem filmischen Nachwuchs – wie sind die aktuellen
Arbeitsbedingungen?
BÖTTGER Es könnte ihm besser gehen. Die Preissteigerungen machen leider auch vor Filmproduktionen nicht halt, es gab im letzten Jahr weniger Förderungen bei steigenden Kosten. Das traf die ganze Branche, aber vor allem die Talente und die kleineren, neueren Produktionsfirmen. So dauert es noch länger, eine Produktion finanziert zu bekommen. Wir haben ja vor zwei Jahren gemeinsam mit dem Kuratorium Junger Deutscher Film und dem Produzent:innenverband das Forum Talentfilm Deutschland initiiert und fordern gemeinsam eine zusätzliche bundesweite Filmförderung für die Filmschaffenden und machen aufmerksam auf die zum Teil prekäre Situation. Für 2024 haben wir uns in der Initiative vorgenommen, die Themen Sichtbarkeit sowie Auswertung von Filmprojekten als Schwerpunkt voranzutreiben.
Ist diese Auswertung im Kino für Nachwuchsfilme schwieriger geworden, weil Verleiher und Kinos gerade in schwierigen Zeiten lieber auf Etabliertes und filmisch Bewährtes setzen?
BÖTTGER Der Kinomarkt hat sich erholt, der deutsche Film schlägt sich allerdings noch nicht wieder so gut – Debütfilme haben zum Glück einen besseren Ruf, dass es sich lohnt, sich diese anzuschauen. Aber die Verleiher sollten mehr Unterstützung bekommen, damit sie das finanzielle Risiko eingehen können, Nachwuchsfilme zu lancieren. Wir wissen alle, dass es im Moment angespannt und schwierig ist. Aber wir schließen uns gerne dem Aufruf der acht Verbände und der Hoffnung der Branche an, dass die Kinos wieder 35Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer zählen sollen. Ein schönes und auch machbares Ziel.
Bei der Preisverleihung vor einem Jahr hat das Festival auf die Problematik an Filmsets hingewiesen, auf Missbrauch von Macht und Hierarchien. Hat sich im Jahr danach etwas verändert? Es gab seitdem Vorwürfe unter anderem gegen Til Schweiger und auch gegen Gérard Depardieu, dem dann Präsident Macron rhetorisch zu Hilfe eilte. Hat sich überhaupt etwas verändert? BÖTTGER Es hat sich aus meiner Sicht noch zu wenig verändert, und die schlechten und zugleich wichtigen Nachrichten über die Bedingungen am Set und in der Filmproduktion allgemein kommen in Wellen, die mal höher und mal niedriger ausschlagen. Es ist an uns, gemeinsam in der Filmindustrie die Strukturen nachhaltig aufzubrechen und nicht locker zu lassen, dass sich schnell und dauerhaft etwas ändert. Wir müssen an die Fürsorgepflicht einzelner Personen und Firmen erinnern und sie zur Verantwortung ziehen. Gleichzeitig müssen wir die Personen unterstützen, die den Mut haben, sich zu wehren und Zustände öffentlich zu machen.